Tafeln am Limit: Helft uns helfen!

aus Krieg in der Ukraine

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Gäste stehen an einer Ausgabestelle der Tafel.

Tafeln helfen in Not geratenen Menschen. Jetzt brauchen die Einrichtungen selbst Unterstützung. Die Spendenaktion „Helft uns helfen!” will einen Beitrag dazu leisten.

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Wetzlar. Der Krieg in der Ukraine verschärft auch in Mittelhessen die Lage für viele Menschen. Hohe Energiekosten, teure Lebensmittel: Viele, die bislang noch über die Runden kamen, brauchen jetzt Hilfe. Ein Anlaufpunkt sind die Tafeln, die allerdings selbst unter wachsendem Druck stehen. „Die Lage der Tafeln in Deutschland ist so herausfordernd wie noch nie zuvor in der 30-jährigen Geschichte“, verdeutlicht der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafeln, Jochen Brühl. Deshalb macht sich die diesjährige Spendenaktion des Vereins „Helft uns helfen!“ für die heimischen Tafeln stark und bittet um Ihre Unterstützung, liebe Leserinnen und Leser.  

Die Lage spitzt sich zu: Während die Zahl der Bedürftigen stark steigt, werden gleichzeitig weniger Lebensmittel gespendet. Zum einen, weil Supermärkte, Discounter und Bäckereien mittlerweile deutlich weniger verschwenden als in den Jahren zuvor – und damit weniger für die Tafeln bleibt. Zum anderen hat der Krieg in der Ukraine Logistik-Ketten beschädigt und auch deshalb gibt es geringere Überschüsse.

Die Tafeln sind am Limit.

JB
Jochen Brühl Vorsitzender Tafeln Deutschland e.V.

Darüber hinaus sind die Tafeln selbst von den gewaltigen Preissteigerungen für Energie und Logistik betroffen. Und nicht zuletzt sind die Ehrenamtlichen - auch durch die Belastungen der Pandemie-Jahre - zunehmend erschöpft. Dachverbandschef Brühl formuliert deshalb auch sehr klar: „Die Tafeln sind am Limit.“

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Deutlich hatte auch der Landesvorsitzende Willi Schmid aus Ehringshausen Ende September beim hessischen Sozialgipfel auf die Not der Tafeln hingewiesen. Knapp 35.000 neue Kunden haben diese von Januar bis Oktober aufgenommen, darunter etwa 25.000 geflohene Ukrainer. Die Energiekosten seien gleichzeitig um 100 Prozent gestiegen; dies habe eine Umfrage des Landesverbandes unter seinen 58 Tafeln ergeben. Fast alle hatten deshalb in den vergangenen Monaten Aufnahmestopps aussprechen müssen. Allein eine Soforthilfe des Landes in Höhe von 2,2 Millionen Euro habe die schlimmste Not vorerst lindern können. „Ohne Landeshilfe hätten das nicht alle Tafeln überstanden“, ist Schmid überzeugt.

Immer mehr Menschen benötigen die Hilfe der hessischen Tafeln, gleichzeitig erhalten diese aber immer weniger Lebensmittelspenden.
Immer mehr Menschen benötigen die Hilfe der hessischen Tafeln, gleichzeitig erhalten diese aber immer weniger Lebensmittelspenden. (© Pascal Reeber)

Um dauerhaft Stabilität zu sichern, drängt der Landesvorsitzende auf eine neue Finanzierungsgrundlage und eine finanzielle Unterstützung durch den Staat. „Wir wollen kein Staatsunternehmen sein und werden auch nicht aufgeben, intensiv um Spenden zu werben. Aber die Tafeln brauchen ein planbares Finanzierungsstandbein.“ Bislang finanzieren sich die Tafeln durch die „Münze“, also dem Beitrag, den Tafelkunden für ihre Lebensmittelkörbe zahlen, und aus privaten Spenden.

Die sich verschärfende Lage der Tafeln, die sich als größte sozial-ökonomische Bewegung in Deutschland verstehen, weil sie seit 1993pro Jahr rund 265.000 Tonnen Lebensmittel retten und an über zwei Millionen armutsbetroffene Menschen weitergeben, werden wir in den kommenden Wochen journalistisch ausleuchten, analysieren und einordnen. Unser Fokus liegt dabei auf Mittelhessen.

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In der Artikelserie, die unsere aktuelle „Helft-uns-helfen!“-Spendenaktion flankiert, tragen unsere Autoren und Autorinnen entscheidende Zahlen und Fakten zusammen, erläutern wichtige Zusammenhänge und Hintergründe und versammeln Expertenmeinungen zu möglichen Lösungen der aktuellen Problemstellungen.

Den Auftakt bilden Beiträge zur Situation der Tafeln in unserer Region: Wir geben einen Überblick über die Gesamtentwicklung, schauen uns die einzelnen Standorte an, zeichnen deren Entwicklung nach und tragen Datenmaterial zusammen für eine informierte Gesamteinschätzung. In einem detaillierten Frage-und-Antwort-Beitrag erklären wir alles, was wichtig ist, um Idee, Aufbau und Ablauf umfassend zu verstehen. Wir weiten zudem den Blick und beschäftigen uns auch mit dem Thema der „Tiertafeln“. Was ist das? Wer nimmt sie in Anspruch und wie ist deren aktuelle Situation zu bewerten? Antworten auf diese und weitere Fragen wird es in einem Beitrag an Weihnachten geben.

Es werden auch kritische Fragen gestellt. Zum Beispiel: Was sagt es über ein so reiches Land wie Deutschland aus, dass es Tafeln gibt? Sind sie Symptom einer fundamentalen Problemlage? Welche Alternativen gibt es? Das wollen wir von einem Wissenschaftler wissen, der dieses Thema in einen breiteren Kontext stellt und damit aus übergeordneter Perspektive Einschätzungen abgibt.

Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch die Lebensmittelverschwendung. Wir gehen den Überlegungen nach, was ein Anti-Verschwendungsgesetz wie in Frankreich bewirken könnte und ob die Tafeln in Mittelhessen solch ein Gesetz befürworten würden. Und wir prüfen, wie die Helfer Apps wie „Too good to go“ bewerten: Ist das sinnvoll oder eine Art „Konkurrenz“?

Ganz nah wollen wir auch den Menschen kommen. Jenen, die in den Tafeln als Ehrenamtler wertvolle Arbeit leisten. Und anderen, die diese Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Es geht hierbei darum, Lebenssituationen tiefer zu erfassen, zu beschreiben und zu dokumentieren, in denen es immer auch um etwas grundlegend Menschliches geht: Zu helfen und Hilfe in Anspruch zu nehmen und dabei Würde und Respekt zu wahren.

Wir laden Sie ein, liebe Leserinnen und Leser, im 21. Jahr unserer Leser- und Spendenaktion jene zu unterstützen, die als Ehrenamtliche in Not geratenen Menschen in dieser Region unter die Arme greifen. Helfen Sie uns, den Tafeln zu helfen.