Für Tiefenbacher war die Firma Woolrec von Beginn an Reizthema. Für den damaligen Regierungspräsidenten wurde sie es in der heißen Phase ab 2012. Vom „dünnhäutigen“ Behördenchef, der unter Druck gestanden habe, berichtete ein Ex-Mitarbeiter im Prozess.
Von Steffen Gross
Redakteur Wetzlar
Gut 25 Quadratmeter groß soll das Loch in der Wand der Woolrec-Anlieferungshalle gewesen sein. Warum es Mitarbeitern der Aufsichtsbehörde beim Kontrolltermin am 11. September 2011 nicht aufgefallen ist, konnte auch im Woolrec-Prozess nicht geklärt werden.
(Archivfoto: privat)
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Gießen/Braunfels - Für Tiefenbacher war die Firma Woolrec von Beginn an Reizthema. Für den damaligen Regierungspräsidenten wurde sie es in der heißen Phase ab 2012. Vom „dünnhäutigen“ Behördenchef, der unter Druck gestanden habe, berichtete ein Ex-Mitarbeiter im Prozess.
Um ein großes Loch in der Außenwand der Anlieferungshalle, welches im September 2012 von Mitarbeitern der Aufsichtsbehörde ausgemacht worden war, drehte sich am Dienstag der Verhandlungstag im Woolrec-Prozess. Dem Loch war in der Folge besondere Bedeutung zugekommen: Erst wurde es offenbar von Kontrolleuren des Regierungspräsidiums (RP) übersehen, dann wurde es zum Auslöser dafür, dass die Faserfirma zunächst vorläufig die Arbeit einstellen musste – danach auch nie wieder in Betrieb ging – und auch dafür, dass Geschäftsführer Edwin F. die Zuverlässigkeit aberkannt wurde.
Nach Hinweisen von der IG Tiefenbach machten sich RP-Kontrolleure auf die Suche nach Schäden
Edwin F. muss sich gemeinsam mit Firmengutachter Stefan G. von der Universität Gießen seit Januar wegen des Vorwurfs des unerlaubten Umgangs mit Abfällen in einem besonders schweren Fall vor dem Gießener Schwurgericht verantworten. Beiden drohen mehrjährige Haftstrafen.
Während an den vorangegangenen Prozesstagen als Zeugen befragte RP-Mitarbeiter häufig massive Erinnerungslücken offenbart hatten, war diesmal mit einem inzwischen pensionierten ehemaligen technischen Beamten des RP-Dezernats für Abfallswirtschaft jemand im Gerichtssaal, der sehr konkret wurde. Zuständig war der heute 64-Jährige für die Anlagenüberwachung. Er konnte sich noch sehr genau daran erinnern, dass im September 2012 Woolrec-Gegner von der IG Tiefenbach mehrfach bei der Aufsichtsbehörde ein Loch in der Wand der Anlieferungshalle angezeigt hatten. Dafür, wie zwei seiner Kollegen das Loch bei einem ersten Kontrolltermin am 11. September 2011 übersehen konnten, hatte der Zeuge keine Erklärung. Als er daraufhin selber zehn Tage später, am Freitag, 21. September 2012, gemeinsam mit dem Abteilungsleiter vor Ort nach dem Rechten geschaut hatte, sei das „Riesenloch“ nicht zu übersehen gewesen, sagte er. Er habe den Anlieferbetrieb stillgelegt und sofortige Sicherungsmaßnahmen angeordnet: Woolrec habe einen Container dicht vor das mit Plane verschlossene Loch stellen müssen, um den Austritt von gefährlichen künstlicheren Mineralfasern aus dem Halleninneren zu verhindern. Anschließend habe die Firma die Wand fachmännisch schließen müssen. Entstanden sei das Loch wohl durch einen Radlader, der gegen die Wand gestoßen sei, so der Zeuge.
Nur drei Tage später habe sich Edwin F. gemeldet und erklärt, dass der Schaden behoben sei und der Betrieb wieder aufgenommen werden könne. Das kontrollierte der RP-Mitarbeiter noch am selben Tag, nahm die Baumaßnahme ab und gab den Betrieb wieder frei. Jedoch nur kurzzeitig.
