Ex-Lokalchef der Mainzer AZ gestorben: Ein Nachruf

Helmut Wirth (Mitte), der frühere Bundeskanzler Willy Brandt (links) und Redakteur Klaus Rein im alten Pressehaus.       Foto: AZ Archiv
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Quirlig, umtriebig, schlau – und seiner Zeit voraus: So behalten Weggefährten Helmut Wirth aus Kostheim in Erinnerung.

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MAINZ/KOSTHEIM. Es ist schon ein paar Jährchen her, dass Helmut Wirth als Leiter der AZ-Lokalredaktion Mainz in den (Un-)Ruhestand verlassen hat, und dennoch ist er älteren Kollegen und auch vielen jung gebliebenen Leserinnen und Lesern noch lebhaft in Erinnerung. Als quirliger und umtriebiger Redakteur, als wandelndes Nachschlagewerk in Sachen Mainz, als Kenner von Lokalpolitik, Fastnacht und vielem anderen mehr. Nun ist Helmut Wirth gestorben. Im Alter von 94 Jahren.

Er war Mainz-Kenner par excellence, aber kein Mainzer. Jedenfalls nicht von Geburt an. Seine Wiege stand in Graben-Neudorf bei Karlsruhe, er wuchs auf am Bodensee, bevor es ihn 1950 nach Mainz verschlug. Genauer gesagt nach Kostheim, das zwar verwaltungstechnisch zu Wiesbaden gehört, für Helmut Wirth aber stets ein Stück Mainz war. Er wurde freier Mitarbeiter bei der AZ, dann Redakteur und sehr schnell machte er sich mit seinem Kürzel „wth“ einen Namen. Erst im Rhein-Main-Anzeiger, dem einstigen AZ-Teil vor allem für AKK, dann in Mainz in der Lokalredaktion, die er viele Jahre leitete.

Ein akribischer Journalist

Er war in vielen Themen daheim, aber sein großes Interesse gehörte technischen Themen, etwa den Stadtwerken mit Bus und Straßenbahn, Wasser, Gas und Strom, dann den Kraftwerken und auch der Eisenbahn. Der Rhein hatte es ihm angetan, und keiner wusste so gut über Hochwasser und die Folgen bescheid wie er.

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„Aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Neigung machte ihm manch Fachmann nichts vor. Helmut Wirth war ein akribischer Journalist, der den Lokaljournalismus lebte“, erinnert sich Lutz Eberhard, Leiter Content innerhalb der VRM, der nach eigener Aussage „selbst einiges von Wirth lernen“ durfte. Wirth betrieb Lokaljournalismus aus Leidenschaft und mit einem Tempo, dass manch damals noch jungen Kollegen (wie dem Autor dieser Zeilen) schon den Schweiß auf die Stirn treiben konnte. Wenn er plötzlich mit den Worten „Ei, was mache Sie denn grad?“ neben der Schreibmaschine auftauchte, wusste jeder, dass etwas dringend noch ins Blatt musste.

Ein wandelndes Archiv

Und wenn der Jungredakteur leicht aufgeregt ein nach seiner Meinung brennend heißes Thema präsentierte, dann konnte es sein, dass Helmut Wirth verschmitzt lächelte und aus dem Kopf heraus sofort wusste, wann das schon mal und wie genau im Blatt gestanden hatte. Er war ein wandelndes Archiv. Er wusste viel und wusste auch viel für sich zu behalten. Bei manch heiklem Thema lächelte er nur wissend. Helmut Wirth war einer, dem man vertrauen und etwas anvertrauen konnte. Und legendär auch sein Schreibtisch mit sorgsam turmhoch gestapelten Unterlagen. Vor allem aber war er ein Redakteur mit Stil. Freundlich, aber einer, der zu Geprächspartnern kritische Distanz hielt, ein Mann, der eine klare Meinung vertrat und dennoch nichts im hau-drauf-Stil fabrizierte.

Er hatte seine Eigentümlichkeiten, etwa dass er morgen bei der Fahrt mit der Buslinie 19 ins Büro schon mal skizzierte, wie die Seite eins aussehen sollte. Eine Angewohnheit, an die sich auch Günter Jertz, von 1995 bis 2004 ebenfalls Lokalchef in Mainz, erinnert. Heute ist Jertz IHK-Hauptgeschäftsführer, damals war er Wirths Kollege. „Er hat schon die Bedeutung des ÖPNV erkannt, als der gesellschaftlich noch gar nicht so ein großes Thema war, ist selbst jeden Tag mit dem Bus zur Redaktion und wieder zurück nach Kostheim gefahren“, sagt Jertz. Dass Wirth, glühender Verfechter der These „Rechts des Rheins ist auch noch Mainz“, die Rückführung der ehemaligen Mainzer Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim nicht mehr erleben durfte, habe ihn sicher geschmerzt, ist Jertz überzeugt.

Wirth war auch Kostheimer

Fair war Wirth, der gebürtige Badener und Mainzer aus Leidenschaft. Aber er war nicht nur Mainzer, sondern vor allem auch Kostheimer. So verfasste er mit seinem Kollegen Rolf Dörrlamm das Buch „Die amputierte Stadt“ über die Abtrennung von AKK, beteiligte sich mit anderen Autoren aber auch an Büchern wie „Brücke im Wandel“, „Geschichte der Stadt Mainz“, am Buch zum 150-Jährigen des MCV oder an Jockel Fuchs Memoiren.

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Nach seiner Zeit bei der AZ leitete er die Redaktion der Mainzer Vierteljahreshefte, blieb dann noch lange Jahre freier Mitarbeiter des Rhein-Main-Anzeigers für die Kostheimer Belange. Immer wach, immer kundig. Und auch als er nicht mehr schrieb, blieb er stets Zeitungsmann, freute sich über gelungene Texte, hatte ein sicheres Urteil, auch als das Augenlicht nicht mehr mitspielte und ihm die Artikel vorgelesen wurden.