Neues im Fall der Aßlarer Akupunktur-Ärztin, die Patienten heimlich Cortison gespritzt haben soll: Ihr Verteidiger hat sein Mandat abgegeben. Unterdessen beschweren sich Anwälte, die Patienten vertreten, über „schleppende Ermittlungen“ der Staatsanwaltschaft.
Von Jörgen Linker
Redakteur Dillenburg
Darum geht es: Cortison mit dem Wirkstoff Triamcinolonacetonid. Die Ärztin soll während Akupunktur-Behandlungen Patienten heimlich das Medikament gespritzt haben.
(Foto: Linker)
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ASSLAR - Neues im Fall der Aßlarer Akupunktur-Ärztin, die Patienten heimlich Cortison gespritzt haben soll: Ihr Verteidiger hat sein Mandat abgegeben. Unterdessen beschweren sich Anwälte, die Patienten vertreten, über „schleppende Ermittlungen“ der Staatsanwaltschaft.
Rechtsanwalt Dr. Burkhard Kirchhoff aus Weilburg hatte die Aßlarer Akupunktur-Ärztin bislang vertreten. Nun hat er sein Mandat abgegeben, eine Gießener Kanzlei vertritt mittlerweile die Ärztin. Offen ist, wer das Mandat gekündigt hat, Kirchhoff oder die Ärztin. Kirchhoff hatte sich in der Vergangenheit einen Ruf als Patientenanwalt erworben. Diese Zeitung fragte bei ihm nach, warum er seine anwaltschaftliche Vertretung abgegeben habe. Antwort: „Leider darf ich ihnen dazu keine Auskunft geben. Ich bitte um Verständnis.“
„Es kommt darauf an, dass schnell gearbeitet wird, sonst sind die Beweise weg“
In dem Ermittlungsverfahren gibt es ebenfalls Neuigkeiten. Nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Uwe Braun hat sich die Anzahl der Anzeigen gegen die Ärztin inzwischen auf rund 30 erhöht. Die Wetzlarer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie wegen gefährlicher Körperverletzung.
Nach Ansicht von zwei Anwälten, die betroffene Patienten vertreten, läuft das Ermittlungsverfahren nur schleppend. Es seien Fehler gemacht worden und die Ermittlungsergebnisse bislang nur dürftig.
Rechtsanwalt Andreas Carl aus Paderborn vertritt eine Patientin. Er hat offiziell Beschwerde gegen die Wetzlarer Staatsanwaltschaft eingelegt, „weil es nicht weitergeht und weil Beweisanregungen nicht weiter verfolgt werden“.
Carl hatte bereits Patienten in einem ähnlichen Fall in Paderborn vertreten. Vor anderthalb Jahren war dort eine Ärztin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung sowie einem dreijährigen Berufsverbot verurteilt worden, weil sie Patienten in 277 Fällen heimlich mit Cortison behandelt hatte.
Andreas Carl sagt: Die Staatsanwaltschaft Wetzlar habe – anders als damals die Paderborner Ankläger – noch immer keinen Gutachter beauftragt, um beispielsweise festzustellen, welche Mengen Cortison in der Arztpraxis verbraucht wurden.
Mehrere Patienten, die bei der Aßlarer Akupunktur-Ärztin in Behandlung waren, werden von der Wettenberger Rechtsanwältin Anita Faßbender vertreten. Auch sie kritisiert die Staatsanwaltschaft, spricht von bislang „dürftigen Ermittlungsergebnissen“ und sagt: „Da müsste mehr passieren.“ Ihre Kritik im Einzelnen:
Erst einen Monat nach einem Durchsuchungsbeschluss sei die Aßlarer Praxis durchsucht und Patientenakten beschlagnahmt worden. „Das hat viel zu lange gedauert. Es kommt darauf an, dass schnell gearbeitet wird, sonst sind die Beweise weg“, sagt Faßbender.
Es seien auch nur Akten von Patienten beschlagnahmt worden, die Anzeige erstattet hatten. So lasse sich das ganze Ausmaß des Cortison-Einsatzes nicht ermitteln.
Üblicherweise würden sonst von Staatsanwaltschaften relativ schnell Sachverständigen-Gutachten in Auftrag gegeben. Hier nicht – obwohl es klären könne, wie die bei Akupunktur-Patienten in Urin- und Haarproben festgestellten Cortison-Konzentrationen zustande kommen; dass sie laut Faßbender nicht durch Salben oder Tinkturen, sondern nur durch Spritzen möglich sind.
Es habe einen anonymen Hinweis auf „seltsame Abläufe“ zwischen der Arztpraxis und der Apotheke im selben Haus gegeben, hierbei sei auch das Cortison Triamcinolon genannt worden. Laut Anwältin ist dazu noch nichts unternommen worden, keine Befragung der Apothekerin.
Der frühere Anwalt der Ärztin hatte einen jährlichen Verbrauch von 3400 Ampullen Cortison in der Praxis eingeräumt. Faßbender: „Diese Menge steht im Raum, aber es ist nicht ermittelt worden, wie die Ärztin daran kam, wo die Menge herkam.“
Eine Kollegin der Ärztin sowie Mitarbeiterinnen in der Praxis seien bis heute noch nicht als Zeugen gehört worden.
Der Wetzlarer Oberstaatsanwalt Uwe Braun sagt zu den Vorwürfen der beiden Anwälte: „Das sehen wir ganz und gar anders und sind uns keiner Schuld bewusst. Wir werden die Eingabe der Anwälte schriftlich beantworten und darstellen, warum die erhobene Kritik unberechtigt ist.“ Weiter wollte sich Braun nicht äußern.
Gegen die Ärztin wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Möglicherweise steht aber auch ein Abrechnungsbetrug im Raum. Eine Patientin hatte dieser Zeitung berichtet, sie habe bei ihrer Krankenkasse ihre Patientenabrechnungen eingesehen und festgestellt: Obwohl sie für jede Akupunktur 25 Euro bezahlt habe, habe die Ärztin die Behandlungen zusätzlich über die Krankenkasse abgerechnet und hierfür anders deklariert. Weitere Patienten berichteten, dass sie ebenfalls je 25 Euro bezahlt hätten, Quittungen aber nur auf Verlangen erhielten.
„Ermittlungen zu Körperverletzungen wollen wir vorantreiben, hier Prioritäten setzen“
Aber: Niemand prüft zurzeit. Die Krankenkasse AOK missdeutet den Vorwurf der Patientin und erklärt, Akupunkturbehandlungen seien Privatleistungen, dazu hätten sie keine Daten. Und die Verordnung von Cortison sei zulässig.
Kassenärztliche Vereinigung sowie Landesärztekammer sehen sich nicht in der Pflicht. Und Oberstaatsanwalt Braun sagt: „Zu einem möglichen Betrug gibt es bislang keine Ermittlung. Der Fokus liegt nach wie vor auf den Ermittlungen zu gefährlichen Körperverletzungen. Das wollen wir vorantreiben, hier Prioritäten setzen.“ Das bedeute aber nicht, dass Betrug nie eine Rolle spielen werde.