Am 1. Oktober 1872 begründete der Wetzlarer Ferdinand Schnitzler seine eigene Buchhandlung. Das ist 150 Jahre her. Doch gefeiert wird dennoch später.
WETZLAR. Sie ist einer dieser Orte, die, bei aller Anpassung an das digitale Zeitalter mit Onlineshop, Instagram und Co., eine wohltuende Portion Nostalgie gestatten. Die Rede ist von der Schnitzlerschen Buchhandlung. Sie besteht am 1. Oktober genau 150 Jahre.
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Rückblick. Am 1. Oktober 1872 gründete Ferdinand Schnitzler (1838-1886) - er übernahm die ältere Buchhandlung Alwine Bourguets - die Buchhandlung als Teil der Schnitzlerschen Buchdruckerei. Es folgten Jahrzehnte, in denen er nicht nur Bücher verkaufte, sondern zum Beispiel 1878 Bildnisse des Kaisers "in Farbendruck" oder 1914 "vorschriftsmäßige Feldpostkarten und Kuverts" für "Angehörige unserer im Felde stehenden Truppen". Zum einen. Zum anderen ging aus der Druckerei nach den Vorläufern "Wetzlarer Kreisblatt", "Wetzlarer Kreis- und Anzeigenblatt" und "Wetzlarer Anzeiger" nach dem Zweiten Weltkrieg die heutige "Wetzlarer Neue Zeitung" hervor.
Treffpunkt und Veranstaltungsort
1955 übernahm Heinrich Mignon die Buchhandlung und eröffnete sie am jetzigen Standort in der Weißadlergasse, machte sie zu einem Treffpunkt der Stadt. Auf Mignon folgte das Ehepaar Meister. Margarethe Meister reichte die Leitung am 1. April 1993 an Barbara Kuske und Gisela Wenzel weiter. Letztere schied später aus. Nach Barbara Kuskes Renteneintritt ist nun ihr Mann Ulrich Fasbender der Inhaber; wobei die Ruheständlerin ab und an präsent ist und im Gespräch gerne feststellt, dass man die Buchhandlung im Sinne Heinrich Mignons führe. Der habe sie einst als kulturellen Treffpunkt gesehen und betrieben. Was heißt, dass zwischen den hohen und gut gefüllten Bücherregalen auch immer wieder Veranstaltungen stattfinden, vor allem Lesungen, zu denen bereits Größen wie Petros Markaris zu Gast waren, aber auch kleine musikalische Abende mit Literatur; zudem lädt der Wetzlarer Kunstverein bald wieder zu seinen Abenden "Kunst im Gespräch" ein.
Doch im Mittelpunkt steht nach wie vor die Literatur. Man will "durch sorgfältige Auswahl der neuesten Bucherscheinungen und Beachtung auch der kleinen, eigenständigen Verlage" sein eigenes, besonderes Profil schaffen. Die Schnitzlersche setzt dabei auf die persönliche Beratung und eine möglichst breite Kenntnis der Bücher, die sie ihren Kunden empfiehlt.
So war es, so soll es auch im digitalen Zeitalter bleiben, denn, so Kuske, "Neuerungen sind kein Grund zur Aufregung. Die Leute lesen, man muss nur auf die Menschen eingehen und sie beraten." Beratung war und ist das A und O, nicht zufällig lautet das Motto "Die Buchhandlung, die Zeit für Sie hat". Und das schließt den ein oder anderen kleinen Plausch mit den Kunden selbstredend mit ein.
Fasbender ergänzt: "Wir sind mit der Zeit gegangen, zum einen, zum anderen sind wir dem Anspruch treu geblieben, der Kundschaft anspruchsvolle, gehobene Literatur anzubieten und dabei nicht den Fokus auf die Bestsellerliste zu legen." Aber man könne selbstverständlich alles, was denkbar ist, besorgen.
Die kleine Buchhandlung hat es gut durch die Pandemie geschafft. Dank Lieferdienst, Onlineshop und Abholservice sowie Internet ist der Kontakt mit den Bücherfreunden nicht abgerissen. Dabei, so Barbara Kuske, sei es sogar ein Vorteil, dass sie so klein seien. Denn die Kleinen würden überleben, während große Ketten Probleme hätten.
Geschäftsübergabe ist für 1. Mai 2023 geplant
Es scheint zu stimmen, denn immerhin gibt es die kleine intime Buchhandlung mit spitzwegschem Charme besagte 150 Jahre. Und eines steht fest: "Mit 150 ist noch lange nicht Schluss, es geht weiter", stellen beide fest- mit Henning Rühl. Der gelernte Buchhändler soll die Schnitzlersche am 1. Mai 2023 übernehmen. Er kennt sie gut, hat er doch bereits als Schulpraktikant dort gearbeitet. Nach seiner Ausbildung und abgeschlossenem Hochschulstudium sowie beruflichen Stationen außerhalb des Buchhandels (zuletzt am Staatstheater Braunschweig) kehrte er 2015 in die Schnitzlersche zurück. Fasbender wird aber für den fließenden Übergang noch länger im Geschäft präsent sein. Und im Mai soll dann auch gefeiert werden, und zwar der Neuanfang mit Blick nach vorn und nicht mit Blick zurück.