Wenn das Tier zur Last wird: Tierheim-Team Marburg kennt viele Gründe
Warum trennen sich Menschen von ihren Vierbeiner? Das Tierheim-Team Cappel in Marburg hat schon viele Gründe gehört, wenn ein Tier abgegeben wurde. Außerdem räumt das Team mit Vorurteilen auf.
Von Regina Tauer
Redakteurin Gladenbach
Katzenbabys gibt es immer reichlich im Tierheim. Foto: Birgit Schönig
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MARBURG-BIEDENKOPF - Ein niedlicher Welpe oder ein Kätzchen unter dem Christbaum, leuchtende Kinderaugen und gerührte Eltern - das Tier, das als neues Familienmitglied einzieht, scheint das Weihnachtsfest oder den Geburtstag unvergessen zu machen. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Idee, ein Lebewesen zu verschenken, nicht immer wohldurchdacht oder gar alltagstauglich ist. Der tapsige Welpe wächst im Lauf des Jahres zu einem stattlichen Junghund mit eigenem Willen heran, die Katze zeigt die Krallen und will kein Schmusetier sein. Dazu kommt in der Urlaubszeit die Frage: Wohin nur mit dem Vierbeiner?
Der Wunsch, sich selbst oder den Kindern an Weihnachten ein Haustier zu schenken, ist verlockend, sagt Maresi Wagner, Leiterin des Tierheims Cappel in Marburg. Weil aber in zahlreichen Fällen die Freude über das süße Geschenk nicht von allzu langer Dauer sei, landeten viele Tiere im Tierheim oder auf der Straße. Nicht sofort in den Wochen nach Weihnachten steigen die Zahlen im Marburger Tierheim. Oft reift die Entscheidung, dass etwa der Hund doch nicht bleiben kann, erst nach einigen Monaten heran. Ob der Hund, der dann im Tierheim abgegeben wird, ein missglücktes Weihnachtsgeschenk war, lässt sich also nicht zurückverfolgen. Denn wer sein Tier im Tierheim abgibt, muss keine Begründung abgeben. Der häufig zu hörende Hinweis auf eine Allergie oder einen anstehenden Umzug muss nicht belegt werden. Nicht selten bekommt das Tierheimteam als Trennungsursache auch zu hören: Der Hund beißt ohne Grund oder die Katze ist plötzlich unsauber.
"Wenn ersichtlich ist, dass der Besitzer das Tier nicht mehr behalten möchte, reden wir ihm dies auch nicht aus", so Wagner. "Es ist besser, es wird im Tierheim aufgenommen als irgendwohin verschachert oder gar ausgesetzt." Denn so ein Tierschicksal gibt es nach wie vor. Die Tierheimleiterin schildert den Fall mehrerer Kaninchen, die in einem Karton ausgesetzt, im Wald gefunden wurden. "Mit viel Glück wurden sie entdeckt und haben überlebt."
SCHICKSALE HINTER ZAHLEN
411 Katzen wurden 2019 im Tierheim Marburg aufgenommen. 325 konnten vermittelt werden. 26 verstarben, 26 Fundtiere und ihre Besitzer fanden wieder zusammen. 9 Jungtiere wurden an die Katzenbabyrettung gegeben.
25 Katzen, die 2019 ins Tierheim kamen, sind immer noch dort. 247 Katzen wurden von Privatpersonen als Fundtiere gebracht, 13 von Amtsseiten. 151 Katzenbesitzer gaben ihr Tier im Heim ab.
Von den 167 im Jahr 2019 aufgenommenen Hunden wurde 113 vermittelt, ein Hund verstarb. 44 Fundtiere gingen an ihre Besitzer zurück. Zwei Hunde wurden auf Pflegestellen vermittelt. Von den 2019 aufgenommenen Hunden warten noch 7 auf ein neues Zuhause.
42 Hunde wurden von Privatpersonen als Fundtiere gebracht, 20 von Amtsseiten. Von ihren Besitzern abgegeben wurden 105 Hunde.
163 Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Vögel , Frettchen und sogar Hühner wurden 2019 aufgenommen. 118 konnten an neue Besitzer vermittelt werden. 18 Kleintiere sind gestorben. 6 wurden an Pflegestellen oder Auffangstationen weitergegeben, 11 gingen zurück an ihre Besitzer, 10 Ankömmlinge aus dem Jahr 2019 sind noch immer im Tierheim.
65 Tiere wurden von Privatpersonen als Fundtiere gebracht, 4 von Amtsseiten94 Besitzer trennten sich von ihren Kleintieren.
Wagner und ihr Team beobachten, dass nicht wenige Tiere, die anonym in regionalen Internet-Kleinanzeigen zum Verkauf angeboten werden, irgendwann im Tierheim auftauchen. Dabei schadet ein häufiger Besitzerwechsel den Tieren. Hunde binden sich fest an "ihre" Menschen, Katzen brauchen ihr gewohntes Umfeld, sagt Wagner.
