Sie war lange die bedeutendste Eisenerzgrube in der Lahngegend: die Grube "Lindenberg" im Selterser Ortsteil Münster. Doch dann kam das Aus.
Von Jürgen Weil
13. Juni 1970: Glück auf zur letzten Fahrt in die Grube: In der Bildmitte in weißer Steigerkluft ist Erich Weil, letzter Betriebsführer auf "Lindenberg" zu sehen. Repro: Jürgen Weil
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Selters-MünsterNoch immer ruhen im "Lindenberg" bei Münster geschätzte zwei Millionen Tonnen Eisenerz. Trotzdem endete vor 50 Jahren eine Jahrhunderte alte Bergbaugeschichte.
Die Eisenerzgrube "Lindenberg" lag an der Landesstraße zwischen Münster und Wolfenhausen. Fast drei Jahrzehnte lang ragte ihr Förderturm eindrucksvoll über den Buchenhochwald hinaus und prägte das Erscheinungsbild des Laubusbachtales. Der Hauptarbeitsplatz der Männer aus Münster fiel dem billiger im Tagebau gewonnenen ausländischen Erz zum Opfer. Am 30. Juni 1970, kurz nachdem zwei Millionen Tonnen Eisenerz gefördert waren, war offiziell Schluss. Der letzte Betriebsführer und langjährige Fahrsteiger, Erich Weil, hoffte vergeblich, das "rote Gold" der Lahn weiter aus dem circa 200 Meter tiefen Lindenberglager fördern zu können.
Das alte Bergbauerndorf Münster muss schon sehr früh Anziehungspunkt für Römer und Germanen gewesen sein, weil hier nahe der Erdoberfläche wertvolle Eisensteinlager zu finden waren. Roteisensteinreste aus römischen Eisenverhüttungsstätten in der Nähe der Saalburg und bei Königstein stammen zweifelsfrei aus der nördlich gelegenen Lahngegend. Zum Schutze ihrer eroberten, an Bodenschätzen reichen Gebiete hatten die Römer den Limes angelegt, auch in den Wäldern rund um Münster sind noch Überbleibsel sogenannter Nebenpfahlgräben sichtbar. "Römersberg" heißt noch heute ein Flurstück. Weitere Flur- und Wegenamen deuten auf Bergbau hin: Silbergrube, Roter Berg, Stahlmühle, Kohlenwald, Hüttenweg, Eisenwäsche und andere. Überall in der Gemarkung Münster findet man alte Halden, Stollen, Pingen (kleine Schächten), Schlackenreste und Meilerstellen. Holzkohle gab es genügend, Eisensteingewinnung, Verhüttung und Weiterverarbeitung des Eisens erfolgten also an Ort und Stelle in der Waldschmiede.
Die Bewohner von Münster waren von jeher Bauern und Bergleute. Kleine Bergbaubetriebe waren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts in Familienbesitz, man betrieb Eigenlöhnerbergbau und daneben noch meist eine kleine Landwirtschaft; Bauern und Bergleute in einer Person hießen "Bergbauern". Die mit fortschreitender Industrialisierung entstehenden Bergbaugesellschaften lösten den Eigenlöhnerbergbau ab.
ERZ AUS DEM LINDENBERG
Während alle bisher bekannten Lager der Gemarkung Münster nahe an der Erdoberfläche lagen und meist im Stollen abgebaut werden konnten, war das Lindenberglager 170 bis 220 Meter tief.
Von 1941 bis 1943 wurde ein 216 Meter tiefer Maschinenschacht und später ein 140 Meter tiefer Wetterschacht "geteuft". 1948 ging die Grube Lindenberg in Förderung, kriegsbedingte Materialknappheit und eine Zerstörung des Starkstromkabels von Münster hatten die "Aufschlussarbeiten" verzögert.
42,5 Prozent beträgt der durchschnittliche Eisengehalt des Roteisensteins. 1956 arbeiten hier 170 Bergmänner im Zweischichtbetrieb, 1960 wird die einmillionste Tonne Eisenerz gefördert. 1969 sind es nur noch 82 Bergmänner im Einschichtbetrieb, die am 5. Februar 1970 die zweimillionste Tonne Eisenerz fördern. Ihre Lore steht heute im Weilburger Bergbaumuseum.
