Der Spruch "Früher war alles besser, schöner, größer, runder..." ist wahrlich ziemlich ausgeleiert. Aber in manchen Dingen trifft er doch noch zu.
Früher beispielsweise durften ältere Damen nur noch lila Kleidung tragen, sich ein Häubchen aufsetzen und dann still in die Ecke verziehen, um den Lebensabend zu genießen. Im Höchstfalle musste Oma ab und an mal die Enkel schaukeln, in erster Linie war für die ältere Generation Ruhe angesagt. Allein geregelte Mahlzeiten und ein pünktliches Mittagsschläfchen bestimmten den gemütlichen Lebensablauf. Welch selige Zeiten! Denn das ist heute völlig anders. Wer siebzig Jahre auf dem Buckel hat, hat zwar Anrecht auf eine Seniorenbahncard, aber ansonsten ist "Jugendlichkeit" angesagt. Denn die "Siebzig" entspricht heutzutage dem neuen vierziger Gefühl. Da geht noch alles, ist vor allem Bewegung Pflicht.
Solch ein Pensionär hat alle Zeit der Welt, somit Raum für den letzten Aufbruch in neue Gefilde. Deshalb ist es keine Seltenheit, sich zum Studium neu einzuschreiben und vielleicht endlich dass zu studieren, was man ohne den Druck der Eltern eigentlich wirklich am Anfang wollte. Da tummelt sich ein ganzes Rudel Marathonläufer hoch in die Achtzig auf den Straßen und bis knapp neunzig tobt sich manche mit grauen Locken noch beim "Zumba-Abend" aus. Mit anderen Worten, wer sich allein auf die Pflege seiner Zipperlein konzentriert und sich altersmüde in den Ohrensessel fallen lässt, der ist nicht "IN". Wer will unter solchen Gesichtspunkten auch schon zum alten Eisen zählen. Diese Vorgeschichte muss es gewesen sein, die mich beim Zeitungslesen dazu animierte, etwas genauer hinzusehen.
Dort stand beim Veranstaltungskalender unter Bad Endbach: "Gästeschießen im Schlierbacher Schützenhaus, Sonntag von 10.30 bis 12.30!" Wie ein Blitz durchschoss es mich, denn auch ich befinde mich schon leicht auf der Seniorenschiene und habe händeringend nach einem Betätigungsfeld gesucht, was Körper Geist und Seele dabei hilft, taufrisch zu bleiben. Gut, ich flitze jeden Tag mit dem Hund durch die Landschaft und beim Sudoku schlägt mich so schnell keiner. Aber das war mir noch nicht stramm genug und ist auch kaum in einem Wettbewerb unterzubringen. Doch beim Schießen sind alle Synapsen gefordert, eine Allrounddisziplin. Da geht es um körperliche Ausdauer, eine gezielte Atmung und hundertprozentige Konzentration. Meine Begeisterung für meine neue Erkenntnis kannte keine Grenzen. Doch egal, wen ich in meinem näheren Bekanntenkreis mobilisieren wollte, keiner, auch nicht der liebste Mann an meiner Seite, konnte sich für meine Idee begeistern. So begab es sich, dass ich am Sonntagmorgen ganz alleine im Schützenhaus in Schlierbach auftauchte. Eine Menge netter Leute hat mich dort empfangen und der Vorsitzende des Schützenvereins, Ulli Müller, hat mir meine erste Begegnung mit einem Luftgewehr total leicht gemacht. Kimme Korn ran!
So einfach war es natürlich nicht, denn heutzutage sind die Gewehre mit einer viel feineren Ausstattung versehen. Also hielt ich sehr bald das Gewehr in der Hand, atmete tief ein, hielt die Luft an, drückte auf den Auslöser und "peng" traf ich die Mitte. Als mir mehrmals gleich solche Treffer gelungen waren, hagelte es ein erstes Lob, was mich natürlich in meinem Tun beflügelte. Eine geschlagene Stunde hielt ich durch. Anschließend war ich schlagskaputt, als wäre ich 100 Meter in zehn Sekunden gelaufen und hätte 20 Sudokus auf einmal gelöst. Jedenfalls hat es mir einen Heidenspaß gemacht. Ich schwor, dies Training durchzuhalten. Als ich Zuhause meine ziemlich mittig durchlöcherten Zielscheiben vorführte, kippte die Stimmung in allgemeine Begeisterung. Spontan wurde geplant, dass wir demnächst mit einer ganzen Gruppe zu diesen Sonntagsveranstaltungen gehen.