Krisen überstehen – Resilienz ist das Zauberwort

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Sabine Maur, Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, im Gespräch. Foto: Lukas Görlach
© Lukas Görlach

Gute Freundschaften, Selbstfürsorge, soziales Engagement und Empathie helfen in schweren Zeiten, weiß Psychotherapeutin Sabine Maur. Resilienz ist das Zauberwort.

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MAINZ. Je stürmischer die Zeiten, desto wichtiger ist Standfestigkeit: Das gilt auch für die Psyche. Wie man sich besser für Lebenskrisen wappnen kann und was man vielleicht auch aus ihnen lernen und mitnehmen kann, berichtet Sabine Maur, Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz.

Frau Maur, man muss eine Krise als Chance begreifen, heißt es immer. Eine furchtbare Floskel, oder?

Das lässt sich leicht sagen, wenn man schon eine Krise gemeistert hat und dafür gute Voraussetzungen mitbringt. Die Menschen, die das können, schaffen es in der Regel gut durch weitere Krisen. Für die anderen ist das deutlich schwieriger.

Eine beliebte Strategie ist, eine Krise erstmal zu verdrängen. Ein guter Weg?

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Sich abzulenken, ist zunächst einmal eine legitime Strategie, die kurzfristig auch funktioniert: Man fühlt sich entlastet. Das, was einen belastet, ist erstmal weggeschoben. Der Haken ist, dass das mittel- und langfristig oft nicht gut ausgeht, weil sich die Probleme ja nicht in Luft auflösen. Wir alle wissen doch: Wenn man Probleme lange liegen lässt, verschlimmern sie sich häufig.

Gerade in Beziehungen stellt sich oft die Frage: Probleme lieber ansprechen oder besser verschweigen, um bloß keine schlafenden Hunde zu wecken?

Diese Frage stellen vor allem Männer (lacht). Frauen neigen eher dazu, Probleme zu lösen, indem sie darüber sprechen. Mit dem Partner oder mit den Freundinnen. Das hat zwei Effekte: Zum einen entlastet es emotional, zum zweiten kann man sich gemeinsam überlegen, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. In Partnerschaften ist unser Tipp immer: Dinge frühzeitig ansprechen.

Aber sehr vorsichtig... Oder ist das wieder eine typische Männerfrage?

Natürlich gehört immer Fingerspitzengefühl dazu. Die erste Frage ist: In welcher Situation spricht man Probleme an? Wenn man gestresst ist oder zwischen Tür und Angel, wird es in der Regel nicht gut ausgehen. Wenn es um wichtige Themen geht, sollte man sich die Zeit dafür nehmen und das auch ankündigen.

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Das Zauberwort in jeder Krise heißt Resilienz.

Resilienz ist die psychische Widerstandsfähigkeit, also die Fähigkeit, mit Belastungen klar zu kommen und sie zu bewältigen. Wir wissen recht gut, welche Faktoren dazu beitragen. Leider ist es als Erwachsener nicht mehr so einfach, das zu trainieren.

Was hilft?

Besonders resilient sind Menschen, die gute Beziehungen haben. Nicht nur im Sinne einer Partnerschaft, sondern die Personen um sich haben, mit denen sie gute Freundschaften haben, auf die sie sich verlassen können, mit denen sie gut sprechen können. Zweiter ganz wichtiger Faktor: Dass man im Leben schon mal die Erfahrung gemacht hat, Probleme bewältigen zu können, dass man also „selbstwirksam“ ist.

Haben Sie ganz praktische Tipps?

Erstens: Beziehungen, Kontakte, Freundschaften pflegen. Zweitens: sich neben der Arbeit Hobbys suchen, die einem gut tun, und bei denen man diese Selbstwirksamkeit erlebt. Drittens: sich bewegen und gut für sich selbst sorgen, auch körperlich. Wir wissen zudem, dass Menschen, die sich sozial um andere kümmern und die sich empathisch verhalten, eine höhere Resilienz haben.

Sie haben gesagt, dass gerade Erwachsene Probleme haben, Resilienz zu erlernen. Wie schafft man es schon als Kind?

Der Haupteinflussfaktor sind die Eltern, es beginnt schon mit einer guten Schwangerschaft. Wenn die Eltern eine sehr gute Bindung zu ihren Kindern entwickeln, wenn sie sensibel und warmherzig sind, trägt das lebenslang zu deren Resilienz bei. Die frühe positive Bindungserfahrung ist das A und O. Die gute Nachricht ist: Wenn die eigenen Eltern das nicht schaffen, dann können das auch die Großeltern übernehmen, eine Lehrkraft oder ein Sporttrainer. Das kann psychisch lebensrettend sein, man muss das wirklich so dramatisch sagen. Der zweite Punkt ist, dass Familien Unterstützung haben. Je besser es den Eltern geht, desto besser können sie eine enge Bindung aufbauen, und desto besser können sie ihre Kinder begleiten und erziehen.

Das große Ziel ist, gestärkt aus einer Krise herauszugehen, krisenfest zu bleiben. Was kann man tun, um nicht in alte Muster, in altes Verhalten zurückzufallen?

Wenn man das merkt, sollte man das Gespräch zum Beispiel mit Freunden suchen und gemeinsam darüber nachdenken. Alleine läuft man Gefahr, gedanklich immer wieder in eine Sackgasse zu geraten. Man muss schauen: Was brauche ich, damit es mir gut geht? Wichtig ist, sich insgesamt in eine bessere Grundverfassung zu bringen.

Wann ist in einer Krise professionelle Hilfe nötig?

Wenn sie sehr lange anhält. Dass es einem über Wochen nicht gut geht, ist eine normale Reaktion. Aber wenn man merkt, dass es trotz aller Versuche über viele Wochen oder Monate überhaupt nicht vorwärts geht, dann ist das ein Indikator. Ein zweiter: Wenn man gar nicht mehr weiß, was man noch anstellen soll, wenn die Selbstheilungskräfte nicht mehr reichen. Dritter Punkt: Wenn die Krise so ausgeprägt ist, dass man seinen Alltag nicht mehr hinbekommt. Wenn man nicht mehr richtig arbeiten gehen kann, wenn man seiner Familie nicht gerecht wird, wenn man einfach beeinträchtigt ist.

Zum Schluss, und zugleich zurück zum Anfang: Corona ist eine Dauerkrise, mit der niemand von uns Erfahrung hat. Das noch als Chance zu begreifen, fällt endgültig schwer.

Man sollte Dinge nicht schön reden, die nicht schön sind. Der Weisheitsgewinn durch Corona hält sich in Grenzen. Wir sehen eine Zunahme von psychischen Belastungen und psychischen Erkrankungen. Aber: Wir sehen auch, dass viele Menschen relativ gut durchhalten. Das muss man auch würdigen. Das Wichtige ist: Es trifft wieder diejenigen besonders, denen es psychisch sowieso nicht gut geht, die die finanziellen Ressourcen nicht haben, die Familien, die schon vorher belastet waren. Um all die muss man sich kümmern.