Der Landkreis Marburg-Biedenkopf baut Hausaufgabenhilfe und Sprachförderung an der Grundschule in Biedenkopf aus.
Von Hartmut Bünger
Redakteur Biedenkopf
Hausaufgabenhilfe in der Grundschule Biedenkopf: Behiye Aksöz übt mit Kinder aus ersten und zweiten Klasse Wörter aus ihrer Lebenswelt und deren richtigen Artikel ein. Der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow verschafft sich einen Eindruck. Foto: Hartmut Bünger
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BIEDENKOPF - Die kleine Meryem geht im Kreis umher, gibt jedem Kind die Hand und fragt: "Hallo, wie geht es dir heute?". Dann setzt sie sich hin und fragt einige Kinder noch einmal genauer: "Warum geht es dir heute gut?". Seda und Tatjana nennen das schöne Wetter. Abdul, der mit "mittelmäßig" geantwortet hatte, verweist darauf, dass er in Mathematik drei Seiten Hausaufgaben aufhat.
Alle Kinder, die in dieser Gruppe an diesem Nachmittag in der Grundschule Biedenkopf zusammensitzen, kommen aus zugewanderten Familien: sechs aus Syrien, drei aus der Türkei. Und alle erhalten hier Unterstützung bei ihren Hausaufgaben. An diesem Dienstagnachmittag ist ein spezieller Gast da: der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow (CDU).
Einzigartiges Angebot in Biedenkopf
Das hat einen Grund: Er will sich einen Eindruck verschaffen von dem Angebot, das in dieser Form einzigartig ist. Zwar bietet der Verein "Bildungspolitische Initiative" (kurz: "bipoli", siehe Infokasten) im gesamten Landkreis derartige Gruppen an, insgesamt 34 an der Zahl. Am Standort in Biedenkopf ist das Angebot aber jüngst von zwei auf vier Wochentage ausgebaut worden. Derzeit besuchen nachmittags insgesamt 27 Kinder die drei Gruppen.
DER VEREIN "BIPOLI"
Der Verein "Bildungspolitische Initiative" (kurz: bipoli) ist 1983 als Selbsthilfeorganisation arbeitsloser Lehrerinnen und Lehrer in Marburg gegründet worden. Schon bald bot er Hilfen für bildungsbenachteiligte Schüler im Landkreis Marburg-Biedenkopf an. Seit 1994 organisiert er in Zusammenarbeit mit dem Büro für Integration die Hausaufgabenhilfe und die Sprachförderung für Kinder aus zugewanderten Familien. Dem Verein gehören derzeit 80 Mitglieder an. Er beschäftigt 18 Lehr- sowie weitere Honorarkräfte. Im Schuljahr 2018/19 werden nach Angaben des Vereins über 300 Schüler in 34 Lerngruppen gefördert. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt im Osten des Landkreises und dort speziell in Stadtallendorf, wo regelmäßig 25 Gruppen stattfinden. Geschäftsführer ist Peter Thoene. Erreichbar ist der Verein telefonisch unter der Nummer 06 4 21-1 55 32.
Gut zwei Stunden dauert die Hausaufgabenhilfe und Lernförderung (HALF). In einer ersten Phase sitzen die Kinder im Kreis, üben spielerisch Wörter ein und lernen, vor anderen zu sprechen. Neben dem Ausbau des Wortschatzes ist ein wichtiges Ziel: sich zu trauen, vor Zuhörern in der Zweitsprache frei zu reden. An diesem Nachmittag hat Behiye Aksöz einen Schulranzen mitgebracht. Mit den Kindern spricht sie darüber, wie man so einen Ranzen richtig trägt und was denn alles hineingehört. "Spitzer" und "Mäppchen", "Lineal" und "Schnellhefter" sind Wörter, welche die Kinder heute lernen. Und immer wieder heißt es: "Sprich bitte in ganzen Sätzen!". In einer zweiten Phase geht es um die eigentliche Hausaufgabenhilfe. Behiye Aksöz bespricht mit den Erst- und Zweitklässlern, was sie zu tun haben, schaut ihnen bei der Bearbeitung der Aufgaben über die Schulter und steht immer wieder mit Ratschlägen zur Seite. Der Nachmittag endet mit einem freien und angeleiteten Spiel.
