Mittelhessen 2022: Krieg, Energiekrise, Firmenschließungen

Die Collage zeigt eine Auswahl von Bildern zu den Themen aus den Themenfeldern Ukrainekrieg, Energiekrise und Wirtschaft, die unsere Leser im Jahr 2022 besonders beschäftigt haben.

Die Auswirkungen des Ukrainekriegs auf unsere Region gehören ebenso zum dritten Teil unseres Jahresrückblicks wie die wichtigsten und bewegendsten Meldungen aus der Wirtschaft.

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Mittelhessen. Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine werden in Mittelhessen noch vor Beginn des Frühjahrs schnell deutlich: Im Lahn-Dill-Kreis werden Impfgegner zu Putin-Verstehern, von Breitscheid aus rollt eine gewaltige Laster-Kolonne mit Hilfsgütern in Richtung Ukraine und in den Landkreisen werden eilig Notunterkünfte für Flüchtlinge geschaffen. Später im Jahr sorgt die Energiekrise dafür, dass der Lahn-Dill-Kreis durch seine Kalte-Duschen-Politik weit über Mittelhessen hinaus in die Medien gelangt. Nachrichten aus der regionalen Wirtschaft bilden den Schlussteil dieses Rückblicks; neben zahlreichen Schließungen kleinerer Traditionsunternehmen zeichnen vor allem große Firmen für die positiven Schlagzeilen verantwortlich.

Corona-Protestierer werben für Putins Propagandafunk

In ihren Telegram-Kanälen zu den Demos in Herborn und Wetzlar rühren die Betreiber die Trommel für "Russia Today".
In ihren Telegram-Kanälen zu den Demos in Herborn und Wetzlar rühren die Betreiber die Trommel für "Russia Today". (© Fabian Sommer/dpa)
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Ende Februar, wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffs, suchen viele Menschen nach Informationen über den Ukrainekrieg. Gleichzeitig rühren die Betreiber der Telegram-Kanäle hinter den Corona-Demos in den mittelhessischen Städten Herborn und Wetzlar plötzlich die Trommel für „Russia Today”. Der deutschsprachige Ableger des russischen Staatsfunks verbreitet Putins Propaganda .

Ukrainehilfe Breitscheid von Spendenflut überrascht

Der Krieg währt Anfang März grade mal eine Woche, da rollen aus Mittelhessen bereits die ersten Laster mit Hilfsgütern in Richtung Ukraine. Die Ukrainehilfe Breitscheid wird mit einer Spendenflut überrascht, mit der die Hauptorganisatoren Dagmar und Heinrich Benner im Traum nicht gerechnet hatten. Zahllose Autos mit Spenden für die Ukraine sorgen in Dillenburg-Frohnhausen für ein Verkehrschaos auf der B253. In der Lagerhalle herrscht derweil „organisiertes Chaos”.

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Notunterkunft für 500 Flüchtlinge in Wetzlar ist bereit

Was im April in der Turnhalle der Wetzlarer August-Bebel-Schule passiert, spielt sich so ähnlich an weiteren Orten in Mittelhessen und der Bundesrepublik ab. Notunterkünfte für Kriegsflüchtlinge werden aufgebaut. In der Halle der Bebel-Schule werden in dem 1800 Quadratmeter großen Gebäude 59 circa 15 Quadratmeter große Kabinen aufgebaut. Sie sollen 500 Flüchtlingen aus der Ukraine das Plus an Privatsphäre bieten, das die unter Zeitdruck eingerichtete Notunterkunft in der Herborner Comeniusschule nicht hergab.

600 Kunden der Enwag Wetzlar erhalten Kündigung

Infolge des Kriegs ist der Gasmarkt angespannt wie nie. Die Wetzlarer Enwag bietet im Sommer nur noch einen Einheitstarif für alle an. Die Folge: Für manchen Kunden wird es deutlich teurer.

