Wo jobben Wetzlars Schüler und Studenten?

Geringe Arbeitserfahrungen, hohe Gehaltsforderungen: In nicht wenigen Gastronomiebetrieben in Wetzlar arbeiten kaum noch Schüler und Studenten (Archiv).
© Pascal Reeber

Was war, ist nicht mehr: Seit Corona arbeiten weniger Jugendliche in der Gastronomie. Woran liegt das und wie sieht es jetzt mit dem Nebenverdienst aus? Beispiele aus Wetzlar.

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Wetzlar. Früher war es bei jungen Leuten nicht unüblich, neben der Schule oder dem Studium in der Gastronomie zu arbeiten, um sich ein wenig Geld hinzuzuverdienen. Man kellnerte, lieferte Pizza aus oder bereitete Eiskaffee zu. Doch kaum noch Jugendliche arbeiten in der Branche. Das bestätigt auch Ingrid Schröder vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) und Betreiberin der Pension Domblick in Wetzlar: „Das ist alles rückläufig geworden. Es wird nicht besser, eher schlechter“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Lahn-Dill.

Antonino Mandra von der Wetzlarer „Hauptwache“ hat zum Beispiel keine Schüler oder Studenten mehr als Aushilfe beschäftigt, obwohl er gerne welche hätte. Die jungen Menschen hätten keine Lust zu arbeiten. Und Leute, die keine Leistung erbrächten, wollten dennoch 15 Euro, meint er. Trotzdem bietet Mandra den Bewerbern zweimal eine Probezeit und die Möglichkeit zu lernen an.

Jeder Gastronom leidet unter Personalmangel.

Antonino Mandra Gastronom, Hauptwache Wetzlar
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Die Auswirkungen von Corona

Das Eis von Cornelia Chilá ist preisgekrönt. Sie ist seit 24 Jahren Inhaberin des Eiscafés Emilio am Sturzkopf. Die Corona-Pandemie sei für sie ein Desaster gewesen. Vorher habe sie den kompletten Laden renoviert und musste dann mit bis zu 80 Prozent Einbußen aufgrund der Einschränkungen klarkommen. Die Einbußen seien aber nicht nur finanzieller, sondern auch psychischer Natur gewesen. Manche Kunden gaben ihr und ihren Mitarbeitern die Schuld für die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, sagt sie im Gespräch mit der Redaktion.

Die Folgen der Zeit seien bis heute spürbar. Der Personalmangel betreffe sie besonders. Diesen führt sie auch darauf zurück, dass die Pandemie für eine „mentale Lücke“ in der Entwicklung vieler Jugendlicher gesorgt habe. Sie seien verwöhnt und legten sehr viel Wert auf Work-Life-Balance. Und am Wochenende zu arbeiten, sei „voll doof“, zitiert sie Aussagen. Junge Leute, die noch arbeiten wollten, seien schwer zu finden.

Selbst wenn ich jemanden finde, kann ich ihn nur sechs Monate im Jahr beschäftigen. Wer sagt: ‚Mir schmeckt Eis auch im Winter‘, meint einen Zimtstern von Aldi

Cornelia Chilá Inhaberin, Eiscafé Emilio

Diese Entwicklungen haben dafür gesorgt, dass Cornelia Chilá jetzt auf Selbstbedienung umgestellt hat. Und sie ist sehr glücklich über diese Veränderung. Sie hat tatsächlich auch das Glück, zwei Jugendliche bei ihr arbeiten lassen zu können. Die beiden nennt sie stolz „die süßesten zwei Goldstücke“. Anders als andere Jugendliche hätten diese „stabile Familien mit konsequenten Eltern“, die ihre Kinder auf das Leben vorbereiten. Von der Jugend allgemein wünscht sie sich mehr Empathie und Respekt.

Die Pandemie hatte im Eiscafé von Cornelia Chilá für frühere Schließzeiten und große Einbußen gesorgt.
Die Pandemie hatte im Eiscafé von Cornelia Chilá für frühere Schließzeiten und große Einbußen gesorgt.
© Cornelia Golda
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Eines ihrer „Goldstücke“ ist David Leimann. Er hat auch vor seiner Stelle beim Eiscafé Emilio schon in der Gastronomie gearbeitet, aber die Dynamik unter Chilás Mitarbeitern beschreibt er als „besonders phänomenal“. An der Branche gefällt ihm, dass man alle Menschentypen in ihrer Freizeit erlebt. „Ich würde das nicht machen, wenn es mir keinen Spaß machen würde.“

Eine andere Gastronomin hingegen, die nicht genannt werden will, ist extrem vom Personalmangel getroffen. Sie beschäftigt zwar noch einige Schülerinnen und Schüler in ihrem Restaurant, früher waren es jedoch mehr. Alle paar Wochen müssten neue Aushilfen ran. Sie spricht recht drastisch von einer „unselbstständigen Verwöhngeneration“, die fürs Addieren simpelster Beträge einen Taschenrechner benötige.