Kurse dienen auch der sozialen Kompetenz
Seit 1994 bietet "bipoli" die Hausaufgabenhilfe und Sprachförderung in Zusammenarbeit mit dem Büro für Integration des Landkreises Marburg-Biedenkopf an. Ziel ist nicht allein, die Kindern dabei zu unterstützen, die täglichen Anforderungen der Schule zu bewältigen. Die Kurse sollen den Kindern ebenfalls helfen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Nicht zuletzt ist die Förderung der sozialen Kompetenz ein wichtiges Ziel.
In aller Regel finden die Kurse an zwei Tagen in der Woche statt, entweder montags und mittwochs oder dienstags und donnerstags. Frank Dilling, Leiter der Grundschule in Biedenkopf, gab dem Landkreis als Schulträger aber zu verstehen: An unserem Standort könnten wir mehr gebrauchen. Und so starteten nach den Sommerferien viertägige Kurse, erst einmal projektiert bis zu den Herbstferien. Doch schon bald zeigte sich: Der Bedarf ist dauerhaft da.
Und er werde weiter steigen, erwartet Peter Thoene, der seit vielen Jahren als Geschäftsführer von "bipoli" tätig ist. Viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien würden momentan noch die Intensivklassen besuchen. Wenn ihre Sprachkenntnisse sich jedoch verbessert hätten, könnten sie an Hausaufgabenhilfe und Sprachförderung teilnehmen.
Die Herkunft der Teilnehmer in den Gruppen hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Peter Thoene hat unter den Kindern drei Gruppen ausgemacht. Da sei zum einen die "klassische Gruppe": Kinder aus türkischen Familien, die heute noch etwa einen Anteil von 40 Prozent haben. Etwa gleich groß ist die Gruppe der syrischen Kinder. Ein Fünftel der Kursteilnehmer schließlich kommt aus Ländern wie Irak, Libanon und Afghanistan. Das hat auch Folgen für das Miteinander, wie Serpil Koparan, eine der Lehrerinnen in Biedenkopf, im Pressegespräch berichtet. Früher habe sie mit den Kindern immer die Diskussion gehabt, warum man denn deutsch und nicht türkisch miteinander spreche. Diese Debatte habe sich heute erledigt, weil das bei Kindern, die aus Polen, Syrien und der Türkei kommen, ja gar nicht gehe. Das bestätigt auch Peter Thoene: "Deutsch ist die Verkehrs- und Kommunikationssprache geworden."
Er stellt vor allem heraus: Vorrangiges Ziel ist, den Kindern ein gutes und selbstständiges Leben in der deutschen Gesellschaft zu ermöglichen. Und dafür seien Sprache und Bildung von eminenter Bedeutung. Anfangs habe man mitunter das Problem gehabt, dass Eltern die Kurse vor allem als praktische Betreuung am Nachmittag wahrgenommen hätten. "Sie sind aber ein Instrument der Bildungsbeteiligung", sagt Thoene. Deshalb lege man auch großen Wert darauf, dass die Kinder regelmäßig teilnehmen - nur so könne ein kontinuierlicher Bildungsprozess gelingen. Finanziert werden die Kurse vom Landkreis Marburg-Biedenkopf und vom hessischen Kulturministerium, wie Marian Zachow im Pressegespräch erläuterte. Ergänzend kommen Eigenmittel des Vereins "bipoli" hinzu. Ohne die Förderung des Landes würde der Kreis allein das Angebot mit seinen 34 Kursen nicht stemmen können, betonte Zachow.
Der Erste Kreisbeigeordnete zeigte sich nach dem Besuch eines Kurses vor allem beeindruckt von der Fähigkeit der Lehrerinnen, Kinder unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Sprachvermögens unter einen Hut zu bringen. Er sieht die Gesellschaft bei der Integration noch am Anfang. "Das Thema ,Integration der Geflüchteten' geht erst los", sagte der Christdemokrat.
Dr. Franziska Engelhardt, die Anfang dieses Monats von Claus Schäfer die Leitung des Büros für Integration übernommen hat, zeigte sich erfreut darüber, dass die Förderung nachmittags vor Ort in den Räumen der beteiligten Schulen stattfinden kann. "Die Schulen haben eine entscheidende Rolle in der gesellschaftlichen Integration der Kinder", sagte sie. Darum sei es auch richtig und wichtig, dass die Familien für das Angebot nichts zahlen müssten.