Noch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stellten die Bergleute in Münster die stärkste Berufsgruppe, jeder zehnte männliche Bewohner war Bergmann auf der Grube Lindenberg. Sie war eine der jüngsten und zugleich bedeutendsten Eisensteingruben der Lahngegend und schloss nicht, weil ihre Vorkommen zur Neige gingen, sondern weil zum Beispiel das billigere "Schwedenerz" den deutschen Hüttenwerken (Rheinhausen) erlaubte, ständige Preissenkungen durchzusetzen, wodurch auch der "Lindenberg" unrentabel wurde. Immerhin konnte durch Rationalisierungsmaßnahmen wie dem Einsatz von gleislosen "Rucksackladern" oder Dreitrommel-Elektroschrappern die Förderleistung pro Mann und Schicht von 1,1 Tonnen (1950) auf 4,24 Tonnen (1965) und damit 116 000 Tonnen jährlich gesteigert werden.
Erich Weil, von Anfang an als Reviersteiger, später als Fahrsteiger dabei und schließlich als letzter Betriebsführer (nach Erhardt, Ridl, Paul Weil) mit dem traurigen Auftrag betraut, die Grube zum 30. Juni 1970 zu schließen, schrieb noch 1965: "Wir besuchen die Grube. Maschinenhallen, Werkstätten und Unterkunftsräume bilden ein Geviert und fügen sich gut in den malerischen Rahmen der Natur ein. Der etwa 20 Meter hohe Förderturm ist weithin sichtbar. Wir fahren in die Grube, mit einer Geschwindigkeit von 4,5 Metern in der Sekunde gelangen wir zur 170-Meter-Sohle. Durch ein Labyrinth von geräumigen und sauberen Strecken kommen wir zur Gewinnungsstätte des Eisenerzes. Große, weite Räume nehmen uns auf. Mit dröhnendem Geräusch treibt der Bohrhammer den Bohrer in das Gestein. Die Bohrlöcher werden mit Sprengstoff gefüllt. Mit donnerndem Getöse löst sich das gesprengte Gestein. Durch den Schacht gelangt es letztlich zur 'Aufbereitung'. Dort wird es durch große Steinbrecher zerkleinert, die unbrauchbaren Stücke werden ausgelesen. Das Fertigerz gelangt durch Bunker zur Stollensohle. Dort wird es in langen Zügen durch den 3,5 Kilometer langen Münsterstollen und weitere 3,5 Kilometer über 'Strichen' (Langhecke) bis zur Verladestation Aumenau gebracht.
Die 'Aufbereitung' ist eine Besonderheit auf der Grube Lindenberg, da sie unter Tage errichtet ist. Große, mit Beton ausgebaute Hohlräume sind dort aus dem Gestein gebrochen. Alles ist hell erleuchtet. Man meint, man wäre in einer großen Fabrik und nicht 100 Meter unter der Erde. An langen Förderbändern stehen Männer und lesen das taube Gestein aus. Wir staunen, wie die großen Eisensteinbrocken mit Leichtigkeit vom Steinbrecher zermalmt werden. Grube Lindenberg ist ein Beweis dafür, dass unsere Heimaterde noch viele reiche Schätze birgt und die berechtigte Hoffnung besteht, hier noch viele Jahre das rote Gold der Lahngegend fördern zu können."
Eine Fabrik unter Tage
Erich Weils Hoffnung trog, die wirtschaftlichen Verhältnisse wurden immer schwieriger. Nach der Schließung der Zeche wird der Förderturm demontiert, die Schachtanlage verfüllt, hauptsächlich mit Langhecker Schieferabraum. Wertvolles Gerät blieb in den Stollen zurück, wurde verkauft oder an museale Einrichtungen übereignet. Was bleibt, ist die Erinnerung, aufbereitet im Heimatmuseum Münster oder im Bergbaumuseum Weilburg. Geblieben ist auch das "Lindenbergwasser", gehaltvolles Trinkwasser aus der alten Grube Lindenberg.