Bahnstrecke reaktivieren: Wetzlarer Historiker macht mobil

Die Reaktivierung der Solmsbachtalbahn gilt eigentlich als abgeschrieben. Warum der Wetzlarer Historiker Karsten Porezag dennoch nicht locker lässt und mobil macht.

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WETZLAR. Ein unbeschriebenes Blatt sieht anders aus. Anders als Karsten Porezag. Er hat in der Vergangenheit viele Blätter gefüllt. Um im Wortspiel zu bleiben: allein 17 Fachbücher zur Montan-, Technik- und Regionalgeschichte, dazu zahlreiche weitere Veröffentlichungen. Sie alle stehen auf der Habenseite. Aber nicht nur mit Forschungen und Publikationen hat sich der Historiker und Privatgelehrte aus Wetzlar einen Namen gemacht. Er ist Initiator und sozusagen Vater des Besucherbergwerks Grube Fortuna in Oberbiel und Begründer des Fördervereins Grube Malapertus Wetzlar. Der tritt für den Erhalt des historischen Manganerz-Bergwerks in Niedergirmes ein.

Karsten Porezag hat in seinem Leben viel bewegen können. Auch gegen Widerstände. Und gegen Stimmen, die ihm oftmals Erfolglosigkeit prophezeit haben, aber längst verstummt sind. Es sind diese Erfahrungen, die ihn gelehrt haben, nicht locker zu lassen. "Ich habe mir bei Projekten immer die Frage gestellt: Kannst Du das schaffen? Wenn ich das zu 70, 80 Prozent bejahen konnte, dann habe ich angefangen."

Einen Diskurs in Gang bringen

Diesen Stand sieht er auch beim Blick auf eine längst stillgelegte regionale Bahntrasse erreicht. Seit Jahren verfolgt Karsten Porezag aufmerksam Überlegungen, die Solmsbachtalbahn (oder auch kürzer Solmstalbahn) zu reaktivieren. "Immer heißt es, es braucht lokale Initiativen, um etwas bewirken zu können. Ich bin eine", sagt Porezag. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Er will einen Diskurs anregen, an dessen Ende möglicherweise doch noch die Wiederinbetriebnahme der kompletten Strecke steht. Karsten Porezag glaubt: "Es ist nicht mehr unmöglich." Jüngste Analysen vom Juli dieses Jahres sagen zwar etwas anderes. Aber genau an dieser Stelle sieht der Wetzlarer einen Ansatzpunkt. Einen Hebel. Und er steht nicht alleine da mit dieser Auffassung.

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Die Diskussion über eine Reaktivierung der Solmsbachtalbahn ist alles andere, nur nicht neu. 2019 hatte Heinz Schreiber (Grüne), damals Erster Kreisbeigeordneter, noch auf damals unterschiedliche Stellungnahmen der betroffenen Kommunen Waldsolms, Braunfels und Solms hingewiesen. Ebenso auf Kosten. Vor drei Jahren sah die Rechnung so aus: Jeder Kilometer, den ein Bus innerhalb des Kreises fahre, bezahle der Kreis mit 2,50 bis 3 Euro. Für jeden Kilometer, den die Bahn auf einer lokalen Zugstrecke zurücklege, müsse der Kreis rund 30 Euro zahlen.

Im Gegensatz dazu hatten Vertreter des Fahrgastverbandes "Pro Bahn" Mittelhessen (Thomas Kraft), von "Pro Bahn & Bus im Deutschen Bahnkundenverband" Mittelhessen (Barbara Böcher) sowie des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Lahn-Dill (Friedrich Lang) sehr wohl Potenzial für die Solmsbachtalbahn ausgemacht: "Die Generation, die heute als Schüler für den Klimaschutz auf die Straße geht, wird händeringend nach Trassen suchen, auf denen sie umweltverträgliche Verkehrswege entwickeln kann. Dafür sollten wir alle Optionen offenhalten." Karsten Porezag formuliert das anders, trifft aber den gleichen Kern: Eine reaktivierte Solmsbachtalbahn erlaube es, vom Taunus bis in die Uni-Stadt Gießen zu fahren. Für Studenten eine Möglichkeit also, die Schiene zu nutzen. Was schließlich auch eine Kostenfrage sei: die schlichte Bahnfahrt hier, teure Wohnungen zur Miete dort. Zudem ist nach Porezags Dafürhalten zu erwarten, dass natürlich der ländliche Raum mit Handel und Gewerbe von einem Bahnanschluss profitiert.

Im März 2022 hatten der Rhein-Main-Verkehrsverbund und die Verkehrsgesellschaft Lahn-Dill-Weil die Ergebnisse einer Vorstudie für die Weiltalbahn, die Dietzhölztalbahn und die Solmsbachtalbahn öffentlich gemacht. Die Fachgutachter waren da zum Ergebnis gekommen, es gebe derzeit keine Aussicht auf eine Bundesförderung für die Reaktivierung der drei Strecken. Auch wenn das Verhältnis aus untersuchtem Nutzen und Aufwand einer Reaktivierung zum jetzigen Zeitpunkt keine vertiefte Machbarkeitsuntersuchung sinnvoll erscheinen lasse, habe das Studienergebnis aber keine unmittelbare Auswirkung auf den Status der stillgelegten Bahntrassen, hieß es.

