Noch spüren die Kunden wenig von den Horror-Konditionen an den internationalen Märkten. Aber das dürfte sich ändern. Und für regionale Versorger könnte es bald eng werden.
MAINZ/REGION. In wenigen Tagen wird der russische Gasfluss aus der Pipeline Nordstream 1 nach Deutschland versiegen, zunächst nur für zehntägige Wartungsarbeiten. Doch wird befürchtet, dass Russland, dies nutzt, um weiteren politischen Druck aufzubauen, die Lieferungen also nicht wieder aufnimmt. Damit wäre die „Gasmangellage“, auf die sich Bundesregierung, Importeure und regionale Energieversorger seit Monaten fieberhaft vorbereiten, wirklich da. Möglicherweise müssten dann Großverbraucher im Winter vom Netz genommen werden – mit unabsehbaren Folgen für die Wirtschaft. Doch auch wenn es nicht so weit kommen sollte, baut sich für alle Verbraucher gerade ein regelrechter Preis-Tsunami auf.
Wie ist es aktuell um die Versorgungssicherheit bestellt? Seriös kann diese Frage derzeit niemand beantworten. Die Gasspeicher sind derzeit mit gut 60 Prozent besser gefüllt als vor einem Jahr, doch wären die angepeilten 90 Prozent bis zum Herbst ohne Gas aus Nordstream 1 laut Bundesnetzagentur kaum noch zu schaffen. Diese 90 Prozent werden aber gebraucht, um im Winter vor russischen Erpressungsversuchen gewappnet zu sein. Entscheidend ist deshalb, was nach dem 21. Juli passiert, wenn die Pipeline-Wartung eigentlich beendet sein soll.
Was bedeutet das für die regionalen Versorger? Liefern können sie nur, was sie ihrerseits bekommen. Deshalb schaut man in den Chefetagen mit großer Sorge auf die kommenden Wochen. „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“, beschreibt Michael Ortmanns, Sprecher der Darmstädter Entega (150.000 Gaskunden), die Stimmung. Wer im Ernstfall Gas bekommt und wer nicht, entscheidet letztlich die Bundesnetzagentur.
Der Gasimporteur Uniper ist in Not, weil er ausbleibendes russisches Gas auf dem Weltmarkt teuer nachkaufen muss. Schlägt das auf die regionalen Versorger durch? Ja. Praktisch alle regionalen Versorger beziehen Gas vom Marktführer – und bekommen das auch. Fragt sich nur, zu welchen Konditionen. Bekäme Uniper die Möglichkeit, die höheren Preise an seine Abnehmer kurzfristig auch nur teilweise weiterzugeben, könnte das diese schnell in Not bringen. Die regionalen Versorger können die höheren Kosten nämlich in den meisten Fällen nicht einfach an ihre Kunden weiterreichen. Viele Verträge haben eine Preisgarantie, Anpassungen müssen jedem Kunden per Post angekündigt werden. Das alles dauert und kostet viel Geld.
Können regionale Versorger dadurch selbst in Gefahr geraten? Der Deutsche Städtetag sagt: Ja. Auch der Branchenverband BDEW warnt eindringlich vor massiven Problemen und fordert Hilfen des Staates. Regionale Versorger äußern sich unterschiedlich. Während die Frankfurter Mainova, einer der Großen im Markt, keine existenzielle Bedrohung sieht, heißt es bei der Wiesbadener ESWE: Um sich auf weitere Verwerfungen im Gasmarkt vorzubereiten, „brauchen wir schnell ein Insolvenzmoratorium für Energieversorger und Verabredungen über einen Schutzschirm auch für Stadtwerke“.
Carsten Hoffmann, Vorstand der Bensheimer GGEW, betont, man sei „liquiditätsseitig und auf der Eigenkapitalseite gut aufgestellt“. Der Geschäftsführer der Wetzlarer Enwag, Berndt Hartmann, ist da etwas vorsichtiger und spricht von einem „sehr konkreten“ Liquiditätsrisiko für die städtischen Versorger.
Hat die Bundesregierung inzwischen reagiert? Ja. Sie hat diese Woche im Eiltempo eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes auf den Weg gebracht, die von Bundestag und Bundesrat bereits verabschiedet wurde. Sie soll – vereinfacht ausgedrückt – dafür sorgen, dass die Versorger nicht auf ihren höheren Einkaufskosten sitzen bleiben oder diese gar nicht erst bei ihnen aufschlagen. So will der Bund die Importeure stützen, vielleicht sogar über einen direkten Einstieg. Außerdem soll es den Stadtwerken im Ernstfall über eine Art Umlage möglich sein, die Extra-Kosten außer der Reihe und unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Verträge an alle Kunden weiterzureichen.
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Was heißt das für die Kunden? Für sie wird es schon bald verdammt teuer. Derzeit profitieren sie noch davon, dass die meisten regionalen Versorger gerade Gas ausliefern, das sie vor ein, zwei oder gar drei Jahren eingekauft haben, also sehr viel billiger. Jedoch müssen sie natürlich auch gerade Kontrakte für die Folgejahre schließen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann die höheren Einkaufspreise beim Kunden ankommen. Spätestens wird das zum Ende des aktuell laufenden Vertrages sein. Bei der Entega ist das ein fortwährender Prozess, bei der ESWE kommt der Preishammer wohl im Herbst, bei der Enwag und vielen anderen spätestens zum Jahreswechsel.
Um welche Dimension geht es? Das hängt zum einen davon ab, ob die erwähnte Umlage kommt, die wohl auch Auswirkungen auf neue Verträge hätte. Ferner davon, ob der Staat dämpfend eingreift, indem er Steuern und Abgaben auf Energie senkt. Klar ist aber, dass es richtig teuer wird. Die Einkaufspreise für Gas haben sich seit 2020 sage und schreibe verzehnfacht. Wenn man bedenkt, dass bei den aktuellen Tarifen rund die Hälfte Fixkosten sind und der Rest das Gas selbst, also unmittelbar am Rohstoffpreis hängt, bekommt man eine Vorstellung davon, was allen Gaskunden ins Haus steht. Einen Hinweis geben auch Vergleichsportale wie Verivox. Wer dort seine aktuellen Verbrauchsdaten eingibt, bekommt Angebote angezeigt, die um das Zwei- bis Dreifache über den heutigen Monatsabschlägen liegen dürften.