Andreas Steinhöfel erzählt im Gespräch mit Regierungspräsident Christoph Ullrich von seinem Autoren-Dasein, von Pippi Langstrumpf und warum er lieber in Biedenkopf lebt als in Berlin.
Zu Hause in Biedenkopf fühlt Andreas Steinhöfel sich wohl. "Ich bin echt ein Landei", bekennt der Jugendbuchautor. Wenn die Pandemie vorbei ist, hofft er, zusammen mit dem Verein BidKultur "ein kulturelles Freudenfeuer abzubrennen". Foto: Susan Abbe
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
BIEDENKOPF/GIESSEN - Biedenkopf/Gießen (red). "Auf eine TelKo mit..." - unter diesem Motto spricht Regierungspräsident Christoph Ullrich mit dem preisgekrönten Biedenkopfer Jugendbuchautor Andreas Steinhöfel - nicht am Telefon, sondern per Videoschalte. Steinhöfel erzählt von seinem Leben als Schriftsteller, warum er lieber in Biedenkopf als in Berlin lebt, was ihm die Nominierung für den Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis bedeutet und dass er als Kind Angst vor Pippi Langstrumpf hatte.
Lesungen kann Andreas Steinhöfel im Moment wegen des Lockdowns nicht machen. Aber immerhin habe er das Glück gehabt, im Oktober und November drei Lesewochen absolvieren zu können, berichtet der Autor. Vorgestellt hat er dabei seinen fünften Band um den "tiefbegabten" Rico. Das Buch mit dem Titel: "Rico, Oskar und das Mistverständnis" ist gerade erst erschienen.
Mit dem Lockdown ist in diesem November leider auch der bundesweite Vorlesetag fast komplett ausgefallen. Trotzdem möchte er von Steinhöfel wissen, aus welchem Buch er denn gerne bei diesem Termin vorgelesen hätte. Steinhöfel überlegt kurz: "Ich würde tatsächlich aus meinem neuen Buch vorlesen, nicht aus Werbegründen, sondern weil ich darauf so eingeschossen bin." Als Sprecher habe er es gerade am besten drauf.
Zu Hause in Biedenkopf fühlt Andreas Steinhöfel sich wohl. "Ich bin echt ein Landei", bekennt der Jugendbuchautor. Wenn die Pandemie vorbei ist, hofft er, zusammen mit dem Verein BidKultur "ein kulturelles Freudenfeuer abzubrennen". Foto: Susan Abbe
"Auf eine TelKo mit...": Regierungspräsident Christoph Ullrich spricht per Videoschalte mit dem bekannten Biedenkopfer Jugendbuchautor Andreas Steinhöfel. Foto: Regierungspräsidium Gießen
2
"Was ich aber auch immer gerne vorlese, und da bin ich super altmodisch, das sind Märchen." Wichtig ist, und das hat er früh als Autor gelernt: "Keiner von uns mag fehlende Happy Ends, aber Kinder mögen das erst recht nicht, wenn etwas am Ende düster und dunkel bleibt."
Und noch ein Prinzip, dem Andreas Steinhöfel folgt: Der pädagogische Zeigefinger ist tabu. "Der Anspruch von Literatur ist es nicht, zu erziehen oder zu belehren. Wer das will, kann Sachbücher schreiben." Wertungen oder Botschaften seien jedoch in erzählten Geschichten unumgänglich. "Aber es ist ein Unterschied, ob ich dem Kind eine einseitige Meinung einbimse und es damit alleine lasse, oder ob ich ihm sage ,Schau mal, die Welt ist groß und bunt, viele Menschen haben verschiedene Ansichten und ich möchte dich in die Lage versetzen, dich da zurechtzufinden und dann auszuwählen'." Das sei zwar anstrengender. "Dafür ist es aber auch viel demokratischer."
Eine Sichtweise, die Christoph Ullrich teilt. Beide sind Verfechter der offenen Debattenkultur. Die gesellschaftliche Streitkultur konzentriere sich jedoch immer mehr auf den Streit als die Kultur. Oder wie es Ullrich sagt: "Ob das Corona, Klima oder die Arbeit betrifft: Ich weiß, wie es ist und alle anderen sind doof, um es ganz verkürzt zu beschreiben." Diese Entwicklung mache ihn sehr nachdenklich: "Ich frage mich, wo das herkommt?"
Stichwort: Nutzung digitaler Informationen. "Da hat sich wirklich etwas verändert", sagt Steinhöfel. "Ich komme ja gar nicht dazu, etwas länger zu durchdenken, weil von allen Seiten Informationen auf mich einströmen." Auf die Gesellschaft treffe diese Entwicklung mit ungeheurer Wucht. Regierungspräsident Ullrich ergänzt: "Es könnte auch daran liegen, dass der Korridor für denjenigen, der für seine Meinung eine Bestätigung sucht, im Internet sehr weit ist."
