Oberbürgermeister Michael Ebling kündigt Verbesserungen an, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Mehr Gehalt soll es trotz eines Urteils vom Mainzer Arbeitsgericht nicht geben.
MAINZ. Knapp drei Wochen nachdem diese Zeitung zum ersten Mal über die hohe Arbeitsbelastung und den drastischen Personalmangel im Mainzer Jugendamt berichtet hat, äußert sich Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) zu der Problematik. Ja, er nehme die Schilderungen ernst. Und er wisse sehr wohl, dass die Arbeit beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) „sehr belastend“ sei. Nachdem bereits Sozialdezernent Eckart Lensch (SPD) vor zehn Tagen erste Neuerungen zur Verbesserung der Situation angekündigt hatte, erweitert Ebling den Katalog an geplanten Maßnahmen. Alle wurden vom ASD-Personal selbst oder dem Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM) gefordert.
So sollen bis Oktober zehn Neueinstellungen erfolgen, die 9,5 Vollzeitstellen entsprechen, kündigt Ebling an. Derzeit sind 16 von insgesamt 37 Vollzeitstellen unbesetzt. Eine weitere Kündigung wird laut ASD-Leiterin Ulrike Scherhag erwartet. Eblings zweite Maßnahme: Befristungen, insbesondere für Elternzeitvertretungen, sollen reduziert werden. Und auch personelle Aufstockungen stellt der OB in Aussicht. „Mir liegt ein Konzept vor, auf dessen Basis wir für den nächsten Haushalt, der in diesem Jahr beraten und verabschiedet werden soll, noch mal zusätzlich 11,5 Stellen in den Stellenplan eingehen.“ Zusätzlich, so die Pläne des OB, sollen die insgesamt sechs Teams je mit einer weiteren Vollzeitstelle ausgestattet werden. Dies geschehe auch auf der Basis des gültigen Personalbemessungskonzeptes beim ASD, sagte Ebling.
Auch der Kritik am langwierigen Einstellungsverfahren, das sich teilweise bis zu einem halben Jahr zieht, möchte Ebling mit Verbesserungen begegnen: „Es gilt, dass alle Beteiligten die Verfahren beschleunigen müssen. Das ist ein notwendiges Unterfangen, damit die Räder zwischen den einzelnen Fachebenen besser ineinandergreifen.“ Dort, wo es zu personellen Veränderungen komme, müssten zügig Wiederbesetzungen angegangen werden. Die technischen Rahmenbedingungen sollen ebenfalls verbessert werden. Auf Details möchte er allerdings nicht eingehen. Und Homeoffice? Wie das ASD-Personal beklagt hatte, habe es während der Pandemie keine Möglichkeit gegeben, von zu Hause aus zu arbeiten. Derweil wird dies beispielsweise beim jeweiligen ASD des Kreises Mainz-Bingen, des Rheingau-Taunus-Kreises und der Stadt Offenbach angeboten. Darauf angesprochen sagt Ebling, die Behauptung, Homeoffice sei bislang nicht ermöglicht worden, sei „in der Absolutheit nicht richtig“. Die Frage, für wen dieses Angebot denn gelte, lässt er indes unbeantwortet. Auch bei Detailfragen zu den einzelnen Neuerungen gibt sich der OB zugeknöpft.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass aktuell nur 57 Prozent der Stellen besetzt sind, führte OB Ebling unter anderem auf gesellschaftliche Entwicklungen zurück. „Die Fälle werden anstrengender und herausfordernder“, sagt der SPD-Politiker. Das mache er etwa daran fest, wie versucht werde, von außen zu intervenieren. Beispielsweise wenn sich ein Elternteil gegen Entscheidungen des ASD wehre und nicht akzeptieren wolle, wenn das Kindeswohl vom Amt her definiert werde. Die Verfahren würden so immer stärker verrechtlicht werden. Auch die Bürgerbeauftragte des Landes sei immer häufiger involviert. Das habe zur Folge, dass das ASD-Personal permanent den Eindruck gewinne, sich für Entscheidungen rechtfertigen zu müssen.
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Ebling betont: „Es gibt keinen Spardruck beim ASD und es gibt auch keine ausstehende Wiederbesetzung.“ In früheren Jahren, etwa zu seiner Zeit als Sozialdezernent von 2002 bis 2006, habe es Stellenbesetzungssperren gegeben – und zwar als ständiges Prinzip. „Das heißt: Wir haben einzelne Stellen immer wieder freiklopfen müssen.“ Heute gelte: Wenn zusätzliche Aufgaben dazukommen, steuere die Verwaltung personell nach.
Beim Thema Gehalt ist der Oberbürgermeister jedoch nicht bereit, nachzusteuern. Auch dies hatte das ASD-Personal gefordert. „Wir bezahlen weiterhin nach dem gültigen Tarifvertrag“, sagte der OB. In diesem Korridor bewege er sich und müsse er sich auch bewegen. Genauso argumentierte Ebling bereits beim Kita-Personal, das bei der Entgeltgruppe des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) in S 8a eingruppiert wird. In den Nachbarstädten Wiesbaden und Rüsselsheim orientiert sich das Gehalt nach dem höheren Tarifsatz S8b.
Dass es bei der Frage, wie das ASD-Personal eingruppiert werden sollte, ebenfalls unterschiedliche Einschätzungen geben kann, zeigt die Stadt Koblenz. Hier werden Teamleitungen des ASD in die Entgeltgruppe 17 eingestuft, wie Pressesprecher Thomas Knaak bestätigt. In Mainz werden sie nach S15 besoldet. Die Koblenzer Praxis deckt sich auch mit einem Gerichtsurteil des Mainzer Arbeitsgerichts. So hatte eine Person die Stadt Mainz verklagt, weil sie der Meinung war, einen Anspruch auf die Entgeltgruppe S17 Stufe 6 zu haben und nicht nur auf S15. Das Arbeitsgericht gab der Person im Februar recht – es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Nach Informationen dieser Zeitung will die Stadt diese richterliche Entscheidung jedoch nicht akzeptieren. Der Fall soll nun vor dem Landesarbeitsgericht neu verhandelt werden.
Verdi-Gewerkschaftssekretär Tupac Orellana, der für die kommunale Verwaltung im Mittelrhein zuständig ist, kritisiert die Stadt für ihr Vorgehen: „Wenn die Verwaltung neues Personal anwerben und das vorhandene halten möchte, dann verstehe ich nicht, warum sie die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht akzeptieren kann.“ Ausschlaggebend sei nicht nur, was eine Stadt tut oder nicht tut, sondern auch, was sie verhindert.
Orellana kennt die Dramatik der Situation aus vielen Gespräche mit einzelnen Personen aus dem ASD. Und er betont: „Dass diese Leute an die Presse gegangen sind, zeigt deutlich, wie groß der Druck und die Not sein müssen. Denn sie sind eigentlich zur Verschwiegenheit verpflichtet und gehen somit ein erhebliches Risiko ein, gekündigt zu werden.“ Schlimmstenfalls seien sie sogar für den gesamten Arbeitsmarkt in sozialen Bereich verbrannt.
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Die Stadt dürfe ihre rechtliche Fürsorgepflicht gegenüber ihrem Personal nicht vernachlässigen, fordert Orellana. „Gefährlich wird es vor allen Dingen auch, wenn sich bei den betroffenen Familien der Eindruck verfestigt, dass sie von der Stadt keine Hilfe bekommen, weil beim ASD-Personal nur noch Kapazitäten für akute Bedrohungslagen vorhanden sind.“