Was arbeitet die Jugend?

Eine Schülerin, die in der Gastronomiebranche arbeitet, ist Aliya Kiranmezar (17) aus Wetzlar. Sie geht derzeit in die 11. Klasse der Goetheschule Wetzlar und hat schon in zwei verschiedenen Restaurants gekellnert. Die junge Frau arbeitet nicht nur wegen des Geldes. Sie will sich die Arbeitserfahrung holen. Hintergrund: Ihr Praktikum an ihrer Mittelstufe war wegen der Pandemie ins Wasser gefallen.

In ihrem Umfeld arbeitet sonst so gut wie niemand in der Gastronomie, „einfach, weil das Interesse nicht da ist“, sagt sie. Die Arbeit sei körperlich sehr anstrengend, was oft unterschätzt werde. Deshalb versuchten viele Jugendliche, in anderen Berufsfeldern Geld dazuzuverdienen. In ihrem Umfeld gebe es auch Schüler, die sich stattdessen sogar selbstständig machen wollten. Moritz Hütsch (18) zum Beispiel hat das während seiner Schulzeit getan. Er hat sich so früh wie möglich durch digitales 3D-Design einiges hinzuverdient. Dadurch habe er vollkommene Autonomie, seine Auszahlung sei flexibel von seiner Leistung abhängig. An der Gastronomie hat er hingegen unter anderem wegen der Bezahlung kein Interesse, wie er sagt.

Auch die Studentin Vanessa Bartl (22) hat kein Interesse an einem Job in der Gastronomie. Nicht mehr. Denn sie hat in der Branche mehr als vier Jahre lang bei einer internationalen Kette gearbeitet. Sie habe schlechte Erfahrungen mit dem Arbeitsverhältnis gemacht. Der Betrieb sei abhängig davon gewesen, dass sie jederzeit einspringen kann. Meist habe sie pausenlos arbeiten und durchgehend im Kundenkontakt stehen müssen. Da das Berufsfeld so stressig sei, ist Vanessa vor ungefähr einem Jahr in den Einzelhandel gewechselt. Sie hat jetzt eine bessere Bezahlung, geregelte Arbeitszeiten und feste Pausenzeiten, freut sie sich.

Doch nicht alle Gastronomen klagen

Das kleine Restaurant „Zum Kesselchen“ in der Wetzlarer Altstadt wird von Christian Staller und seiner Frau betrieben. Staller ist zufrieden. Er leidet nicht unter Personalmangel. Eine Schülerin hilft in seinem Restaurant aus. Auf die Frage, warum sie zu ihm und nicht zu anderen gekommen ist, nennt er die überschaubare Arbeitszeit und die Bezahlung.

Auch Eric Jung fehlt kein Personal im Café am Rosengärtchen. Bei ihm arbeiten zwei bis vier Schüler und Studenten, die zwischen 18 und 20 Euro an Stundenlohn bekommen und während der Arbeit kostenlos essen und trinken dürfen. Trotz der sechsstelligen finanziellen Verluste durch die Corona-Pandemie ist die Zahl an Aushilfen aufgrund der guten Bedingungen konstant.

Sollten Schüler und Studenten überhaupt arbeiten müssen?

Jakob Steinbach (19) aus Solms-Oberndorf hat Glück. Er war in seiner Zeit als Schüler nicht auf einen Job und einen Zuverdienst angewiesen. Trotzdem hat auch er auch in den Ferien gearbeitet, um sich eine größere Anschaffung finanzieren zu können und ein wenig Erfahrung zu bekommen. In die Gastronomie ist er nicht gegangen, weil es in seinem Umkreis keinen solchen Betrieb gab, bei dem dies möglich war. „Arbeit ist neben der Schule ein erheblicher Mehraufwand, kann Leistung behindern und sorgt für Einschnitte in der Flexibilität.“

Vor allem für Schüler sei es oft auch schwierig, zwischen Unterricht, dem Zuhause und Arbeitsplatz hin und her zu pendeln. Vor Mitschülern, die Schule und Beruf gleichzeitig stemmen, hat Steinbach großen Respekt, wie er sagt. „Es ist nicht richtig, wenn Schüler für ein normales Leben mit Kinobesuchen und Essengehen zusätzlich arbeiten müssen. Junge Menschen möchten etwas erleben“, findet Jakob Steinbach. Besonders ungünstig sei es, wenn Schüler die eigene Familie finanziell durch ihre Arbeit unterstützen müssen.

Wenn man eine höhere Ausbildung verfolgt, sollte man diese mit voller Energie ernstnehmen können. Nichts nebenbei sollte nötig sein

Jakob Steinbach Schüler