Der Cortison-Fall ist nun ein Fall für das Limburger Landgericht: Die Staatsanwaltschaft hat die Aßlarer Akupunktur-Ärztin wegen gefährlicher Körperverletzung in 22 Fällen angeklagt.
Von Jörgen Linker
Redakteur Dillenburg
Wie kommt das Triamcinolonacetonid in den Körper? Ein Antidopinglabor aus dem sächsischen Kreischa hatte den Cortison-Wirkstoff in Urin- und Haarproben von Patienten, die sich in der Aßlarer Akupunktur-Praxis behandeln ließen, nachgewiesen.
(Archivfoto: Linker)
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ASSLAR/WETZLAR/LIMBURG - Der Cortison-Fall ist nun ein Fall für das Limburger Landgericht: Die Staatsanwaltschaft hat die Aßlarer Akupunktur-Ärztin wegen gefährlicher Körperverletzung in 22 Fällen angeklagt.
Rund 40 Patienten hatten die Ärztin angezeigt, einige lassen sich durch Rechtsanwälte vertreten und wollen in einem Prozess als Nebenkläger auftreten. Die Medizinerin soll Patienten während Akupunktur-Behandlungen heimlich Cortisonspritzen gesetzt haben. Patienten, die sich beispielsweise wegen Neurodermitis oder Heuschnupfen mit Akupunktur-Nadeln behandeln lassen wollten, hatten Haar- und Urinproben in einem Antidopinglabor bei Dresden untersuchen lassen. Und das Labor hatte den Cortison-Wirkstoff Triamcinolonacetonid nachgewiesen.
Patienten berichteten dieser Zeitung von gesundheitlichen Veränderungen, von typischen Cortison-Nebenwirkungen: von aufgedunsenen Gesichtern, von Haarausfall, vom Ausbleiben der Menstruation, von Schwächungen des Immunsystems. Eine Patientin schilderte, der Cortisonwirkstoff sei von dem Labor auch in ihrer Muttermilch nachgewiesen worden, mit der sie ihr Baby genährt hatte.
Die Anklage sei beim Landgericht Limburg eingereicht worden, sagte der Wetzlarer Staatsanwalt Daniel Fass am Dienstag gegenüber dieser Zeitung. Das Landgericht – und nicht das Amtsgericht – sei zuständig, wenn Verfahren umfangreich seien beziehungsweise wenn die Straferwartung über vier Jahren Freiheitsstrafe liege. Der Strafrahmen für gefährliche Körperverletzung liegt zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor rund zwei Jahre ermittelt. Zuletzt zog sich das Ermittlungsverfahren in die Länge, weil noch ein medizinisches Gutachten ausstand. Eine Professorin des Uniklinikums Münster sollte beurteilen, wie der in Urin- und Haarproben von Patienten festgestellte Cortison-Wirkstoff Triamcinolonacetonid in die Körper kam. Inzwischen liegt dieses Gutachten vor. Das Ergebnis wollte Fass aber „aus ermittlungstaktischen Gründen“ noch nicht bekanntgeben.
Der Staatsanwalt rechnet mit einem Prozess am Landgericht noch in diesem Jahr
Wann es zu einem Prozess kommt, ist noch offen. Der Staatsanwalt rechnet mit einem Beginn des Gerichtsverfahrens in diesem Jahr. Zuvor entscheidet das Landgericht noch über die Zulassung der Anklage.
Die Aßlarer Ärztin bestreitet die Vorwürfe. Anfangs hatte sie via Rechtsanwalt behauptet, es laufe eine Kampagne gegen sie; man gönne ihr den medizinischen Erfolg nicht. Zudem könne der im Labor entdeckte Cortison-Wirkstoff auch durch Cremes und Salben, die sich haut- und allergiekranke Patienten selbst verabreicht hätten, zustande gekommen sein.
Starkes Indiz für die Cortisonbehandlungen: Die Aßlarer Praxis – auf Naturheilverfahren spezialisiert – bezog alleine im Jahr 2015 insgesamt 6100 Cortison-Ampullen. Der Jahresverbrauch einer großen hausärztlichen Praxis in Dillenburg: „maximal 150 bis 200 Ampullen Cortison im Jahr“.
Später räumte die Aßlarer Ärztin einige Cortisonbehandlungen ein, behauptete jedoch, diese Patienten seien darüber aufgeklärt worden und hätten eingewilligt. Das bestritten Patienten gegenüber dieser Zeitung. Mehr noch: Die Polizei hat sichergestellte Computerfestplatten aus der Arztpraxis ausgewertet und festgestellt, dass Patientenakten nachträglich frisiert worden sein sollen. Auch Arzthelferinnen sollen in Vernehmungen von veränderten Einträgen in Patientenakten berichtet haben.
Die Anklage wurde dennoch nicht auf Urkundenfälschung erweitert. Fass: „Die Anklageschrift hat sich auf das Wesentliche konzentriert. Gegenüber einer gefährlichen Körperverletzung würde eine Urkundenfälschung nicht ins Gewicht fallen.“
Darüber hinaus hatten Patienten dieser Zeitung berichtet, dass sie der Ärztin jeweils 25 Euro bar für die Akupunkturbehandlungen gezahlt hätten. Eine Patientin hatte später ihre Akte bei der Krankenkasse eingesehen und erklärt: Die Ärztin habe die Behandlung anders deklariert und so zusätzlich über die Krankenkasse abgerechnet. Für einen Betrug sieht Staatsanwaltschaft Fass allerdings nach eigenen Angaben keinen Anfangsverdacht.
Nach Informationen dieser Zeitung sind von dem ursprünglichen Praxis-Team nur noch die Ärztin und eine Angestellte übrig. Sieben Personen – Arztheferinnen sowie eine zweite Ärztin – sollen seit den Ermittlungen gekündigt haben.