Dazu erschwert es die Vermittlung: Viele Menschen, die grundsätzlich gern einen Hund aus dem Tierheim bei sich aufnehmen wollten, reagierten mit Zurückhaltung, wenn sie hörten, dieser sei zuvor durch viele Hände gegangen, weiß Wagner. Dabei könne man ihn im Tierheim mehrfach besuchen - ohne Entscheidungsdruck. "Bei einem Privatverkauf im Internet kann man ein Tier in der Regel nicht so gut kennenlernen. Wir sind als Tierheimteam ehrlich gegenüber einem potenziellen Käufer, sagen, ob ein Hund oder eine Katze stubenrein ist, oder ob ein Tier aggressives Verhalten gezeigt hat", erläutert Wagner. Außerdem würden die Tierheimtiere von Tierärzten untersucht. Privatverkäufer hielten diese Infos eher zurück.
Bei der Abgabe wird eine Gebühr fällig
Für die Abgabe eines Tieres verlangt das Tierheim eine Gebühr. Sie beträgt bei Katzen und Hunden zwischen 50 und 100 Euro. Diese Abgabegebühr, die gern in den sozialen Medien kritisiert werde, sei bei Tierarztkosten zwischen 4000 und 8000 Euro, die das Tierheim für Impfungen, Kastration, Blutuntersuchungen oder Röntgen jeden Monat berappen muss, absolut nötig und decke bei Weitem nicht die Ausgaben. Bei finanziellen Notlagen "lassen wir mit uns reden" - etwa über eine Ratenzahlung, sagt Wagner. Die Gebühr dürfe niemals ein Hindernisgrund für eine Abgabe sein, ergänzt Ramona Trusheim vom Tierheim-Team.
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum Menschen ihr Tier nicht ins Heim geben wollen, berichtet Wagner. Noch immer geisterten Vorstellungen in den Köpfen herum, die Tiere würden, wenn sie nach einer bestimmten Zeit nicht vermittelt worden sind, eingeschläfert, weiß Wagner aus vielen Gesprächen. Das sei zwar Praxis in einigen Ländern, darunter auch den USA, worüber in den Medien und im Internet berichtet werde. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung etwa schrieb dazu: "Mehr als ein Drittel der Hunde und vierzig Prozent der Katzen kommen aus dem Tierheim nicht mehr lebendig heraus. In amerikanischen Tierheimen werden jedes Jahr fast drei Millionen Hunde und Katzen eingeschläfert. Das sind 8000 pro Tag."
Das trifft auf Deutschland nicht zu, betont Wagner. "Wir machen das nicht und wir dürfen es auch nicht." Tiere würden nur eingeschläfert, wenn sie trotz tierärztlicher Hilfe keine Lebensqualität mehr hätten und leiden müssten.
Auch Scham spielt eine Rolle, wenn das Haustier abgegeben wird. Die Angst, schief angeschaut zu werden, das Gefühl, versagt zu haben und seinem Tier nicht gerecht geworden zu sein. "Wir wissen auch, dass es Menschen gibt, die ihr eigenes Tier bei der Abgabe als Fundtier ausgeben", berichtet Trusheim. "Wir haben Verständnis", sagt Wagner. "Oft sind Menschen darunter, die ihr Tier von Herzen geliebt haben und jetzt können sie es nicht mehr behalten." Traurig mache es sie, "wenn Leute sagen, ,ich suche einen neuen Besitzer, sonst muss es ja ins Tierheim'".
Große Hunde warten lange auf neue Besitzer
Das Tierheimteam hat schon so manches erlebt: Ein Ehepartner gibt den Hund als Fundtier ab, während der andere im Urlaub ist. Oder Nachbars Katze wird, während die Besitzer im Urlaub weilen, ins Tierheim verfrachtet.
Kommt ein Tier ins Heim, dauert es oft nicht lange, bis ein neuer und passender Besitzer gefunden sei. Doch es gibt auch die Langzeitgäste. Schwarze Katzen oder schwarze Hunde verweilen deutlich länger im Tierheim als ihre helleren Artgenossen, beobachtet Trusheim. "Auch ältere und/oder kranke Tiere ,sitzen' länger als junge und gesunde. Bei den Katzen tun sich gerade unsere verwilderten Mamakatzen schwer. Aber auch Kater, die positiv auf das Feline Immundefizienz-Virus getestet wurden." Bei den Hunden warten besonders die großen Exemplare sowie Hunde, die auf einer Liste stehen, die potenziell gefährliche Rassen aufzählt, mitunter sehr lange oder gar vergeblich auf ein neues Zuhause.
Auch viele Kleintiere haben es nicht leicht, einen neuen Besitzer zu finden. "Proportional zu ihrer Lebenserwartung bleiben sie am längsten im Tierheim", berichtet Trusheim. "Besonders unsere Farbratten und -mäuse verbringen mitunter ein Drittel ihres Lebens bei uns."