Christlicher Sender aus Wetzlar zu Wandel gezwungen

Im neuen Medienhaus des ERF im Berliner Ring in Dalheim stehen Veränderungen an. Der Sender will nach eigenen Angaben Weichen stellen für die „neue wirtschaftliche Realität in Deutschland“.

Weniger Spenden, höhere Kosten: „Der Sinnsender“ ERF will die Weichen stellen für die „neue wirtschaftliche Realität in Deutschland“. Die Veränderungen stehen aber erst am Anfang.

Anzeige

Wetzlar. An seinem Markenkern, der fest gründet im christlichen Glauben, will „Der Sinnsender“, wie sich ERF selbst bezeichnet, keinesfalls rütteln. Die DNA bleibt. Veränderte Realitäten aber zwingen auch den gemeinnützigen Verein, der in Dalheim Hörfunk- und Fernsehprogramme sowie Internetangebote mit christlich-evangelikalen Inhalten produziert, zu einem Wandel.

Die Mitteilung aus dem Medienhaus lässt da schon mal aufhorchen: Mit „Mehr Beweglichkeit für eine Welt mit weniger christlichem Glauben“ ist sie überschrieben. Der Sender wolle die Weichen stellen für die „neue wirtschaftliche Realität in Deutschland und künftige gesellschaftliche Herausforderungen“ heißt es. Die Konsequenzen: ERF will sich neu organisieren und anders arbeiten als bisher. Es geht aber auch um Geld. Sachkosten sollen reduziert werden. Ebenso die Personalstärke.

Aktuell 170 Mitarbeiter bei ERF beschäftigt

Bei ERF Medien e.V. stehen aktuell 170 Mitarbeiter in Lohn und Brot, wie Gesina Schneider, Bereichsleiterin Marketing/Kommunikation, im Gespräch mit mittelhessen.de sagt. Wie viele Beschäftigte es bis zum Ende des Prozesses in einem Jahr sein werden, lasse sich jetzt noch nicht sagen. Veränderungen stehen erst am Anfang. Eine Zielmarke im klassischen Sinne gebe es bis dahin nicht, sagt sie.

Anzeige

Neben Inflation, steigenden Energiekosten und anhaltender Spendenzurückhaltung will sich das christliche Medienhaus auf eine immer schnellere Veränderung von Medienplattformen und Nutzerverhalten „in einer immer weniger christlich geprägten Gesellschaft einstellen“.

„Die letzte Erhebung hat ja gezeigt, dass weniger als 50 Prozent der Deutschen einer der beiden christlichen Kirchen angehören“, sagt Gesina Schneider. Diesen „Meilenstein, natürlich im negativen Sinne“, müsse der ERF zur Kenntnis nehmen. Schließlich gingen mit dieser Entwicklung auch gesellschaftliche und politische Veränderungen einher. „Die Christen werden weniger.“

Weniger werden auch die Spenden. Beobachtet wird hier eine anhaltende Zurückhaltung. ERF finanziert sich über Spenden. Pro Jahr sind das nach den Worten der Sprecherin 15 Millionen Euro. Diese Summe aber nimmt bereits merklich ab. Stetig sind in den vergangenen Monaten geringere Einnahmen registriert worden.

Das Minus bewegt sich laut Gesina Schneider um die zehn Prozent. Auch hier machten sich Inflation und steigende Energiekosten bemerkbar und wirkten wie eine Bremse: „Wir haben absolutes Verständnis dafür.“ Gleichwohl müsse man damit rechnen, dass sich an der Situation kurzfristig nichts ändern wird. Weniger Geld in der Kasse und dafür steigende Ausgaben aufgrund höherer Sachkosten – darauf müsse man reagieren. Mit einer Organisationsform, die unter den Aspekten „schlanker“, „schneller“ und „flexibler“ greifen soll.

