WETZLAR/DILLENBURG Alter, Geschlecht, Herkunft - das ist es, was die Kommunen anfangs über einen Flüchtling wissen. Bildungsweg und beruflicher Werdegang sind längst nicht bekannt. Doch diese Kenntnisse sind für die Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt ausschlaggebend.
Von Manuela Jung
Redakteurin Wetzlar
Karsten Beer (l.) und Kerstin Gerbig (2.v.l.) von GWAB im Gespräch mit Integrationscoach Kadriye Eidin und einer syrischen Flüchtlingsfamilie.
(Foto: Jung)
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WETZLAR/DILLENBURG Alter, Geschlecht, Herkunft - das ist es, was die Kommunen anfangs über einen Flüchtling wissen. Bildungsweg und beruflicher Werdegang sind längst nicht bekannt. Doch diese Kenntnisse sind für die Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt ausschlaggebend.
Mohammed, Fatima und ihr Sohn Ali (Namen von der Redaktion geändert) sind seit September in Deutschland. Sie kommen aus einem Vorort von Damaskus, waren in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen und im Camp in Wetzlar untergebracht. Nun wohnen sie in einer Gemeinschaftsunterkunft im nördlichen Lahn-Dill-Kreis.
Mit der derzeitigen Wohnsituation ist der Familienvater nicht zufrieden: "Wir werden von einem netten Nachbarn unterstützt, aber es ist schon bedrückend, wie viele Männer um meine Frau und unser Kind herum leben", sagt er. Mohammed stört es auch, dass der nötige Asylantrag für die syrische Familie bislang nicht gestellt werden konnte.
Aber immerhin: Seit Ende November besuchen Mohammed und Fatima einen Sprachkurs, Ali kommt in dieser Zeit in einer Kita in Dillenburg unter. Für sie Grund genug, zuversichtlich in Richtung Zukunft zu blicken: "Unsere Heimatstadt ist ständig unter Raketenbeschuss, ein Schulbesuch wäre unter diesen Umständen unmöglich für meine Kinder gewesen. In Deutschland fühlen wir uns endlich wieder sicher, ich möchte mich weiterbilden, wir wollen beide arbeiten gehen. Aber vor allem geht es uns um die Zukunft unserer Kinder. Das zweite kommt in ein paar Monaten zur Welt."
Welche berufliche Perspektive es für Mohammed und seine Frau gibt, wird sich hoffentlich schon bald zeigen. Sie sind zwei von bislang über 350 Flüchtlingen, die allein von GWAB (Gesellschaft für Wirtschaftsförderung, Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen) im Lahn-Dill-Kreis "erstgecheckt" wurden.
Das Projekt "Chance Arbeitsmarkt" von GWAB im Lahn-Dill-Kreis und GAB (Gesellschaft für Ausbildung und Beschäftigung) im Landkreis Limburg-Weilburg ist in Kooperation mit den Landkreisen, der Arbeitsagentur und dem Jobcenter entstanden. Es wird gefördert vom Land Hessen und dem Europäischen Sozialfonds. Von ihm sollen auch Fatima und Mohammed profitieren: "Eine Chance für die, die zu uns kommen, aber auch eine Chance für unser Sozialsystem und für die Integration von Flüchtlingen in unseren Landkreisen", erläutert Geschäftsführerin Kerstin Gerbig.
Flüchtlinge schnellstmöglich in den Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt integrieren
"Chance Arbeitsmarkt" ist laut Gerbig ein bislang einmaliges Projekt, das am 1. Oktober 2015 gestartet ist. Ziel des interkommunalen Vorhabens sei es, "Flüchtlinge mit einer positiven Bleibeperspektive in Deutschland schnellstmöglich in den regionalen Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt zu integrieren." Um dies zu realisieren, sind neben Alter, Geschlecht und Herkunft beim Erstcheck aber zunächst viele weitere Fragen zu klären: Fragen zur Arbeitserlaubnis, zu Familie, Bildung, bisheriger Erwerbstätigkeit, Sprachkenntnissen und der Anerkennung von vorhandenen Qualifikationen zum Beispiel.
"Die Landkreise steuern, wer zu uns ins Projekt kommt und terminieren die nötigen Einzelgespräche", schildert Gerbigs Kollege Karsten Beer, der im Projekt als Koordinator tätig ist. Bei Integrationscoach Kadriye Aydin und ihren Kollegen finden die Erstchecks anschließend statt. Sie führen Interviews und gehen die Unterlagen durch, die jedem Flüchtling bereits zur Vorbereitung geschickt wurden. "Das ist eine hochspannende Angelegenheit, auf einmal sind es nicht mehr "die Flüchtlinge", es werden Einzelpersonen; eben Menschen wie du und ich mit ihrer ganz eigenen Geschichte", schildert Aydin. Bis zu fünf Flüchtlinge kommen pro Tag zu ihr an den Standort in Dillenburg, in Wetzlar ist ihr Kollege Orhan Kont zuständig.
Auch mit Mohammed und Fatima hat Kadriye Aydin ein erstes Gespräch geführt und sie darüber hinaus begleitet. Der Sprachkurs und die Unterbringung von Ali in einer Kita wurden anschließend über GWAB geregelt und ermöglicht. Aydin hat erfahren, dass Mohammed in Syrien in der KFZ-Branche tätig war. Und mit dieser Erkenntnis geht das Projekt seinen weiteren Weg: "Das sind die Voraussetzungen, doch jetzt kommt die Qualifizierung als Eintrittskarte in die Arbeitswelt", sagt Kerstin Gerbig.
Bei Mohammed könnte es die eigene KFZ-Werkstatt der GWAB sein, aber auch alle anderen Betriebe von GWAB oder GAB sowie weitere Kooperationsbetriebe über die Kreise verteilt, haben Anteil am Einstieg von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Deshalb freut sich GWAB, wenn sich künftig weitere Betriebe melden, die sich an der Qualifizierung von Flüchtlingen beteiligen möchten. "In diesen Betrieben findet zunächst ein bis zu drei Monate dauerndes Praktikum statt", schildert Gerbig, "hier sollen unter anderem berufsbezogene Deutschkenntnisse erworben werden, denn Deutsch lernen in Verbindung mit Arbeit stellt für uns den besten Erfolgsweg dar."
Wichtig ist zudem: Flüchtlinge sollen im Praktikum zeigen, welche Arbeiten sie beherrschen und wie selbstständig sie sich betätigen können: "Ziel ist es, Qualifizierungsbausteine und eine qualifizierende Beurteilung zu erhalten. Am besten wäre natürlich die anschließende Übernahme im Betrieb", sagt Gerbig. Doch wenn es damit nicht klappt, sind sich die Kollegen von GWAB sicher: der Einstieg in die Arbeitswelt sollte sich nun auch bei anderen Firmen deutlich einfacher gestalten.
Kontakt GWAB
Standort Dillenburg: Integrationscoach für den Standort Dillenburg ist Kadriye Aydin. Sie ist telefonisch unter (02 771) 20 943 zu erreichen. GWAB in Dillenburg befindet sich in der Hindenburgstraße 11a.
Standort Wetzlar: Integrationscoach am Standort Wetzlar ist Orhan Kont, Telefon (06 441) 9 247 535. GWAB in Wetzlar befindet sich in der Westendstraße 15.
- Koordinator des Projektes „Chance Arbeitsmarkt“ ist Karsten Beer. An ihn können sich gerne alle Unternehmen wenden, die Interesse an der Beschäftigung eines Flüchtlings haben.