Mit einer eindrucksvollen Lesung der Buchautorin Sigrid Falkenstein ist in der Gedenkstätte Hadamar die Veranstaltungsreihe zum Thema „Das Denkmal der grauen Busse“ fortgesetzt worden.
Von Klaus-Dieter Häring
Die berüchtigten grauen Busse transportierten Patienten nach Hadamar. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum Thema fand nun in Hadamar die Lesung von Autorin Sigrid Falkenstein statt, die an das Euthanasie-Opfer Anna Lehnkering erinnert.
(Foto: Archiv)
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Hadamar - Mit einer eindrucksvollen Lesung der Buchautorin Sigrid Falkenstein ist in der Gedenkstätte Hadamar die Veranstaltungsreihe zum Thema „Das Denkmal der grauen Busse“ fortgesetzt worden.
Das Denkmal, das an die Bustransporte von Patienten in die „Euthanasie“-Tötungsanstalten erinnert, ist noch bis zum 26. Januar 2019 vor dem Hadamarer Schloss zu sehen.
Die Veranstaltung in der Hadamarer Gedenkstätte stand unter dem Motto „80 Jahre danach – Erinnerung an die Reichspogromnacht von 1938“. Regina Gabriel, pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte, erinnerte dabei auch an Anschläge auf Häuser von Flüchtlingen wie 2001 in Mölln und Solingen. Eine weitere Frage, die von Regina Gabriel behandelt wurden, war „Was treibt uns an?“ Ihre Antwort: Die Mitarbeiter der Gedenkstätte würden sich als Multiplikatoren der politischen Bildung verstehen. Es sei ein Erziehungsauftrag, immer wieder von den unsäglichen Geschehnissen des Nationalsozialismus zu sprechen.
Anna galt als „ökonomisch unbrauchbar“ und starb mit nur 24 Jahren
Damit war der Einstieg für den Gast des Abends geschaffen. Denn Sigrid Falkenstein will mit ihrem Buch „Annas Spuren“ den Namen ihrer Tante Anna Lehnkering lebendig halten, die im März 1940 im Zuge einer Massendeportation nach Grafeneck in Württemberg gebracht und sofort getötet wurde. Mit ihrem Tod geriet sie in Vergessenheit – bis zum Jahr 2003. Durch einen Zufall kam Sigrid Falkenstein auf der Suche nach genealogischen Daten im Internet auf das Schicksal von Anna Lehnkering. Denn sie gab den Namen ihrer Großmutter ein, die ebenfalls Anna Lehnkering hieß.
„Welch ein Schock, als ich den Namen auf einer Liste von Euthanasie-Opfern fand“, sagt sie. Eine knappe Antwort bekam sie von ihrem Vater: „Sie wurde irgendwann in den 30er Jahren in eine Anstalt gebracht. Dort ist sie irgendwann während des Krieges gestorben.“ Nach Recherchen in Patientenakten im Deutschen Bundesarchiv gestaltete sich die Suche nach Hinweisen zwar schwierig, doch nach und nach gelang es, Annas Biografie wie ein Puzzle zusammenzusetzen. 2012 erschien schließlich das Buch „Annas Spuren“.
Am 2. August 1915 kam Anna Lehnkering in Oberhausen-Sterkrade zur Welt, wo ihre Eltern eine Gaststätte betrieben. Sie hatte vier Brüder. Auffällig war Anna zunächst nicht: „Sie war ein liebes, sanftmütiges Mädchen.“ Sie ging zur Hilfsschule, weil ihr das Lernen schwerfiel – „das hat man ihr aber nicht angesehen. Sie war ganz unauffällig und harmlos“. Bei weiteren Recherchen fand Sigrid Falkenstein eine Patientenakte aus der Bonner Kinderanstalt für seelisch Abnorme. Der Akte ist zu entnehmen, dass sich das Kind bis zum vierten Lebensjahr normal entwickelte. „Doch dann merkten die Eltern plötzlich, dass das Mädchen unruhig wurde. Es kam nachts an die Tür des Zimmers der Mutter und war verängstigt. Wurde schreckhaft, zitterte häufig am ganzen Körper.“ Als Anna sechs Jahre alt war, ging die Mutter mit ihr zum Arzt. Die Diagnose lautete „angeborener Schwachsinn“. Somit galt sie als erbkrank.
Bis zum 14. Lebensjahr ging das Mädchen in eine Hilfsschule und arbeitete zu Hause. Nach den Maßstäben der damaligen Erb- und Rassehygieniker war sie aber kein brauchbarer Mensch, sondern ein „nutzloser Esser“ oder „Ballastexistenz“. Mit 19 Jahren wurde sie unfruchtbar gemacht.
Von 1936 bis 1940 war Anna Patientin in der Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau im Kreis Kleve. Mit einem Geheimschreiben Hitlers 1939 wurde in Auftrag gegeben, „unheilbar Kranken den Gnadentod gewähren zu können“. Anna erfüllte die Auswahlkriterien ihrer Mörder perfekt. Sie galt als unheilbar erkrankt, als schwierige Patientin und vor allem als ökonomisch unbrauchbar und wurde daher im Rahmen der „Aktion „T4“ zur Vernichtung bestimmt. Dieser Aktion sind nach derzeitigem Forschungsstand etwa 300 000 Menschen zum Opfer gefallen. Anna wurde nun nicht mit einem grauen Bus, wie damals üblich, sondern mit einem Sonderzug der Reichsbahn nach Grafeneck gebracht und dort im Alter von 24 Jahren getötet.
Eindrucksvolle Worte fand die Autorin am Ende noch mit einer direkten Anrede an Anna Lehnkering: „Liebe Anna, wir können nichts ungeschehen machen. Doch wir können an die Verbrechen erinnern, um auf diese Weise unser Mitgefühl zu bekunden, aber auch, um zu lernen.“ Musikalisch wurde die Lesung von Emile Soßdorf mit ihrer Klarinette begleitet.