Tagung in Wetzlar würdigt Vertriebene und Spätaussiedler

Die Teilnehmer der Landeskulturtagung der Ost- und Westpreußen in der Wetzlarer Stadthalle.
© Lothar Rühl

Die Landeskulturtagung erinnert an das Schicksal und die Kultur der Ost- und Westpreußen.

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Wetzlar. Den Beitrag der Vertriebenen zum Aufbau der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg hat die hessische Landesbeauftragte für Vertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf (CDU) gewürdigt. Sie sprach bei der Landeskulturtagung des Landesverbandes der Landsmannschaften von Ost- und Westpreußen in der Wetzlarer Stadthalle. Ziegler-Raschdorf erinnerte an das Schicksal der 15 Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und den angestammten Siedlungsgebieten in Ost-, Mittel- und Südosteuropa. Es sei auch 78 Jahre später noch gegenwärtig.

„Bis heute führt Sie das Thema von Flucht und Vertreibung aus der geliebten Heimat regelmäßig in Ihrem Verband zusammen“, sagte sie den Anwesenden. Das Schicksal habe die Menschen in ihrer kompletten Existenz betroffen. Die Eingliederung der Heimatvertrieben sei eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. „Die Ankömmlinge sind als ein wertvoller und unverzichtbarer Teil in die hiesige Gesellschaft hineingewachsen“, stellte die 72-Jährige fest, deren Eltern selbst Vertriebene aus Ostschlesien waren.

„Die Heimatvertriebenen haben Kostbares aufgeben müssen“

Die Landesbeauftragte wies darauf hin, dass das Kulturgut der Ost- und Westpreußen reich und vielfältig sei. „Die Heimatvertriebenen haben Kostbares aufgeben müssen“, unterstrich sie. Die Bewahrung der ost- und westpreußischen Kultur, der Bräuche und Gepflogenheiten sowie die Bewahrung der Erinnerung seien wichtig für das Selbstverständnis dieser Menschen, aber auch notwendig für ein vollständiges Bild der Geschichte Deutschlands für alle Deutschen.

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Schließlich schlug Ziegler-Raschdorf einen Bogen in die Gegenwart: „Die Arbeit der Vertriebenenverbände ist so aktuell wie nie und wird auch weiterhin gebraucht. Solange es Kriege und Konflikte gibt, werden wir mit den Folgen von Flucht und Vertreibung konfrontiert“.

Landesschriftführer Michael Hundertmark (v. l.) bei der Landeskulturtagung des Bundes der Vertriebenen Hessen in der Stadthalle Wetzlar mit der Landesbeauftragten Margarete Ziegler- Raschdorf und dem Landesschatzmeister Kuno Kutz.
Landeskulturtagung der Ost- und Westpreußen in der Stadthalle mit den Referenten (v. l.): Rudolf Sauer, Thomas Ullrich, Stephan Kannowski, Gerhard Schröder, Hannelore Neumann, Margarete Ziegler-Raschdorf, Kuno Kutz, Michael Hundertmark und Reiner Buslaps.
Die Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler- Raschdorf dankt den Ost- und Westpreußen für ihren Beitrag zum Wiederaufbau der Bundesrepublik.

Das Amt der Landesbeauftragten endet für Ziegler-Raschdorf nach 15 Jahren im Dezember. Als eine der Errungenschaften ihrer Amtszeit bezeichnete sie die geplante Einrichtung einer Stiftungsprofessur „Historische Erinnerung und kulturelles Erbe: Vertriebene und Spätaussiedler in Hessen nach 1945“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen, in Verbindung mit dem Herder-Institut Marburg. Das Land Hessen unterstütze sie mit 1,5 Millionen Euro über mehrere Jahre hinweg. Hannelore Neumann (Karben) sagte, Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) sehe in dem neuen Schwerpunktbereich eine große Chance, eine Forschungslücke in der hessischen Geschichte zu schließen. Bis heute wisse man nicht genug über die Fluchterfahrungen der Heimatvertrieben, welche Probleme sie bei der Integration hatten und in welchen sozialen Verhältnissen sie gelebt hätten.

An der Tagung in der Stadthalle nahmen 40 der 230 Mitglieder des Landesverbandes teil. Sie treffen sich in zehn Kreisgruppen, von Darmstadt im Süden bis Eschwege in Nordhessen.

Musik, Tänze und das Brauchtum bewahren

Landesschatzmeister Kuno Kutz (82) aus Hüttenberg, der seit 2002 in Wetzlar monatliche Treffen der Landsmannschaft, Kreisgruppe Wetzlar, organisiert, sagte, die Kulturtagung solle die Erinnerung an das Schicksal der Vertriebenen und Geflüchteten wachhalten und die Kultur wie Musik, Tänze und das Brauchtum bewahren. Die Tagung wurde vom Wetzlarer Michael Hundertmark geleitet, der dem Landesvorstand als Schriftführer angehört. Er war spontan eingesprungen, da der Landesvorsitzende Ulrich Bonk aus familiären Gründen nicht teilnehmen konnte.

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In sieben Vorträgen vertieften die Teilnehmer Erfahrungen und Erinnerungen an ihr Schicksal als Erlebnis- und Erinnerungsgeneration. Gerhard Schröder aus Mühltal schilderte seine Erlebnisse mit der Berliner Luftbrücke, mit der die westlichen Alliieren die Versorgung der zwei Millionen Westberliner sicherstellen, nach dem die Sowjetunion die Wege zu Land, zu Wasser geschlossen hatte. Er habe die „Rosinenbomber“ vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 als Junge selbst erlebt und sei mit einem solchen Flugzeug auch in ein Ferienlager geflogen. Damals sei aus den Besatzern der Westzonen eine Schutzmacht geworden, die mit 277.682 Hilfsflügen die Westberliner vor der sowjetischen Machtübernahme gerettet habe. Schröder erinnerte auch an die aus Taschentücher gebastelten Fallschirme, mit denen die Pilotzen Süßigkeiten abwarfen. Diese Idee soll von dem amerikanischen Piloten Gail Seymour Halvorsen stammen. Er habe Halvorsen vor zehn Jahren persönlich bei einem Besuch in Mühltal gesehen, berichtete Schröder. Der legendäre Pilot starb im vergangenen Jahr im Alter von 101 Jahren.