Was denken die Mauerfall-Kinder heute?

LIMBURG-WEILBURG - Sie wurden im Jahr der Grenzöffnung 1989 geboren, haben also keine aktive Erinnerung an ein geteiltes Deutschland. Was bedeutet den heute 30-Jährigen das wiedervereinigte Deutschland und haben sie trotz allem noch Klischees über den östlichen Teil Deutschlands im Kopf?

Maximilian Hanisch stammt aus Weilburg, lebt aber in Flensburg. Die Folgen des Mauerfalls sind ihm sehr bewusst, wie er sagt. "Wie das geteilte Deutschland er- und gelebt wurde, weiß ich hauptsächlich durch die Geschichten, Erlebnisse und persönliches Interesse an der jüngsten deutschen Geschichte."

Für Maximilian Hanisch ist jedoch nicht nur das geeinte Deutschland erlebbar, sondern auch ein geeintes Europa. Er schätzt, gerade an seinem Wohnort Flensburg, die Grundfreiheiten in Europa, besonders die Personenfreizügigkeit.

Teilung ist
heute undenkbar

"Dass Deutschland durch eine Grenze oder gar Mauer geteilt ist, für mich heute nicht denkbar. Durch ein politisches System getrennte Familien oder gar Partner, ein zwanghafter Einschnitt in das persönliche Leben, eine beängstigende Vorstellung." Mit dem Mauerfall verbindet er vor allem Freiheit. "Ein heute vielleicht für selbstverständlich gehaltenes Gut, was es aber definitiv nicht ist", wie er sagt.

Eines der größten Klischees, das er immer wieder hört, ist die politische Orientierung der Ostdeutschen: "Da wird nur rechts gewählt." Dass die AfD so viele Wählerstimmen auf sich vereine, könne nicht zu 100 Prozent am Wahlprogramm liegen, sondern eher an dem Gefühl der Menschen, vom Rest der Republik abgehängt zu sein, als nicht gleichwertig beachtet und behandelt zu werden.

"Der demografsche Wandel, verbunden mit Perspektivlosigkeit für junge Menschen, mangelnde Infrastruktur und diverse andere Gründe sind für mich mögliche Erklärungen", schildert Maximilian Hanisch. "Daher gehört für mich zur Wahrheit des Mauerfalls auch dies dazu: Chancenungleichheit. Leider."

Ihn stört es, dass noch immer in West- und Ostdeutschland unterschieden wird, und dabei nicht die geografische Lage gemeint ist. "In der Regel schwingt dabei eine despektierliche und abwertende Haltung mit", ist er sich sicher.

So sieht es auch Daniel Melchert, der aus Barig-Selbenhausen stammt und mit seiner Familie in Dillhausen lebt.

"Mich stört, dass auch 30 Jahre nach dem Mauerfall häufig noch in West- und Ostdeutschland unterschieden wird. Vermutlich wird das aber mindestens solange bleiben, wie Gehälter und Renten im Osten deutlich niedriger sind", sagt er. "Es ist kaum zu glauben, dass die Menschen aus der ehemaligen DDR erst seit 30 Jahren in Freiheit leben. Auch deshalb habe ich kein Verständnis, warum ausgerechnet die AfD im Osten so stark ist."

Während seiner Aufenthalte in Berlin, Leipzig oder Dresden habe er absolut dynamische und wachsende Städte kennengelernt, die immer eine Reise wert sind. "Wahrscheinlich ist die Situation auf dem Land aber eine andere", schätzt er ein.

Auch für Christoph Herget aus Reichenborn ist eine Unterscheidung in West und Ost nicht mehr aktuell: "Der Mauerfall bedeutet mir viel, denn wir sind seit der Wiedervereinigung endlich wieder ein komplettes Land und kein geteiltes Land. Was ich gut finde, denn wir sind alles deutsche Bürger, egal ob wir aus Ost- oder aus West- Deutschland kommen." Dennoch hat auch er ein Klischee zur ehemaligen DDR im Kopf: "Da fällt mir nur eins ein, und zwar, dass alle Straßen im Osten extrem kaputt waren."

Der Mauerfall bedeutet
den 30-Jährigen viel

"Ich war am Tag des Mauerfalls knapp fünfeinhalb Monate alt. Daher kenne ich kein anderes Deutschland", sagt Jan Kramer aus Odersbach. "Ich habe großes Glück, in diesem demokratischen und weltoffenen Land geboren zu sein. Meine Generation hat keinen Krieg erlebt und konnte in einem toleranten, vielfältigen Deutschland im Herzen eines vereinigten Europas aufwachsen." Auch für Jan Kramer ist es, wie für Maximilian Hanisch, wichtig, in einem Land mit offenen Grenzen zu seinen Nachbarn leben zu können. "Ich lebe in einem Land, in dem ich Möglichkeiten habe, von denen viele Menschen nur träumen können", sagt er. Auf Klischees angesprochen, sagt er zunächst: "Kurze Antwort: Keine!" Am Tag der Wiedervereinigung sei er eineinhalb Jahre alt gewesen, "da waren mir Klischees noch relativ egal." Heute versuche er, nicht mehr in Klischees zu denken und er kenne auch keine über "Ostdeutsche". "Ich kenne vielleicht Klischees über Berliner oder Sachsen, genauso aber auch welche über Bayern und Ostfriesen. Die Klischees aus Zeiten des Kalten Krieges sollten in meiner Generation aber eigentlich nicht zu finden sein", sagt er.