Ein völlig harmloses Foto wurde von Facebook verborgen. Begründung: Es zeige "möglicherweise Gewaltdarstellungen oder explizite Inhalte". Nach unserer Berichterstattung hat...
WETZLAR/MENGERSKIRCHEN. Eine Reaktion der Facebook-Betreiber ist selten - und auch diesmal klingt sie eher nach einem Automatismus denn nach einem menschlichen Autor:
Dennoch: Unsere Berichterstattung wurde wahrgenommen. Und es wurde relativ schnell reagiert - das beanstandete Foto zu unserem Artikel ist nun wieder für jeden sichtbar.
Was sich zuvor ereignet hatte, ist allerdings auch einigermaßen kurios und hat im Netz einiges an Aufmerksamkeit erregt.
Die Ereignisse bis Freitagvormittag:
"Der hochgefährliche Staubbesen im Hintergrund könnte ja 'nen Strip hinlegen", mutmaßt humorvoll Userin Alexandra E.I. Und andere Facebook-Benutzer quittieren die Entscheidung der Netzwerk-Betreiber mit einem lachenden Emoji. Was war geschehen?
Wir hatten über einen jungen Geflüchteten berichtet, der in Mengerskirchen Fuß gefasst hat und sein bewegtes Leben nun schriftlich festhält - und zwar auf Deutsch. Eine positive Geschichte ohne Aufreger-Potenzial. Selbst die Leserinnen und Leser auf Facebook, wo wir den Artikel publiziert hatten, kommentierten die Story allenfalls mit "Daumen hoch". Später am Tag der Veröffentlichung jedoch geschah etwas, mit dem niemand - die Redaktion eingeschlossen - gerechnet hatte.
Wo bis zu diesem Zeitpunkt das Vorschaubild zum Artikel den jungen Mann an seinem Schreibtisch zeigte, prangte nun eine fast schwarze Fläche mit dem Hinweis: "Dieses Foto zeigt möglicherweise Gewaltdarstellungen oder explizite Inhalte." Wer den freundlich dreinblickenden Protagonisten unserer Geschichte sehen wollte, musste also ausdrücklich per Mausklick eine Entscheidung dazu treffen.
"Menschen sind auf Facebook aktiv, um ihre Erfahrungen zu teilen und das Bewusstsein für bestimmte Themen zu erhöhen, die ihnen wichtig sind", erklärt das weltweit größte soziale Netzwerk zu diesem Thema. "Um Benutzer beim verantwortungsvollen Teilen zu unterstützen, schränken wir möglicherweise die Sichtbarkeit von Fotos und Videos mit anstößigen Inhalten ein." So weit, so verständlich - wer sich etwas länger im Netzwerk aufhält, weiß, dass selbst abgefilmte Hinrichtungen oder blutige Bilder von Verbrechensopfern manchmal nur einen Klick entfernt sind. Wer sich allerdings andererseits die Mühe macht, selbige zu melden und die Akteure im Hintergrund darauf hinzuweisen, dass derartige Darstellungen gegen die legendären "Gemeinschaftsstandards" verstoßen, weiß, dass sich Facebook in der Regel sehr ziert, wenn es um Gewalt, Hetze oder Rassismus geht, und rascher einschreitet, wenn beispielsweise jemand nackt zu sehen ist.
Der junge Mann auf unserem Foto ist natürlich vollständig bekleidet und macht nichts anderes, als an seinem Schreibtisch zu sitzen. Dennoch galt für das Bild offenbar Folgendes: "Ein Foto oder Video mit anstößigen Inhalten kann mit einer Warnmeldung erscheinen, sodass Benutzer vor der Anzeige informiert sind."
Das hier erwartete jene Tapferen, die den entscheidenden Mausklick wagten:
Wir können nur vermuten, weshalb Facebook der Meinung war, unsere Leserinnen und Leser vor diesem Anblick schützen zu müssen. Eventuell hat sich jemand daran gestört, dass wir über einen Flüchtling berichten, und den Beitrag grundlos gemeldet, worauf er ohne Ansehen der Fakten entsprechend bearbeitet wurde. Oder - was noch trauriger wäre - bereits der Name des jungen Mannes hat zur Zensur geführt. Es könnte auch sein, dass ein Algorithmus beispielsweise die Handhaltung des Mannes fehlinterpretiert hat. Die Betreiber des Social-Media-Riesen halten sich in solchen Fällen bedeckt, was weitergehende Informationen angeht. In den Gemeinschaftsstandards wird aber zumindest aufgezählt, welche Inhalte wie beschrieben zensiert werden:
"Bilder von Föten, die Folgendes zeigen: Zerstückelung Abtreibungen oder Kindesaussetzungen Bilder von ausgesetzten Neugeborenen Fotos und Videos von Tieren im rituellen Schlachtkontext, die Zerstückelung oder sichtbare Eingeweide oder Verkohlung und Verbrennung zeigen
Bilder von sichtbaren Eingeweiden im Zusammenhang mit einer Entbindung
Bilder von nicht-medizinischen Fremdkörpern, die in religiösem oder kulturellem Kontext freiwillig durch die Haut des Menschen eingeführt oder eingebracht werden"
Von jungen Menschen, Büroeinrichtungen oder Sakkos ist nicht die Rede.