Das Landgericht Limburg hat sich im Cortison-Fall als unzuständig erklärt, weil es keine besondere Bedeutung des Falls und keinen größeren Umfang des Verfahrens sieht. Der Prozess wurde an das Amtsgericht Wetzlar verwiesen.
Von Jörgen Linker
Redakteur Dillenburg
Darum geht es: Cortison mit dem Wirkstoff Triamcinolonacetonid: Die Ärztin soll während Akupunkturbehandlungen Patienten heimlich das Medikament gespritzt haben.
(Archivfoto: Linker)
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ASSLAR/WETZLAR/LIMBURG - Das Landgericht Limburg hat sich im Cortison-Fall als unzuständig erklärt, weil es keine besondere Bedeutung des Falls und keinen größeren Umfang des Verfahrens sieht. Der Prozess wurde an das Amtsgericht Wetzlar verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft Wetzlar hatte im April dieses Jahres eine Aßlarer Akupunktur-Ärztin wegen gefährlicher Körperverletzung in 22 Fällen angeklagt. Sie soll Patienten während Akupunkturbehandlungen heimlich Cortisonspritzen gesetzt haben. Und die Staatsanwaltschaft erhob Anklage vorm Landgericht Limburg. Das Landgericht – und nicht das Amtsgericht – sei zuständig, wenn Verfahren umfangreich seien beziehungsweise, wenn die Straferwartung über vier Jahren Freiheitsstrafe liege, argumentierte Staatsanwalt Daniel Fass.
Rechtsanwältin: „Es hätte hinreichenden Anlass für weitere Ermittlungen gegeben“
Diese Anklage hat das Landgericht nach Informationen dieser Zeitung Mitte Oktober zugelassen. Aber es bewertet den Fall anders als die Staatsanwaltschaft:
Es sei keine Strafe von mehr als vier Jahren zu erwarten.
Das Verfahren sei nicht besonders umfangreich – weder, was die Akten, die Zahl der Fälle noch die Zahl der Personen angeht. Es gibt eine Angeklagte, 37 benannte Zeugen und 22 angeklagte Taten. Das Gericht geht deshalb nicht von einer langen Verfahrensdauer, von mehr als sechs Prozesstagen, aus.
Der Fall sei auch nicht von besonderer Bedeutung, da es nur eine kleine Arztpraxis mit Patienten aus einem örtlichen Einzugsgebiet sei und, da der Fall auch nicht das Vertrauen der Öffentlichkeit in die allgemeine Medizin gefährde.
Überdies sieht das Landgericht den Fall als „einfach gelagert“ an – soll heißen: Er sei aufgrund der guten Vorarbeit nicht so schwer zu beurteilen. Denn der Sachverhalt und die Beweislage (unter anderem medizinische Fragen sowie die nachträgliche Veränderung von Patientenakten) seien gut aufgearbeitet worden.
Und so hat das Landgericht Limburg den Fall an das untergeordnete Amtsgericht Wetzlar verwiesen.
Rechtsanwalt Andreas Carl aus Paderborn vertritt betroffene Patienten. Er sieht „selbstverständlich“ eine besondere Bedeutung. Der Fall habe überregional für Aufsehen gesorgt. Er sagte auf Anfrage dieser Zeitung: „Das Landgericht hat handwerkliche Fehler der Staatsanwaltschaft ausgenutzt.“ In der Anklageschrift sei nicht vernünftig begründet worden, warum der Fall vor das Landgericht gehöre.
Carl hatte bereits Patienten in einem ähnlichen Fall vertreten. Vor drei Jahren hatte das Landgericht Paderborn eine Ärztin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung sowie einem dreijährige Berufsverbot verurteilt. Sie hatte Patienten in 277 Fällen heimlich mit Cortison behandelt.
Auch Rechtsanwältin Anita Faßbender aus Wettenberg vertritt mehrere ehemalige Patienten der Aßlarer Praxis, die in dem Prozess als Nebenkläger auftreten. Sie äußert auf Anfrage ihr „völliges Unverständnis“ über die Verweisung des Falls an ein Amtsgericht. Und darüber, dass die Staatsanwaltschaft dem Fall nicht die Bedeutung und den Umfang gegeben habe, den er eigentlich habe; dass sich die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen nur auf die Anzeigeerstatter konzentriert habe, obwohl es Anhaltspunkte gebe, dass sie nur die Spitze eines Eisbergs seien. Denn die Praxis sei 2015 mit insgesamt 6100 Ampullen Cortison beliefert worden, im Jahr darauf mit 3500 Ampullen. Faßbender: „Es hätte also hinreichenden Anlass für weitere Ermittlungen gegeben.“ Im Übrigen seien nur 20 Fälle angeklagt worden, obwohl 40 ehemalige Patienten der Aßlarer Praxis Anzeige erstattet hätten.
Patienten hatten dieser Zeitung von den Behandlungen bei der Medizinerin berichtet. Sie hätten sich beispielsweise wegen Neurodermitis oder Heuschnupfen mit Naturheilkunde, mit Akupunkturnadeln, behandeln lassen wollen. Nachdem der Verdacht auf heimliche Cortisonspritzen während der Behandlungen aufkam, ließen sie Haar- und Urinproben untersuchen, und ein Labor stellte den Cortisonwirkstoff Triamcinolonacetonid fest. Die Patienten berichteten außerdem von gesundheitlichen Veränderungen, von typischen Cortison-Nebenwirkungen wie aufgedunsenen Gesichtern, Haarausfall, Ausbleiben der Menstruation und geschwächtem Immunsystem.
Die Medizinerin bestreitet die Vorwürfe, räumte später jedoch einige Cortisonbehandlungen ein und behauptete, diese Patienten seien darüber aufgeklärt worden und hätten eingewilligt. Das bestritten Patienten wiederum. Die Polizei hatte in der Arztpraxis sichergestellte Computerfestplatten ausgewertet und festgestellt, dass Patientenakten nachträglich frisiert worden sein sollen.