Das Bundesverdienstkreuz für 30 Jahre langes ehrenamtliches Engagement in der Telefonseelsorge: Claudia Odebrecht-Söhngen und Ingelore Guldenmeister sind für die Sorgen anderer da.
WETZLAR/BRAUNFELS. Einsamkeit, Verzweiflung, Sucht, Depression oder Missbrauch - wenn es bei der Telefon-Seelsorge Gießen-Wetzlar klingelt, wissen die Ehrenamtlichen nie, welches Thema sie erwartet.
Seit 30 Jahren nehmen die Braunfelserinnen Claudia Odebrecht-Söhngen und Ingelore Guldenmeister dort Anrufe entgegen. Für dieses Engagement wurden nun beide mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. "Der ehrenamtliche Dienst der Telefonseelsorge ist anonym und insofern ein Ehrenamt im Schatten - umso mehr ist dieser Einsatz zu würdigen", sagte Landrat Wolfgang Schuster (SPD) anlässlich der Verleihung im Kreistags-Sitzungssaal. In kleiner Runde, wie es sich die Preisträgerinnen gewünscht hatten, steckte ihnen Landrat Schuster den Verdienstorden stellvertretend für den Bundespräsidenten an.
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Der Dienst am Telefon sei herausfordernd, da man nie wisse, welches Thema komme, wer anrufe oder wie tief der Anrufer in Not stecke, erzählte Ingelore Guldenmeister. "Der häufigste Grund für einen Anruf bei uns ist Einsamkeit.", sagte sie. Ansonsten gehe es häufig um Beziehungsprobleme, nicht nur zwischen Paaren, sondern beispielsweise auch zwischen Eltern und ihren Kindern. So vielfältig wie die Themen seien auch die Anrufer: Von Jugendlichen bis zu Senioren seien alle Altersstufen vertreten.
Die Chefin der beiden Ausgezeichneten und Leiterin der Telefonseelsorge, Martina Schmidt, hatte die beiden Ehrenamtlichen für die Verleihung der einzigen allgemeinen Verdienstauszeichnung der Bundesrepublik vorgeschlagen. Die Pfarrerin erzählte vom Einsatz der beiden Ehrenamtlichen: "Regelmäßig habt ihr Menschen euer Ohr geliehen, ihr habt Mut gemacht, getröstet, ihr habt eure innere Resonanz zur Verfügung gestellt und eure Perspektive eingebracht, ohne selbst zu verzweifeln."
Jeden Monat zwei bis drei Schichten à fünf Stunden
Seit 1989 übernehmen Claudia Odebrecht-Söhngen und Ingelore Guldenmeister jeden Monat zwei bis drei Schichten von je fünf Stunden. Aktuell nehmen ungefähr 70 Ehrenamtliche aus Gießen, Wetzlar und Umgebung die Gespräche der Telefonseelsorge entgegen: 24 Stunden rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.
In Anbetracht der aktuellen Krisen rund um die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg und der daraus resultierenden Energiekrise sei die Arbeit der beiden Frauen und ihren Kollegen wichtiger denn je, erklärte Landrat Schuster und betonte erneut, dass diese wichtige Arbeit "im Schatten" ohne viel Aufsehen erfolge.
Bei Anrufern, die in Notsituationen stecken oder unter hoher psychischer Belastung stehen, sei es als Seelsorgerin besonders wichtig, bei sich zu bleiben und eine gewisse Distanz zu wahren, schilderte Guldenmeister. "Die Themen, mit denen man sich da auseinandersetzt, können einen leicht runterziehen.", sagt sie.
Um die Gespräche verarbeiten zu können, helfen die sogenannten Supervisionen. Bei diesen monatlichen Treffen wird in Gesprächen mit Fachpersonal das Gehörte und Gesagte aufgearbeitet. Das lebenslange Lernen sei das, was Ingelore Guldenmeister dazu angetrieben habe, sich immer weiter als Seelsorgerin zu engagieren. "Man lernt so viel über Menschen und das Menschsein - das ist einfach unheimlich spannend."
Auch könne man viele Erkenntnisse aus den Gesprächen auf das eigene Leben beziehen, neue Perspektiven zu Themen einzunehmen und sich dadurch persönlich weiterentwickeln.
Auch Martina Schmidt unterstrich den Mehrwert für das eigene Leben: "Man hört anders, man nimmt Gefühle besser wahr - sowohl die Gefühle anderer Menschen als auch die eigenen." Sich selbst zu kennen und zu lernen, mit seinen eigenen Ressourcen umgehen zu können, sei bei der Arbeit als Seelsorger von besonderer Bedeutung. "Bei den Gesprächen sind wir unser eigenes Instrument", erklärte Schmidt.
Durch die Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz soll das Ehrenamt im Schatten zwar ins Rampenlicht gerückt werden, jedoch ist vor allem die Anonymität bei der Seelsorge ein wichtiger Aspekt, um die Schwelle für Anrufer in Not niedrig zu halten.
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Die beiden Preisträgerinnen machten zum Schluss noch einmal deutlich: "Die Arbeit in der Telefon-Seelsorge ist die beste Schulung für die eigene Reife. Man lernt immer wieder dazu."
Von Leonie Dittrich