Bewusste Täuschung bei der Qualitätssicherung? Der im Woolrec-Prozess angeklagte Gutachter Stefan G. ist von einem Ex-Mitarbeiter belastet worden. Auf Anordnung seines Chefs habe er die Ergebnisse der Woolit-Prüfberichte gefälscht, erklärte der Zeuge.
Von Steffen Gross
Redakteur Wetzlar
Gutachter Stefan G., hier mit dem mitangeklagten Edwin F. und den Verteidigern während des ersten Verhandlungstags, soll laut der Zeugenaussage eines früheren Institutsmitarbeiters angewiesen haben, passende Ergebnisse für Woolit-Prüfberichte zu erfinden.
(Archivfoto: Gross)
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Braunfels/Gießen - Bewusste Täuschung bei der Qualitätssicherung? Der im Woolrec-Prozess angeklagte Gutachter Stefan G. ist von einem Ex-Mitarbeiter belastet worden. Auf Anordnung seines Chefs habe er die Ergebnisse der Woolit-Prüfberichte gefälscht, erklärte der Zeuge.
Der 59-Jährige war von 2004 bis 2012 beschäftigt am Gießener Institut von Stefan G., der das Qualitätsmanagement für Woolrec verantwortete. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter übernahm der Zeuge ab 2011 für ein Jahr die monatlichen Woolit-Kontrollen, deren Ergebnisse – nachdem sie über den Schreibtisch von Stefan G. gegangen waren – an die Aufsichtsbehörde, das Regierungspräsidium (RP) Gießen, weitergeleitet wurden. Seine Aufgabe bestand darin, Proben des Fasergemischs in dem Tiefenbacher Betrieb zu nehmen, um diese in einer im Institut konstruierten Rüttel-Apparatur auf Faserfreisetzung, Wassergehalt, Dichte, Porenvolumen und anderes mehr zu prüfen. Nach anschließender Mikroskopuntersuchung und Berechnung mit Hilfe einer vorgegebenen Formel gingen die Ergebnisse in die Prüfberichte für das RP ein.
Wie er dabei vorzugehen hatte, habe er von seinem Vorgänger, einem Studenten, erfahren, berichtete der 59-Jährige am Dienstag im Saal des Gießener Schwurgerichts. Erstaunt sei er gewesen, als der Student ihm erklärt habe, dass er lediglich die Faserfreisetzung untersuchen und alle weiteren Parameter frei erfinden sollte – Hauptasche diese bewegten sich „im grünen Bereich“. Auf Nachfrage bei Stefan G. habe dieser die Vorgehensweise als „in Ordnung“ bezeichnet und ihn angewiesen, genauso zu verfahren.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Heiko Söhnel, wie er die erfundenen Werte mit seinem wissenschaftlichen Ehrgefühl vereinbaren konnte, erklärte der ehemalige Institutsmitarbeiter: „Ich hatte Angst, meinen Job zu verlieren. Professor G. war sehr dominant. Bei Widerspruch konnte er sehr unangenehm werden.“
Zeuge gibt an, er habe nie überprüft, ob die Rezeptur eingehalten wird, das sei gar nicht möglich gewesen
Ihm sei bewusst gewesen, dass die Prüfberichte zur Überwachung an das RP gingen. Stefan G. habe gesagt, es bestehe keine Gefahr, dass das Woolit nicht geeignet sei. Dass der ebenfalls angeklagte Ex-Woolrec-Chef Edwin F., der als Auftraggeber für das Qualitätsmanagement zahlte, von den gefälschten Prüfergebnissen wusste, glaube er nicht, sagte der Zeuge.
Gegen den 59-Jährigen war zuvor in einem gesonderten Verfahren wegen Manipulation von Prüfberichten ermittelt worden. Das Verfahren wurde eingestellt, inzwischen gelten die Vorwürfe als verjährt. Zur Absicherung hatte sich der Zeuge den Wetzlarer Rechtsanwalt Dieter Henze an die Seite geholt.
Die Anzahl der freigesetzten Fasern habe sich stets weit unterhalb des zulässigen Grenzwerts bewegt, berichtete der 59-Jährige. Ein einziges Mal im März 2012 sei die Zahl erhöht gewesen, jedoch noch immer weit unter dem Grenzwert. Einmal, vermutlich im November 2011, habe er auf Anweisung seines Chefs auch die Faserauswertung ausgelassen und deren Ergebnisse ebenfalls erfunden, weil er mit einem anderen Projekt zeitlich gebunden gewesen sei.
In den Prüfberichten wurde obendrein vermerkt, dass das Mischverhältnis nach der vorgeschriebenen Woolit-Rezeptur eingehalten worden sei. Auch das sei erfunden, so der Zeuge. Das sei niemals von ihm überprüft worden, technisch sei das nicht möglich gewesen.
Im April 2012 war für den Zeugen Schluss mit der Woolrec-Prüftätigkeit. Das Thema Woolrec sei damals „hochgekocht“ durch externe Gutachten und die Medien. Über Verbindungen von Stefan G. habe er eine neue Beschäftigung bei einem namhaften großen Forschungsinstitut gefunden, so wie vier weitere ehemalige Mitarbeiter des Gießener Instituts. Auch Stefan G. selbst könnte sich damals kurz vor dem Wechsel befunden haben, weil er erbost gewesen sei, dass man ihn in Gießen verdächtigt habe, vermutete der Zeuge.
Zuvor hatte ein heute 41-jähriger ehemaliger Institutsmitarbeiter als Zeuge ausgesagt. Er hatte von 2003 bis Ende 2007 die Aufgabe der Woolit-Prüfungen, zuletzt sei er dafür bei Woolrec selbst angestellt gewesen. „Stutzig“ habe ihn diese Verquickung von Universität und Faserfirma nicht gemacht, sagte der 41-Jährige auf Nachfrage.
Er berichtete, wie er seinerzeit an der Konstruktion der Prüfapparatur mitgewirkt habe. Er nannte sie „Rüttelmaschine“: Ein Metallgehäuse mit einem Sieb darin, auf das die Probe gegeben worden sei. Durch den Rüttelmechanismus und die Zugabe von Druckluft über eine Dauer von einer halben Stunde sei darin der Transport von Woolit auf einem Lkw simuliert worden. Warum nach anfänglichen zehn später nur noch drei Proben untersucht wurden, wisse er nicht. Sicher sei er, dass nie ein Grenzwert von 500 freigesetzten Fasern pro Kubikmeter Luft erreicht wurde.
Im Woolrec-Prozess wird Stefan G. und Edwin F. unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Beiden drohen mehrjährige Haftstrafen.