29. März 1945: Amerikanische Truppen nehmen Wetzlar ein
Über die Hermannsteiner Straße, die Altenberger Straße und die Braunfelser Straße nehmen amerikanische Soldaten am 29. März 1945 Wetzlar ein. Die Stadt wird nahezu kampflos...
WETZLAR. Der 29. März 1945 ist ein Gründonnerstag. Die zum 111. US-Corps gehörende 393. Infanterie-Division nimmt an diesem Tag Wetzlar ein.
In den frühen Vormittagsstunden erreichen die US-Truppen über die Hermannsteiner Straße, die Altenberger Straße und die Braunfelser Straße die Stadtgrenze. Eine weitere Infanterie-Division kommt von Süden her über Weidenhausen und Nauborn. Wetzlar wird nahezu kampflos besetzt. Die Schilderungen entstammen dem Buch "Wetzlar 1945" von Karsten Porezag und Diether Spieß.
Vor 75 Jahren, im März 1945, endet der Zweite Weltkrieg: Die Amerikaner marschieren ein, von der Nahe über den Rhein bis nach Süd- und Mittelhessen. Es sind Tage zwischen Hoffnung und Angst, sinnlosen Morden und dem Gefühl von Freiheit. Hier geht es zu unserer Multimedia-Story zum Kriegsende (plus-Inhalt).
Braunfels
Vormittags rollen, vom Weilburger Tiergarten kommend, amerikanische Panzer durch Braunfels. Die Amerikaner rücken auch auf der Straße von Philippstein her vor. Sieglinde Brumm aus Philippstein erzählt: "Niemand im Ort wusste, was nun auf uns zukam. Alle gefangenen deutschen Soldaten wurden in der Schule gesammelt. Die meisten von ihnen hatten sich freiwillig gestellt. Einige von ihnen sind dann später nach Amerika in Gefangenschaft gekommen."
Waldsolms / Schöffengrund
Im Backhaus in Hasselborn wird Kuchen für den Karfreitag gebacken, als auf der Straße von Grävenwiesbach her Motorengeräusche und Kettengerassel ertönen. Kurt Mappes erzählt: "Da das Backhaus direkt an der Straße nach Grävenwiesbach liegt, haben die Amerikaner natürlich sofort das Backwerk gerochen, Sie kamen und haben gleich den frischen Kuchen probiert (...) Wir Kinder und Jugendliche bekamen schließlich Süßigkeiten von den Amerikanern." Wie fast überall sind auch in Oberwetz Zwangsarbeiter bei Bauern eingesetzt. Karl Köster berichtet, dass die einrückenden Amerikaner schnell herausfinden, in welchen Familien die Zwangsarbeiter gut oder schlecht behandelt worden waren. "In einem Fall wird der Hofeigentümer kurzerhand ergriffen und vor das Scheunentor gestellt. Die Exekution ist nur deshalb unterblieben, weil sich das vorher schlecht behandelte Mädchen vor ihren ehemaligen Arbeitgeber stellt." In Oberkleen gehen die Dorfbewohner derweil den einfahrenden Amerikanern mit weißen Bettlaken entgegen.
Wetzlar
Der Wetzlarer Standortkommandant Wilhelm Brand weiß seit dem Vorabend von deutschen V-Leuten, dass die US-Truppen mit geballter Kampfkraft direkt westlich und nördlich der Stadt stehen. Im Angesicht der Unsinnigkeit eines Widerstands entschließt er sich, die Geheimakten über die Sprengung der Wetzlarer Straßen- und Eisenbahnbrücken zu verbrennen.
Gegen neun Uhr morgens fährt auf dem Leitzplatz ein amerikanischer Major vor. Er stellt das Ultimatum, die Stadt sei innerhalb von 15 Minuten zu übergeben; andernfalls würden seine Truppen das Feuer auf Wetzlar eröffnen. Bürgermeister Horn und Standortkommandant Brand übergeben die Stadt freiwillig. Zum Hintergrund muss man wissen, dass die Übergabe einer Stadt an die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt noch ein Vorgang war, der von der Reichsregierung unter Todesstrafe gestellt war.
Ein namentlich nicht genannter Polizist erhält den Auftrag der Besatzer, die in der Stadt gelegenen Bunker aufzusuchen, und den Menschen mitzuteilen, dass alle Waffen und Fotogeräte abzugeben seien und dass bis 11 Uhr die Straßen für den Durchmarsch der Truppen geräumt sein müssen.
In der Braunfelser Straße kommen rechts und links unter den Alleebäumen Soldaten mit Karabinern näher. Sie sichern nach allen Seiten. Dann folgen Jeeps, Panzerspähwagen, Halbkettenfahrzeuge sowie Lastwagen, auf denen Soldaten sitzen. "Neugierig wie wir waren, sahen wir das natürlich mit an. Als die Kolonne einmal stockte, hörte ich aus einem dieser Fahrzeuge zum ersten Mal öffentlich Swingmusik von Glenn Miller. Heimlich - unter der Bettdecke - hatte ich die allerdings schon früher oft auf alliierten Sendern gehört", schreibt Lothar Karst aus Wetzlar dazu.
In der Stadt kehren nun neue Verhältnisse ein. Die Amerikaner besetzen sofort die Leitzwerke und damit auch das Haus Friedwart, das Stammhaus der Familie Leitz. Johanna Leitz erinnert sich: "Die Amerikaner hatten vor, im Haus Friedwart 200 Mann einzuquartieren. Der alte Herr Ernst Leitz II wohnte ja dort. Er war schwerhörig und erstaunt, dass sein Name und seine bekannt liberale Gesinnung nicht genügten, um ihm das zu ersparen."
Elsie Kühn-Leitz kommt später am Tag zurück. Ihr Sohn, Knut Kühn-Leitz, erzählt: "Als meine Mutter endlich wieder auftauchte, musste sie feststellen, dass Haus Friedwart besetzt war. Sie ging sofort zum amerikanischen Stadtkommandanten und konnte ihn als Verfolgte des Nazi-Regimes bewegen, Haus Friedwart sofort wieder zu räumen (...) Nach dem eintägigen Aufenthalt der Amerikaner in Haus Friedwart sah dieses verheerend aus: Messerstiche in den Bildern, die Vorratsregale mit Einmachgläsern waren umgerissen, Teppiche zerschnitten und alles war unglaublich verschmutzt."
Der "Kölnische Kurier", damals amtliches Sprachrohr der amerikanischen Armee in Deutschland, meldet: "Als die amerikanischen Truppen die Stadt Wetzlar eroberten, fanden sie die bekannten Leitz-Werke in tadellosem Zustand vor. Die Fabrik erzeugte Leica und andere Fotoapparate sowie Fernrohre und kriegswichtige optische Instrumente." Die Meldung über die Provinzstadt Wetzlar und im besonderen die Leitzwerke ist den Amerikanern immerhin so wichtig, dass sie zusammen mit Nachrichten über Hitler und die Verhaftung von Franz von Papen auf der Titelseite der Zeitung steht.
Um Mitternacht erschießt sich in Dutenhofen ein Ehepaar. Er als Ortsgruppenleiter der NSDAP und seine Frau hatten den Untergang des 3. Reiches nicht verwinden können.