Hoffnung machen Steinhöfel junge Menschen wie seine zwölfjährige Nichte: "Wie gut die mit ihren Freundinnen damit umgeht, die haben ganz andere Selektionsmechanismen als ich." Er denkt, dass das Thema auch wieder "herunterkochen" wird. "Zumindest hoffe ich, dass man sich nicht mehr gesellschaftlich so schnell einen Zweifrontenkrieg liefert, wo sich alle nur noch über aufgerissene Gräben anbrüllen."
Er wünsche sich insgesamt ein Verhalten bei dem einen oder der anderen, das der Sache angemessen wäre, eine etwas würdevollere und gesetztere Haltung. Kinder seien da ein positives Beispiel: "Die machen ja alles klaglos mit. Ich kenne kein Kind aus meinem Bekannten- und Verwandtenkreis, das sich wirklich beschwert." Auch nicht, wenn sie Masken tragen müssten. "Da sollten wir als Erwachsene vorbildhafter sein." Zu den Einschränkungen sagt er: "Ich will es nicht herunterspielen, aber gemessen an dem, was eine Pandemie machen kann, ist das ja wirklich noch das kleinste Niveau."
Andreas Steinhöfel selbst hat in der Corona-Pandemie Glück, anders als viele freie Kulturschaffende oder Selbstständige, deren Existenzgrundlagen weggebrochen sind. Dessen ist er sich bewusst und dafür ist er dankbar. Zudem hat er den Vorteil, dass er fast immer im Homeoffice sitzt. Aktuell schreibt er an "etwas Älterem". Da sitze er schon seit Ewigkeiten dran. Was genau das ist, verrät der Autor aber noch nicht.
Bei aller Gelassenheit spürt er die beruflichen Auswirkungen aber doch ein wenig, etwa bei Lesungen unter Corona-Bedingungen. Lesungen mit reduziertem Publikum fühlten sich an wie: "Siehst du, jetzt kommen sie nicht mehr!". Es säßen so wenige Leute da. Er freut sich auf die Zeit nach Corona. Zum Beispiel im Verein BidKultur, dessen Vorsitzender er ist. "Wir haben vor, ein kulturelles Freudenfeuer abzubrennen, wenn es wieder möglich ist. Und ich hoffe, das wird überall passieren."
Mit Blick darauf, dass Steinhöfel nach seiner Jugend in Biedenkopf lange in Berlin gelebt hat und vor zehn Jahren in die Heimat zurückkam, stellt der Regierungspräsident die Frage nach dem Lieblingsort. Nach Berlin sei er aus Beziehungsgründen gegangen, sagt der Autor. "Ich wusste aber immer, ich werde wieder irgendwann zurückgehen aufs Land. Ich bin echt ein Landei." Er liebe das Mittelgebirge. "Dazu bin ich auch noch sehr eng mit der Familie, die hat mir auch immer gefehlt."
Er sei grundsätzlich ein zurückgezogener Mensch. Da gehe man in einer großen Stadt gerne mal unter. "Hier auf dem Land ist das unmöglich, weil du ständig Leute triffst, die du kennst. Das ist ein anderes soziales Eingebettetsein und das finde ich sehr schön." Auch beim Arbeiten sei das Landleben kein Nachteil: "Das läuft alles online."
"Ich finde es hier in Mittelhessen einfach nur schön", sagt Steinhöfel. Als Endfünfziger habe er natürlich einen anderen Bezug zu den Menschen hier und zu dem, was das Leben hier ausmache, als das als Teenager der Fall war. "Die Hessen können extrem sturköpfig sein, Berliner sind da anders, die haben immer gleich etwas lauthals Zupackendes." Das Hessische liege ihm deutlich näher.
Und dann fragt der Regierungspräsident natürlich auch noch nach Steinhöfels Nominierung für den Astrid Lindgren Memorial Award 2021, den mit 480 000 Euro weltweit höchstdotierten Preis für Kinder- und Jugendliteratur. "Das ist eine große Ehre, das sind ja die weltweit Besten", sagt Steinhöfel. Gleichzeitig bedeute die Nominierung aber auch: "Jetzt gucken alle, und ich mag es nicht, wenn Leute so auf mich gucken."
Alleine über die Nominierung freue er sich sehr. "Astrid Lindgren ist natürlich ein Vorbild. Das ist schon extrem irre, wenn man da im selben Milchtopf herumpaddelt." Zugleich erzählt Steinhöfel, dass er als Kind vor Pippi Langstrumpf eine Heidenangst gehabt habe und sie gruselig fand. "Aber als Erwachsener habe ich mich weggeworfen. Der hintergründige Humor ist so gut. Deshalb empfehle ich immer: Lest das noch mal als Erwachsener - und das tun ja viele. Und dann lest es euren Kindern vor."