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Karsten Porezag ist derweil auf Widersprüchlichkeiten gestoßen, wie er sagt. In der Untersuchung über das Potenzial stillgelegter Strecken, an der auch das Land beteiligt war, habe die Solmsbachtalbahn noch "gut abgeschnitten". Das war im Herbst 2020. "Erhebliche Hindernisse für eine Reaktivierung" wurden für diese Strecke nicht ausgemacht. Dagegen für ehemalige Bahnen in Nordhessen, im Main-Kinzig-Kreis und im Kreis Gießen. In diesem Juli dann aber die Veröffentlichung der "Übersicht zur Reaktivierung von Schienenstrecken für den Personenverkehr in Hessen" durch das Verkehrsministerium. Herausgeber ist Hessen Mobil, das Straßen- und Verkehrsmanagement des Landes. Dabei geht es um insgesamt 24 Strecken. Dreh- und Angelpunkt bei Reaktivierungen von Bahnstrecken ist die Nutzen-Kosten-Untersuchung. Viele Initiativen sind in der Vergangenheit an dieser Hürde gescheitert. Weil sich die Sache nach einst geltenden Kriterien nicht lohnte. Nach langem Hin und Her sind diese Kriterien aber auf Bundesebene überarbeitet worden. Und zwar mit dem Ziel, Reaktivierungen im ländlichen Raum eine größere Chance einzuräumen. Die neuen Regeln sind seit Juli in Kraft. Und auf diese wichtige Änderung weist das Ministerium in seiner neuen Übersicht auch ausdrücklich hin.

Umso unverständlicher erscheint es Porezag, dass Strecken zurückgestellt oder gleich aussortiert (und auf einer Kartendarstellung rot markiert) worden sind. Darunter eben auch die Solmsbachtalbahn. Hier taucht die Beschreibung "erhebliche Hindernisse für eine Reaktivierung" dann doch auf. Negativ bewertet werden in dem Papier: Gleis abgebaut, Trasse teilweise bebaut, Brücken fehlen, verfüllter Tunneleinschnitt bei Burgsolms. Außerdem werden "gegensätzliche kommunale Interessen" aufgeführt. Porezag: "Die Strecke ist an keiner einzigen Stelle überbaut." Die Trasse sei auch noch immer nicht entwidmet worden, stelle also nach wie vor Bahngebiet dar. Fehlende Brücken lässt er auch nicht als Argument gelten. Die Durchlässe früherer Bauwerke seien eh viel zu schmal gewesen für heutige Fahrzeuge, die drunter durchfahren müssten. Und der verfüllte Tunnel stelle angesichts des aktuellen Stands der Technik kein Problem mehr dar, sagt der Experte aus dem Bergbau: Die Erde werde rausgeholt und eine Betonröhre eingebaut. Außerdem ist sich der Wetzlarer sicher, dass die aufgeführten "gegensätzlichen kommunalen Interessen" gar nicht existierten.

Das sieht Heinz Schreiber nun genau so. Der inzwischen ehrenamtliche Kreisbeigeordnete ist zuständig für die Bereiche Klima, Umwelt und Mobilität. Wie er auf Anfrage dieser Zeitung sagt, stünden die Anliegerkommunen dem Ansinnen positiv gegenüber. Und er gibt Porezag weiter recht: In der genannten Liste seien für die Solmsbachtalbahn drei Punkte unter der Rubrik "Konfliktpotenzial" aufgeführt, "die aus meiner Sicht nicht zutreffen. Wir sind mit den zuständigen Stellen in Verbindung, um dies richtigzustellen, und dies in einer korrigierten Liste abzubilden", sagt Schreiber.

Der grundsätzliche Bedarf und die Hürden

"Aus der Vorstudie zu drei potenziell reaktivierbaren Bahnstrecken in unserer Region ging die Solmsbachtalbahn als einzige der untersuchten Strecken mit einem gewissen Umsetzungspotenzial hervor. Aber die aktuellen Rahmenbedingungen lassen derzeit eine Erwartung an eine (schnelle) Umsetzung nicht zu." Und der grundsätzliche Bedarf - wäre der überhaupt vorhanden? Schreiber: "Laut Vorstudie in einem gewissen Umfang, ja." Die Hürden liegen in seinen Augen in der Finanzierung, der späteren Unterhaltung und der komplett offenen Frage zur erforderlichen Trägerschaft für die Bahnstrecke.

Frank Steinraths, der Wetzlarer Landtagsabgeordnete der CDU, hat inzwischen ebenfalls interveniert und "Anfragen ans zuständige Ministerium" in Wiesbaden laufen. Auch er findet, dass Aussagen zur Solmsbachtalbahn "so nicht stimmig" seien und korrigiert werden müssten. "Erst wenn alle auf dem gleichen und auch richtigen Sachstand sind, kann man auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen", sagt Steinraths im Gespräch mit dieser Zeitung. "Wir wollen ja im Land vieles auf Schiene setzen." Auch Steinraths verweist auf die Vorstudie, die ja positiver ausgefallen sei. "Und auf einmal ist alles negativ, das kann ja nicht sein." Wie Karsten Porezag bezeichnet Steinraths die Verbindung vom Taunus bis in die Uni-Stadt Gießen als möglichen Pluspunkt, der nicht zu unterschätzen sei.