Wem nützt die Verschwörung?

Kondensstreifen oder Chemtrails? Verschwörungstheoretiker haben ihre eigene Antwort.  Foto: Schneider/dpa

Heilung versprechen, Geschäfte machen, rechtes Gedankengut verbreiten: Über die Gefahren von Esoterik haben die mittelhessischen Skeptiker aufgeklärt. Und so manche Debatte...

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WETZLAR. Heilung versprechen, Geschäfte machen, rechtes Gedankengut verbreiten: Über die Gefahren von Esoterik haben die mittelhessischen Skeptiker aufgeklärt. Und so manche Debatte mit neuem Sprengstoff versehen.

Nazis haben eine unterirdische Antarktis-Basis in Neuschwabenland. NSA und CIA wollen uns mit Chemikalien aus Flugzeugen vergiften. Impfstoffhersteller sind verantwortlich für Autismus. Verschwörungstheorien gibt es viele und sie reichen von naheliegend bis vollkommen absurd, von harmlos bis hochgefährlich.

Die Skeptiker – eine lose Gruppe von Menschen, die Glaubensgrundsätze und Dogmen hinterfragen – haben am Dienstagabend in Wetzlars Alter Aula einen Blick auf eine kleine Zahl von Verschwörungen geworfen und gezeigt, dass oftmals mehr dahinter steckt, als eine blühende Fantasie.

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Cui bono – wem zum Vorteil? Dieser Frage sind bei den "Aktionstagen gegen geistige Brandstiftung" vor allem Holm Gero Hümmler und Jochen Blom nachgegangen. Hümmler war vor allem daran gelegen, zu mahnen, dass der Weg von der vermeintlich harmlosen Esoterik zu verfassungsfeindlichem Gedankengut ein kurzer sein kann. Nicht alle Esoteriker stellte er in die braune Ecke, aber zeigte die Verknüpfungen auf. Mit Bildern, Screenshots von Webseiten und Diagrammen stellte er das Bild einer Szene auf, die auch in der Region – Gieß;en oder Friedberg etwa – zu Kongressen einlädt, deutschlandweit aktiv ist und auf dem Engagement einiger Weniger fuß;t, die ihre ganz eigenen, alternativen Medien eben nicht nur für alternative Medizin, sondern auch für alternative "Fakten" nutzen. Ein paar Klicks neben Hitler-Reden finden sich dann Angebote für Energie-Harmonisierung und Ayurveda.

"Für mich als Schüler der 80er Jahre hieß; alternativ immer: lange Haare, Jesuslatschen", sagte Holm Hümmler, der sich selbst als innerhalb des demokratischen Spektrums rechts bezeichnete. Heute bedeute es, die Bundesrepublik als unrechtmäß;ig abzulehnen und etwa die Germanische Neue Medizin zu propagieren. Sie geht davon aus, dass jede Krankheit ein innerer Konflikt ist und Schmerz in jedem Fall ausgestanden werden müsse.

"Blauer Himmel" in Heuchelheim redet nicht nur über gutes Wetter in Mittelhessen

Warum all dies? Als Ziel nannte Hümmler deutlich die Verbreitung rechter Propaganda. "Das Problem ist, dass diese Klientel in der Regel nicht gewillt ist, Geld für diese Inhalte auszugeben", so Hümmler: Rechte Bezahlangebote im Netz seien stets nach kurzer Zeit pleitegegangen. Die Esoterik diene also der Finanzierung rechter Propaganda – und die Verschwörungstheorie sei das Mittel zum Zweck: Wenn die Pharmaindustrie wahlweise von Geheimlogen, Juden oder Amerikanern beherrscht wird, wenn eben diese "Mächte" den Himmel und das Wasser vergiften, dann hilft nur "geheime" Medizin und Technik, die von der Schulmedizin bewusst totgeschwiegen werden. Eine verquere, aber ich sich konsistente Logik.

Dass die Szene auch in der Region aktiv ist, machte Jochen Blom deutlich. Von obskuren Herstellern energieregulierender Systeme in Waldsolms hatte schon Hümmler berichtet. Blom nannte auch Anbieter esoterischer Seminare aus Wetzlar oder ebendort einen Vertriebspartner eines physikalisch unsinnigen Produktes zur Harmonisierung von Energiefeldern im Körper. Und dann sprach Blom Heuchelheim an.

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In der Gemeinde ist die Gruppe "Blauer Himmel" beheimatet, die ihren Beginn nahm mit der Kritik an Kondensstreifen – in der Szene: Chemtrails – und inzwischen offen rechte Vorträge anbietet. "Die erreichen damit ein durchaus bürgerliches Publikum", mahnte Blom vor rund 120 Gästen, die ein politisches Spektrum von den Linken bis zur CDU abdeckten.

Was tun? Vor allem riet Blom zum Nachdenken. "Man muss mehr kritische Distanz wahren", sagte er – das gelte für viele Themen. Und so tat er etwa selbst bei den Wetzlarer Labyrinthwochen eine Referentin auf, die er dem rechten Spektrum zuordnete. "Es gibt ein zu geringes Problembewusstsein", mahnte Blom – eben auch, weil die Esoterik auf den ersten Blick so harmlos wirke. Dabei sei die Szene in Mittelhessen gut verknüpft.

Nach einer vermeintlichen Wunderheilung auf der Bühne, für die sich der PARTEI-Politiker Dominic Harapat als Proband zur Verfügung stellte, war es dann an Sebastian Schmalz, den Blickwinkel weg vom rechtsextremen Gedankengut hin zum Alltags-Aberglauben zu lenken. Unter den Titel "Ihre Mikrowelle will Sie töten. Und ihr Handy weiß; Bescheid" stellte er seinen Vortrag über Elektrosmog.

Wie seine Kollegen auch, nahm er sich seiner Sache durchaus amüsant an. Sein Vortrag war von Dreien sicherlich der am wissenschaftlichsten fundierte – gerade weil sich Dinge wie Magnetfelder und Stromstärken messen lassen. Der Betreiber eines Blogs, in dem er Alltagsmythen zu Themen wie eben Elektrosmog, Glyphosat und vielem mehr mittels der aktuellen Studienlage auf ihren Wahrheitsgehalt abklopft, dürfte so manchen Zuschauer beruhigt haben – vereinfacht gesagt: Der Fön gibt mehr Strahlung ab als die Mikrowelle, das Handy schadet nur, wenn man es ununterbrochen im Dauerbetrieb ans Ohr hält, und das WLAN-Signal wird durch die menschliche Haut so gut abgeschirmt, dass es nichts ins Körperinnere strahlt.

Eine Strahlung aber, sagte er, schade wirklich: sichtbares Licht. Und dann präsentierte er augenzwinkernd eine erschreckende Rechnung, nach der allein in Deutschland pro Monat 30 Milliarden Insekten erschöpft unter Straß;enlaternen und vor pittoresk angestrahlten Kirchen und Denkmälern verenden.

Von Malte Glotz