„Wir wollen auch in die Welt von morgen die gute Nachricht von Jesus Christus wirksam hineinsprechen. Dafür brauchen wir mehr Beweglichkeit, Geschwindigkeit, Flexibilität und Zusammenarbeit mit Partnern. Und wir brauchen eine konsequentere Orientierung an den sich verändernden Bedürfnissen der Menschen, die unsere Medienangebote nutzen oder unterstützen“, wird der ERF-Vorstandsvorsitzende Jörg Dechert zitiert. Und weiter heißt es: „Wir nehmen die aktuelle wirtschaftliche Krise zum Anlass, nach dem Abschluss unseres Neubauprojekts nun den nächsten Schritt in unserer Weiterentwicklung zu gehen und den Wandel in eine agile Organisation zu beginnen.“ Im Mai dieses Jahres hatte ERF ein neues Medienhaus in Dalheim eingeweiht. Knapp 26 Millionen Euro kostete das Projekt, großteils finanziert von privaten Spendern. Schon seinerzeit hatte Jörg Dechert mit Blick auf das neue Haus erklärt: „Ich denke, wir werden schneller, kollaborativer, weniger bürokratisch.“ Auch crossmedialer wollte der ERF werden. „Es kann keiner mehr sagen: Ich bin Radio, du bist Fernsehen, du bist Print. Daher sind hier im Haus die Grenzen zwischen den Kanälen aufgehoben.“

Anzeige

Mit der sogenannten „agilen Organisationsform“ soll genau das bezweckt werden. Produktteams arbeiten funktionsübergreifend zusammen. Es wird weiterhin verschiedene Rollen und Fachverantwortliche geben. Nur waren bislang diese Funktionen in unterschiedlichen Bereichen aufgeteilt. Social-Media- und Web-Verantwortliche zum Beispiel im Fachbereich Marketing, Redakteure im Fachbereich Redaktion mit jeweils anderen Vorgesetzten. Neu ist, dass in den Produktteams diese Funktionen zusammengezogen werden unter einer gemeinsamen Leitung, sodass eigenständig und schnell agiert werden kann. „In dieser Veränderung suchen wir einvernehmliche Lösungen mit unseren Mitarbeitenden“, sagt Gesina Schneider. Vor allem Start-ups, aber auch Digitalunternehmen und erste Banken hätten die agile Organisationsform für sich bereits gewählt.

Natürliche Fluktuation und sozialverträgliches Vorgehen

Der ERF will die Bedeutung von Hierarchie sowie die Anzahl von Führungskräften reduzieren. Im Gegenzug entstünden schnellere Wege und eine direktere Tuchfühlung mit dem Marktumfeld. Die wesentlichen Medien- und Programmangebote von ERF, die es auf verschiedenen Kanälen gibt, blieben aber alle erhalten.

Da sich mit der Umstrukturierung auch die Jobbeschreibung ändert, werden die Stellen ausgeschrieben. Für alle Mitarbeiter biete der ERF ein transparentes Bewerbungsverfahren an. „Dabei wird es einen weitgehenden Bestandsschutz für die Gehälter geben“, sagt Christian Kolb, geschäftsführender Vorstand des ERF. Die Transformation solle Mitte November mit den entsprechenden Mitbestimmungsverfahren starten und bis Ende April 2023 abgeschlossen sein.

Bis Ende nächsten Jahres sollen, eben mit Blick auf Inflation und Spendenrückgänge, Sachkosten und Personalstärke reduziert werden. „Wir sind zuversichtlich, dass wir dies durch natürliche Fluktuation sowie einvernehmliche und sozialverträgliche Maßnahmen erreichen können“, sagt Christian Kolb. Was die Personalstärke anbelangt, sind bereits Entscheidungen getroffen worden, die in die gleiche Richtung zielen. In aller Regel gebe es bei ERF vier bis zehn offene Stellen, sagt Gesina Schneider. Neubesetzungen, wie sonst üblich, werde es nun aber nicht mehr geben.