Für ihre Gaskunden bietet die Enwag ab sofort nur noch einen einzigen Tarif an, Sondertarife gibt es wegen der schwierigen Lage auf dem Gasmarkt nicht mehr.
Für ihre Gaskunden bietet die Enwag ab sofort nur noch einen einzigen Tarif an, Sondertarife gibt es wegen der schwierigen Lage auf dem Gasmarkt nicht mehr. (© Hauke-Christian Dittrich, dpa)

In Sporthallen im Lahn-Dill-Kreis bleiben die Duschen kalt

Die Lahn-Dill-Kreisverwaltung will über den Sommer Energiekosten von 100 000 Euro einsparen. Damit soll auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg ein Zeichen gesetzt werden. Und so soll gespart werden: Von Anfang Juni bis Mitte September werden im Kreis in den Schulen und kreiseigenen Turnhallen die Heizungs- und Warmwasseraufbereitungsanlagen abgeschaltet. Die Maßnahme erntet nicht nur Beifall. Im Kreistag kritisiert unter anderem die CDU den Plan. Und sogar in der SZ ist von einer „neuen Kälte im Lahn-Dill-Kreis” zu lesen.

Für den Notfall: Wetzlarer Wärmeinseln werden Wirklichkeit

Noch im Sommer trifft das Wetzlarer Stadtparlament die Entscheidung: Sollten im Winter Strom und Gas ausfallen, werden sieben öffentliche Gebäude in der Stadt zu Wärmeinseln für bis zu 4000 Menschen. Die für den Betrieb nötigen Geräte - unter anderem Heizlüfter und Notstromaggregate - stehen schon bereit. 

Es folgen die wichtigsten Artikel zu Entwicklungen bei heimischen Firmen. Unser erster Bericht aus diesem Bereich bildet dabei quasi eine Brücke der Themenblöcke Ukrainekrieg/Energiekrise und Wirtschaft.

Drastische Schritte: Stop-and-Go-Betrieb bei Buderus Wetzlar

Trotz schwieriger Rahmenbedingungen liegt ein gutes Geschäftsjahr hinter Buderus Edelstahl.
Trotz schwieriger Rahmenbedingungen liegt ein gutes Geschäftsjahr hinter Buderus Edelstahl. (© Tanja Freudenmann)

Buderus Edelstahl reagiert Anfang März als erstes Unternehmen in Wetzlar mit drastischen Schritten auf die steigenden Energiepreise infolge des Krieges in der Ukraine: Teile der Produktion werden vorerst bis Ende März auf einen Stop-and-Go-Betrieb heruntergefahren. Nach einigen Wochen gibt es für die Mitarbeiter gute Nachrichten: Das Stahlwerk fährt die Produktion wieder hoch. Mitte des Jahres werden die Nachrichten gar noch besser: Buderus Edelstahl vermeldet ein sattes Umsatzplus - trotz Lieferkettenproblemen und Stop-and-Go-Betrieb.

Biontech-Werk beschert Marburg Steuer-Segen

Nach der Ansiedlung von Biontech sprudeln in Marburg die Gewerbesteuern. Der Landkreis hat davon nichts, die anderen Kommunen voraussichtlich schon.
Nach der Ansiedlung von Biontech sprudeln in Marburg die Gewerbesteuern. Der Landkreis hat davon nichts, die anderen Kommunen voraussichtlich schon. (© dpa)

Die Stadt Mainz profitiert schon etwas länger von dem wirtschaftlichen Erfolg der Firma Biontech. Durch das neue Impfstoff-Werk kommt nun auch Marburg in den Genuss eines gewaltigen Geldsegens. Die Unistadt rechnet Anfang des Jahres mit zusätzlichen 570 Millionen Euro Gewerbesteuer-Einnahmen. 100 Millionen Euro sollen an andere Kommunen fließen, aber der Kreis bekommt wohl nichts. Marburg profitiert auch noch auf andere Weise: Biontech schafft zahlreiche neue Arbeitsplätze.