„Ich wollte gerade ins Auto steigen, da rief der Regierungspräsident auf meinem Handy an“, erinnerte sich der Zeuge. Lars Witteck habe sich nach dem Stand der Dinge erkundigt. „Als ich ihm berichtete, dass wir den Betrieb freigegeben haben, meinte er: Um Gottes Willen! Machen Sie das rückgängig“, sagte der 64-Jährige. Es habe sich um eine dienstliche Anweisung gehandelt. Er sei daraufhin zurück ins Werk und habe den Betrieb erneut stillgelegt – obwohl er anderer Auffassung gewesen sei, sich geärgert und persönlich angegriffen gefühlt habe.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Heiko Söhnel nach möglichen Hintergründen für die Dienstanweisung durch den Behördenchef erklärte der Zeuge: „Ich habe eine Mutmaßung dazu: Der Regierungspräsident stand unter Druck durch die Presse, TV und Anwohner, die ihn persönlich verantwortlich gemacht haben“ für die Vorkommnisse rund um Woolrec. Der Regierungspräsident sei im Laufe der Zeit „sehr dünnhäutig geworden, weil ihm persönlich Dinge vorgeworfen wurden, die die Mitarbeiter zu verantworten hatten“. Den konkreten Grund habe er nie erfahren, sagte der Beamte im Ruhestand. Sein damaliger Abteilungsleiter hatte zuvor ausgesagt, Woolrec sei ab dem Frühjahr 2012 „Chefsache“ gewesen.
Fast zeitgleich wurde der Aufsichtsbehörde ein Gutachten zu Dioxin-Funden rund um die Firma bekannt
Bekannt ist, dass man bei der Aufsichtsbehörde am Tag nach diesem Vorfall, am 25. September 2012, von der Staatsanwaltschaft Limburg über ein Gutachten in Kenntnis gesetzt wurde, nach dem rund um die Tiefenbacher Firma erhebliche Schadstoffmengen des gefährlichen Gifts Dioxin und Schwermetalle festgestellt wurden. Die Behörde reagierte damals mit der sofortigen Betriebsstilllegung.
Auch einer der beiden RP-Kontrolleure, denen beim vorangegangenen Vor-Ort-Termin am 11. September 2012 das Loch in der Hallenwand nicht aufgefallen war, wurde am Dienstag als Zeuge gehört. Eine stichhaltige Erklärung hatte der 43-jährige technische Amtmann nicht: „Entweder war das Loch an dem Tag kleiner oder verdeckt“, sagte er.
Auf dem Woolrec-Gelände hätten die RP-Mitarbeiter den Schichtleiter angetroffen. Angesprochen auf Beschwerden über das Loch, Bauarbeiten und das Arbeiten mit Faserabfällen ohne Mundschutz habe dieser ihnen drei Stellen gezeigt, an denen kurz zuvor gearbeitet worden sei – nicht aber das Loch. Er selbst sei vermutlich zweimal daran vorbeigegangen, ohne es zu bemerken, sagte der Zeuge. Womöglich sei es außen von einem Container und Stapler verdeckt worden, innen von haufenweise Faserabfällen.
Nach der Auffassung der Aufsichtsbehörde wäre es die Pflicht des Firmenchefs gewesen, den Schaden unverzüglich zu melden. Edwin F. wurde daraufhin vorsätzliche Täuschung vorgeworfen und ein Verfahren wegen des Verdachts der persönlichen Unzuverlässigkeit als Betreiber einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage eingeleitet. Woolrec wurde außerdem im Wege eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens eine Geldbuße wegen des Verstoßes gegen die behördlichen Auflagen auferlegt. Die Staatsanwaltschaft wurde wegen des Verdachts einer Umweltstraftat über den Vorfall informiert. Woolrec durfte daraufhin vorläufig nicht zum Regelbetrieb zurückkehren – und tat dies schließlich auch nicht mehr. Es war der Anfang vom Ende der umstrittenen Faserfirma.