Der Fachkräftemangel ist Realität, auch im öffentlichen Dienst. In Wetzlar, Stadt der Baustellen, ist ausgerechnet das Baudezernat davon betroffen und muss Aufgaben auslagern.
Wetzlar. Das Wetzlarer Baudezernat hatte ja zuletzt vor allem durch den rasanten Wechsel an der Spitze des Tiefbauamts von sich Reden gemacht. Drei Amtsleiter innerhalb von weniger als zwei Jahren - das ist schon was. Und doch ist das nur ein Teil des Problems. „Wir haben zunehmend Personalsorgen, angefangen beim einfachen Arbeiter bis hin zu Ingenieuren und Architekten”, sagt Baudezernent Andreas Viertelhausen (FW). „Wir verlieren Leute, vor allem in die Privatwirtschaft. Dort wird teilweise das Doppelte bezahlt.” In der Folge müssen Aufgaben, die die Verwaltung eigentlich selbst erledigen könnte, nach außen vergeben werden, zuletzt die Finalisierung von Bebauungsplänen für die Nachverdichtung in Steindorf und der Langgasse. Was tun?
Aktuell sind elf Prozent der Stellen unbesetzt
Derzeit sind 13,5 von 121,5 Stellen im Baudezernat unbesetzt. Das Gros der unbesetzten Stellen findet sich im Tiefbauamt, einem der fünf Ämter des Dezernats. Dort gibt es aktuell laut Statistik 9,09 freie Stellen, im Amt für Gebäudemanagement (Hochbau) sind es 2,93 Stellen. Unterm Strich sind damit etwa elf Prozent aller Planstellen des Dezernats II unbesetzt. 2011, so lange reicht die Statistik zurück, waren es nur drei Prozent. Zuletzt hatte die Stadt einen Sachgebietsleiter im Amt für Gebäudemanagement ziehen lassen müssen. „In der Privatwirtschaft verdient er das Zweieinhalbfache dessen, was er hier verdient. Das ist mehr als die Amtsleitung. Da können wir nicht mithalten”, räumt Viertelhausen ein. „Als öffentliche Verwaltung stecken wir in der Tarifstruktur fest.” Auch Standardtätigkeiten wie die Nachrechnung von Brücken würden nun zusehends an externe Büros vergeben, sagte der Dezernent im Bauausschuss.
So viel bezahlen, wie man will, um einen bestimmten Mitarbeiter zu kriegen - was die Privatwirtschaft tun kann, das falle als Möglichkeit für die Stadt aus, räumt Viertelhausen ein. Zumindest aber ließen sich die Regeln kreativ auslegen. „Wir konnten für eine Stelle im Bereich der Abwasserentsorgung eine Entgeltgruppe mehr gewähren, weil es sich um eine Mischtätigkeit für Kläranlage und Kanalwerk handelt.” Das habe sich bei der Besetzung ausgezahlt. „Es gibt oft die Chance, zu sagen, dass sich das Aufgabenfeld einer bestimmten Stelle verändert hat oder die Aufgaben umfangreicher geworden sind und dadurch eine Neubewertung der Stelle vorzunehmen. Aber solche Möglichkeiten finden Sie nicht überall”, räumt der Dezernent ein. Und berichtet von einem Wettbewerb der Kommunen untereinander: „Wir schauen uns auch an, was andere Kommunen an Entgeltgruppen angeben. Und fragen uns manchmal, wie das zustande kommt.”
Die angespannte Personalsituation ist für die Opposition schon länger ein Thema. „Die Eingruppierung in einigen Teilbereichen der Verwaltung tragen sicher nicht dazu bei, gutes Personal zu finden”, hält der CDU-Stadtverordnete und Baufachmann Klaus Scharmann fest und nennt exemplarisch den Bereich der Abwasserentsorgung. Die CDU habe schon vor längerer Zeit die Umwandlung des als Abwasserverbandes in einen Eigenbetrieb gefordert. Er wird derzeit als Zweckverband geführt, die Mitarbeiter sind bei der Stadt beschäftigt. „Wäre der Abwasserverbandes ein Eigenbetrieb, könnte dort sicherlich eine andere Personalpolitik gefahren werden”, sagt Scharmann. Sprich: Es könnte, außerhalb des Tarifgefüges der Stadt, besser bezahlt werden.
Wobei Viertelhausen Wert darauf legt, dass eine Stelle im öffentlichen Dienst auch ihre Vorteile habe. Geregelte Arbeitszeiten zum Beispiel oder die Tatsache, dass der Chef am Wochenende eben nicht anruft. Doch scheinbar genügt das nicht, wie die Zahl der unbesetzten Stellen nahelegt. „Wir haben die Homeoffice-Möglichkeiten ausgeweitet und bieten dort große Freiheiten. Zudem testen wir im Commerzbank-Hochhaus neue Arbeitsplatzmodelle, die mehr Raum für Kommunikation bieten. Auch das ist ja ein Mehrwert.” Auch das E-Bike-Leasing unterstützt die Stadt. Allerdings: Das dürfte nur ein i-Tüpfelchen sein für denjenigen, der sich ohnehin für den öffentlichen Dienst entscheidet. Weniger eine Argument, sich gegen einen doppelt so gut dotierten Job in der Privatwirtschaft zu entscheiden. „Für Fachkräfte ist der öffentliche Dienst momentan einfach nicht mehr so attraktiv”, sagt auch Scharmann. Das sei insgesamt ein Thema, der Fehler müsse nicht allein in der Bauverwaltung gesucht werden.
Dort zeigte sich die Auswirkung der freien Stellen zuletzt an der Entwicklung der Überstunden. Vor allem Führungskräfte hatten in den vergangenen Jahren viele zusätzliche Stunden angehäuft. „Wenn im Unterbau Leute fehlen, wird das von den Führungskräften aufgefangen”, erklärt der Dezernent dazu. Ende 2019 hatte die Mehrarbeit mit 5005 Überstunden den höchsten Stand seit 2013 erreicht. In der Folge waren Ende 2020 viele Überstunden ausbezahlt worden, da nicht davon auszugehen war, dass die Mehrarbeit abgebaut werden könnte. Für die Zukunft soll ein Auflaufen von Überstunden dadurch verhindert werden, dass die Mitarbeiter für das Jahresende eine feste Zielvorgabe erhalten. Sie müssen sich dann entscheiden, ob sie Mehrarbeit abfeiern oder auszahlen lassen wollen, kündigt der Baudezernent an.