Millionenprojekt: Zeiss baut Multifunktionsfabrik in Wetzlar

Der Visualisierungsentwurf zeigt die geplante Multifunktionsfabrik mit den Bereichen Optik, Beschichtung und Montage von Zeiss SMT im Dillfeld. 150 Menschen sollen dort arbeiten. Der Baustart ist für das Frühjahr 2023 geplant.
Der Visualisierungsentwurf zeigt die geplante Multifunktionsfabrik mit den Bereichen Optik, Beschichtung und Montage von Zeiss SMT im Dillfeld. 150 Menschen sollen dort arbeiten. Der Baustart ist für das Frühjahr 2023 geplant. (© Zeiss)

In der zweiten Jahreshälfte kommt für Wetzlar dieses erfreuliche Bekenntnis zum Standort: Da am bisherigen Sitz von Zeiss SMT in der Domstadt der Platz knapp wird, zieht das Unternehmen nicht etwa weg, es baut einfach eine weitere Fabrik. Geplanter Standort ist das Dillfeld. Wenn alles glatt läuft, sollen dort demnächst die Bauarbeiten starten. 150 Menschen werden im Neubau arbeiten.

Die große Angst vor dem Karstadt-Aus in Limburg

Blick vom Haupteingang des Rathauses auf die Karstadt-Filiale in der Fußgängerzone Werner-Senger-Straße.
Blick vom Haupteingang des Rathauses auf die Karstadt-Filiale in der Fußgängerzone Werner-Senger-Straße. (© Stefan Dickmann)

Was passiert, wenn Karstadt in Limburg schließen muss, weil der Kaufhauskonzern schon seit Jahren große wirtschaftliche Probleme hat und sich derzeit in Insolvenz in Eigenverwaltung befindet? Eine Schließung hätte für die Mitarbeitenden, wohl aber auch für die Innenstadt verheerende Auswirkungen.

Wetzlarer Real-Markt: Millioneninvest statt Schließung

Rückblick: Im Sommer 2020 wird die Real GmbH, die bis dahin zum Metro-Konzern gehört, vom Investor SCP übernommen und zerschlagen. Als Konsequenz soll auch für den Markt in Wetzlar Ende Januar 2022 Schluss sein. Eigentlich. Dann allerdings übernimmt Sanierer Sven Tischendorf ein Paket von insgesamt 62 Märkten, die weiterbetrieben werden und seit dem 10. Oktober „mein real“ heißen. Die neue Aussicht: Bis 2025 soll der Wetzlarer Standort am Hörnsheimer Eck komplett modernisiert werden. Der neue Geschäftsleiter sucht nach Fachkräften.

Nach 164 Jahren macht Doering in Sinn dicht

Von dem Aus des 164 Jahre alten Unternehmens Doering in Sinn sind 65 Mitarbeiter betroffen.
Von dem Aus des 164 Jahre alten Unternehmens Doering in Sinn sind 65 Mitarbeiter betroffen. (© Katharina Weber)

In Sinn schließt ein 164 Jahre altes Traditionsunternehmen: Bei der Doering GmbH wird Anfang November plötzlich nicht mehr gegossen. Grund dafür sei eine behördliche Genehmigung, die das Unternehmen nicht bekommen habe, teilt Geschäftsführer Steffen Liebich auf Nachfrage mit. Von dem Aus des Unternehmens sind 65 Mitarbeiter betroffen. 

Safran in Herborn: Bis zu 270 Stellen fallen weg

Deutlicher Personalabbau bei einem der großen Arbeitgeber in Herborn: Der Flugzeugausstatter Safran streicht bis zu 270 Stellen. Ursprünglich sollte die Zahl noch höher ausfallen. Der französische Konzern hat sich aber zum Lahn-Dill-Kreis bekannt - und den Standort bis 2025 zugesichert.

Sporthaus Seissler in Herborn schließt

Inhaberin Nina Wollberg schließt das Sporthaus Seissler. Nach zwei Jahren Pandemie und der weiterhin steigenden Inflation geht es für das Herborner Geschäft nicht mehr weiter.
Inhaberin Nina Wollberg schließt das Sporthaus Seissler. Nach zwei Jahren Pandemie und der weiterhin steigenden Inflation geht es für das Herborner Geschäft nicht mehr weiter. (© Sebastian Reh)

Das Sporthaus Seissler hat zwei Weltkriege und die Hyperinflation in der Weimarer Republik überstanden. Jetzt ist es vorbei. Das Herborner Familienunternehmen schließt. Seit Freitag, 14. Oktober, läuft der Räumungsverkauf. Damit geht die 114-jährige Geschichte des Sporthauses im Dill-Center zu Ende. Und es ist nicht das einzige Geschäft in Herborn, das infolge der Pandemie und hohen Inflation aufgibt.

