Über Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS im Erwachsenenalter sprach die Professorin Alexandra Philipsen auf dem Herbstsymposium der Vitos Weil-Lahn in Hadamar
Von Kerstin Kaminsky
Auch im Erwachsenenalter können Medikamente bei ADHS helfen. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
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HADAMAR - Bei jedem 20. Kind wird inzwischen ein Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) diagnostiziert und behandelt. Weitere fünf Prozent gelten als Verdachtsfälle. Ging man früher davon aus, diese Störung wachse sich aus, ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen, dass sie bei etwa der Hälfte aller Betroffenen mit verschiedenen Ausprägungen bis ins Erwachsenenleben fortdauert. Über Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten sprach die Professorin Alexandra Philipsen auf dem Herbstsymposium der Vitos Klinik Weil-Lahn in Hadamar.
Die Probleme von Erwachsenen mit ADHS sind vielfältig. Viele Betroffene haben das Gefühl, ihr Leben einfach nicht auf die Reihe zu kriegen. Sie leiden permanent an einer inneren Unruhe, sind impulsiv und können sich schlecht konzentrieren. Tatsächlich werde jedoch nur ein Drittel all jener, bei denen diese Störung klinisch festgestellt wurde, auch adäquat behandelt, so die Expertin. "Und das, obwohl das Sterberisiko zweifach erhöht ist. Sofern noch eine Suchterkrankung hinzukommt - was recht häufig der Fall ist - sogar um das Achtfache."
Die Diagnose läge in den Händen des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Neben einer strukturierten Anamnese könne ein neuropsychologischer Test, zum Beispiel in Bezug auf den IQ, sinnvoll sein. Ebenso Laboruntersuchungen zur Differenzialdiagnostik, denn auch Eisenmangel oder eine Fehlfunktion der Schilddrüse kämen für ein gesteigertes Maß an Unaufmerksamkeit in Frage.
Zum Hintergrund der Erkrankung erklärte die Wissenschaftlerin, dass ADHS in erster Linie genetisch bedingt sei, aber Umweltfaktoren ebenfalls eine Rolle spielen würden. So sei die Wahrscheinlichkeit bei Frühgeborenen oder Kindern mit besonders geringem Geburtsgewicht erhöht. Auch der Konsum von Alkohol und Nikotin oder eine immunologische Erkrankung der Mutter während der Schwangerschaft können mitverantwortlich sein.
"ADHS kommt selten allein", betonte die Referentin. Das Risiko, zusätzlich an einer Persönlichkeitsstörung, einem Zwang, einer Sucht oder einem anderen psychischen Leiden zu erkranken, ist fünffach höher, als bei Menschen ohne ADHS. "Deshalb macht die Behandlung auf jeden Fall Sinn", betont sie.
Im ersten Schritt ginge es darum, dass Betroffene bereit werden, ihre Krankheit selbst anzunehmen. Nur dann könne ein verhaltenstherapeutisches Konzept greifen, bei dem die Patienten lernen, am Ball zu blieben oder mit Ärger besser umzugehen. Bei mäßiger und schwerer ADHS empfehle sich zusätzlich die Medikamentengabe. Wenn beides nicht reicht, böte sich die ergänzende Psychotherapie an.
"Auch der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe macht es Betroffenen oft leichter, mit ihren Versagensängsten, der Scham und dem Gefühl umzugehen, immer hinter den eigenen Möglichkeiten zurückzubleiben," weiß Alexandra Philipsen. Eine Studie, an der sie selbst mitgewirkt hat, zeige außerdem den Wert von Bewegung als Kompensationsstrategie. Ihr Fazit: "Je mehr Sport jemand treibt, umso weniger belastet ihn sein ADHS".
In Deutschland sind drei Substanzen zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen zugelassen. "In Wirksamkeit und Verträglichkeit haben Amphetamine die Nase vorn", erklärte die Referentin. "Bei Patienten, die trotz der medikamentösen Behandlung noch Symptome zeigten, besserten sich diese deutlich nach einer sechsmonatigen Psychotherapie."