BRESLAU An die Tage bei der Handball-Weltmeisterschaft in Katar denkt Andreas Wolff nicht gerne zurück. Während seine Nationalmannschaftskollegen damals den Wüstentrip größtenteils genossen haben, litt der Profi der HSG Wetzlar bitterlich.
Von Arne Wohlfarth
Sportredakteur Wetzlar
Der große Rückhalt der deutschen Nationalmannschaft: Torwart Andreas Wolff von der HSG Wetzlar.
(Foto: Kulczynski/dpa)
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BRESLAU An die Tage bei der Handball-Weltmeisterschaft in Katar denkt Andreas Wolff nicht gerne zurück. Während seine Nationalmannschaftskollegen damals den Wüstentrip größtenteils genossen haben, litt der Profi der HSG Wetzlar bitterlich.
Als Torwart Nummer drei nur WM-Tourist zu sein, schmeckte dem Euskirchener gar nicht. Elfeinhalb Monate später ist alles anders. Als sich am Dienstagmittag die deutschen Handballer zum Pressegespräch mit den Journalisten in einem Breslauer Hotel treffen, stürzen sich die meisten Medienvertreter auf den 1,98 Meter großen Schlussmann. Schon die Leistung im ersten Europameisterschaftsspiel gegen Spanien (29:32) sorgte für Beachtung. Seit seinem Weltklasseauftritt am Montagabend beim 27:26-Zittersieg gegen Schweden ist der zukünftige Rückhalt des THW Kiel in aller Munde. Mit einer Seelenruhe beantwortet Wolff sämtliche Fragen. Er genießt die Aufmerksamkeit. Wohl auch deswegen, weil er es im vergangenen Jahr komplett anders erlebt hat.
Dass der 24-Jährige in Katar überhaupt keine Rolle gespielt hatte, nagte an ihm. Physisch, weil er als Edelreservist hinter Carsten Lichtlein und Silvio Heinevetter kaum ein vernünftiges Training hatte und sich permanent in den Kraftraum zurückzog, um irgendwie fit zu bleiben. Aber vor allem machte es ihm mental zu schaffen, weil Wolff sich schon damals bei seinem ersten großen Turnier befähigt sah, auf dem Feld zu stehen und nicht in jeder Partie auf der Tribüne zu hocken. "Ich bin doch nicht nach Katar mitgefahren, um Wasserkisten zu schleppen", hat er damals in seinem Frust von sich gegeben. Ein Satz, mit dem er sich nicht nur Freunde gemacht hatte. Doch es sagt einiges über das Selbstbewusstsein von Andreas Wolff aus, dass er sich so äußert. Er steht nach wie vor dazu: "Das war meine ehrliche Meinung", betonte er noch einmal am Dienstagmittag in Breslau.
"Wenn jemand mit meiner offenen Art nicht so klarkommt, kann ich das nicht ändern"
In den bisherigen EM-Tagen gibt sich der Wetzlarer Profi wesentlich zurückhaltender. Noch immer bezeichnet er sich als Nummer zwei. Forderungen, nach seinen zwei starken Auftritten im letzten Vorrundenspiel an diesem Mittwoch gegen Slowenien in der Startformation zu stehen, kommen ihm nicht über die Lippen. Dass ihm diese Diplomatie von außen nahegelegt wurde, verneint er. "Wir Sportler leben von Authentizität. Wenn jemand mit meiner offenen Art nicht so klarkommt, kann ich das nicht ändern", erklärt der Hüne, der aber auch zugibt: "Ich weiß, dass ich manchmal zu viel plappere."
Seine Karriere verläuft bislang wie gemalt. Schritt für Schritt geht es nach oben. Als Zehnjähriger besucht er bei der SG Ollheim/Strassfeld erstmals ein Handballtraining. Und stellt sich ins Tor. "Weil ich damals noch zu schüchtern war", wie er mit einem Schmunzeln berichtet. Früh wird sein Talent sichtbar. Als Jugendnationalspieler kommt er in Kontakt mit dem TV Kirchzell, der damals ein Handballleistungszentrum aufbaut. Wolff verlässt als 16-Jähriger die Heimat in der nördlichen Eifel und wechselt in den Norden von Bayern, macht dort sein Fachabitur und sammelt beim TV Großwallstadt erste Bundesliga-Erfahrung.
Als Rohdiamant heuert er im Juli 2013 bei der HSG Wetzlar an. "Wir haben schon in den ersten Trainingseinheiten gesehen, welches Potenzial Andi besitzt", erinnert sich Tobias Reichmann, sein damaliger Teamkollege. Beinahe jeden Tag schuftet Wolff gemeinsam mit Torwarttrainer Jasmin Camdzic, der ihn auch in diesen Europameisterschaftstagen regelmäßig kontaktiert. "Jasmin hat einen großen Anteil an meiner Entwicklung", meint Wolff. "Das größte Geschenk, das mir die HSG aber gemacht hat, war die Verpflichtung von José Hombrados." Mit dem spanischen Routinier, der im Oktober/November 2013 kurz bei den Grün-Weißen aushilft und dann zur Saison 2014/2015 fest verpflichtet wird, baut Wolff schnell eine besondere Verbindung auf. Der mit sämtlichen Wassern gewaschene Weltmeister von 2005 gibt all seine Erfahrungswerte an das Juwel weiter. "Von ihm habe ich vor allem gelernt, im Spiel die Ruhe zu bewahren." Doch gerade mental, so meint Reichmann, könne sich der bisherige deutsche EM-Held noch weiterentwickeln. "Andi muss akzeptieren, dass man im Handball kein Spiel zu Null gewinnt. Er darf seine Energie nicht darauf verschwenden, sich über jeden Gegentreffer zu ärgern", lautet der freundliche Ratschlag des Rechtsaußens. "Wenn er das beherzigt, stehen ihm alle Türen nach oben offen."
Doch auch schon so ist Wolff schon weit gekommen. Ab Sommer gehört er dem THW Kiel - dem deutschen Vorzeigeclub schlechthin. "Ich will mich auch international mit den Besten messen", sagt er. Deswegen sei der Weggang aus Wetzlar "der absolut richtige Schritt". Dass beim deutschen Rekordmeister mit Niklas Landin bereits ein überragender Torwart unter Vertrag steht, schreckt ihn nicht ab. "Ich gehe zum THW, um die Nummer eins zu werden", sagt der Matchwinner des Spiels gegen Schweden am Dienstag in Breslau. Seine forsche Art hat er also doch nicht zu Hause gelassen.