Metzgerei Hennche in Biskirchen schließt

Drei Generationen im Verkaufsladen der Metzgerei in Biskirchen: Monika und Joachim Hennche mit Tochter Anne-Kathrin und den Enkeln Charlotte und Jonte.
Drei Generationen im Verkaufsladen der Metzgerei in Biskirchen: Monika und Joachim Hennche mit Tochter Anne-Kathrin und den Enkeln Charlotte und Jonte. (© Familie Hennche)

Sie gehen einen Schritt, den viele Kunden zutiefst bedauern – aber sie gehen ihn, weil jetzt die richtige Zeit ist. Joachim und Monika Hennche schließen zum Ende des Jahres ihre Traditionsmetzgerei in Biskirchen. Die Verkaufsstelle im Wetzlarer Forum haben sie bereits an einen Nachfolger übergeben. Nach über 100 Jahren endet die Geschichte des Betriebs am Silvestertag. Joachim und Monika Hennche blicken mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück.

Muss der Unverpackt-Laden in Diez schon wieder schließen?

Noch steht Chantal Burggraf hinterm Tresen im Unverpacktladen. Doch zum Jahresende soll damit Schluss sein.
Noch steht Chantal Burggraf hinterm Tresen im Unverpacktladen. Doch zum Jahresende soll damit Schluss sein. (© Rolf Goeckel)

Lose Liebe – das ist nicht etwa der Name einer neuen Dating-App. So heißt vielmehr der „Unverpacktladen“, der vor ziemlich genau zwei Jahren am Diezer Marktplatz seine Pforten geöffnet hat. Ob das Unternehmen – gegründet von Chantal Burggraf und Nathalie Sprenger und mit viel Idealismus geführt – seinen dritten Geburtstag erleben wird, steht derzeit jedoch in den Sternen. Der Grund: Nach starken Umsatzrückgängen in diesem Sommer suchen die Gründerinnen einen Nachfolger.

Schluss mit Schokokuss: Familie Keil hört auf

Wolfgang Keil stellt am 28.01.2013 in seiner kleinen Schokostube in Schotten (Hessen) Schokoküsse her. Seit 25 Jahren produziert der Konditor aus dem Vogelsbergkreis in mühevoller Hand- und Heimarbeit das Naschwerk. Keil (61) stellt den übermächtigen Süßwarenherstellern mit ihrer riesigen Produktion zumindest eine große Sortenvielfalt entgegen. 50 verschiedene Kreationen hat der 61-Jährige in seiner kleinen Schokostube in Schotten im Programm.
Wolfgang Keil stellt am 28.01.2013 in seiner kleinen Schokostube in Schotten (Hessen) Schokoküsse her. Seit 25 Jahren produziert der Konditor aus dem Vogelsbergkreis in mühevoller Hand- und Heimarbeit das Naschwerk. Keil (61) stellt den übermächtigen Süßwarenherstellern mit ihrer riesigen Produktion zumindest eine große Sortenvielfalt entgegen. 50 verschiedene Kreationen hat der 61-Jährige in seiner kleinen Schokostube in Schotten im Programm. (© Jörn Perske/dpa)

Schokoküsse von der „kleinsten Schokoladenfabrik der Welt“ aus Wingershausen sind vielen Menschen in der Region ein Begriff. Der Unternehmer aus Schotten-Wingershausen (Vogelsbergkreis) war über Jahrzehnte nicht nur in der Schottener Großgemeinde, in der Region, im Vogelsberg oder in der Wetterau anzutreffen. Auch in Frankfurt, in Wetzlar oder in Marburg waren die Keil’schen Anhänger und Verkaufswagen mit ihrer süßen Füllung auf vielen Festen und Märkten zu sehen. 

Wir wünschen Ihnen/Euch einen guten Start ins Jahr 2023!