Illegale Autorennen: „Junge Männer in zu dicken Autos“

Illegales Autorennen.

Der Tod fährt mit: Autobahnen und Innenstädte werden zu Rennstrecken, auch in Hessen und Rheinland-Pfalz - was über die Raser und ihre Fahrzeuge bekannt ist.

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Wiesbaden/Mainz. „Verdacht auf verbotenes Kraftfahrzeugrennen“ – beinahe täglich taucht diese Meldung in einem deutschen Polizeibericht auf. Die Raser, fast immer handelt es sich dabei um junge Männer, missbrauchen nicht nur Autobahnen, sondern auch Innenstädte als Rennstrecken. Dabei gefährden sie auch andere, völlig unbeteiligte, arglose Verkehrsteilnehmer. Und manchmal töten sie mit ihrer Raserei Menschen. Die Zahl der Anzeigen und Verurteilungen wegen illegaler Rennen steigt, auch in Hessen und Rheinland-Pfalz.

Bis vor wenigen Jahren war die Teilnahme an den Rennen noch eine Ordnungswidrigkeit, sofern niemand ernsthaft zu Schaden kam. Den Sündern drohten 400 Euro Bußgeld und wenige Monate Fahrverbot. Doch seit Ende 2017, seit Einführung des entsprechenden „Raserparagrafen“, können die Teilnehmer als Straftäter verurteilt werden – je nach Schwere der Folgen für die Opfer mit bis zu zehn Jahren Haft. Strafbar machen kann sich auch, wer allein rast, wer also ein Rennen gegen sich selbst fährt.

Toter bei Raserunfall in Wiesbaden

So wie jüngst an einem Samstagabend in Wiesbaden, wo ein 24-Jähriger in einem Mercedes CLS mit – laut Ermittlern – geschätzt knapp 130 Stundenkilometern durch die Stadt und über Rot gerast ist. An einer Ampelkreuzung in der Nähe des Hauptbahnhofs (erlaubt ist dort Tempo 50) hat er den Golf eines 30-Jährigen gerammt, der Mann ist gestorben. Mehrere Menschen wurden schwer verletzt. Der 24-Jährige sitzt nun wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.

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Es liegt in der tragischen Natur der Sache, dass die Polizei bei solchen Rennen oft zu spät kommt. Werden die Raser rechtzeitig gestoppt, wird klarer, wer da mit welchen Absichten hinterm Steuer sitzt. So wie an einem Samstag Anfang Oktober, auf der A3 zwischen Bad Camberg und dem Kreuz Wiesbaden. Anderen Autofahrern waren vier Fahrzeuge mit britischen Kennzeichen aufgefallen, die nebeneinander fuhren, die auch mal abbremsten, drängelten und rechts überholten – wie bei einem echten Rennen. Die Polizei hat es geschafft, drei der Autos anzuhalten, das vierte ist entkommen.

Polizei stoppt „britisches“ Rennen auf der A3

Die Fahrer waren zwei Briten und ein auf der Insel lebender Kanadier, die offenbar eigens für ein Rennen ohne (Tempo)-Limit nach Deutschland gereist waren. Von „jungen Burschen in zu dicken Autos“ spricht Christian Wiepen von der Polizei Westhessen, das „Typisch!“ darf man sich angesichts seines Tonfalls hinzudenken. Die drei Männer, zwischen 21 und 24 Jahre alt, fuhren zwei hochmotorisierte BMW und einen Mercedes AMG GTS. Das ist quasi der für Normalstraßen zugelassene Motorsport-Mercedes – um die 500 PS, Höchstgeschwindigkeit um die 300 km/h. Außerdem hatten sie an Bord: Dashcams (kleine Videokameras) und Walkie-Talkies, Funkgeräte, offenbar um sich abzusprechen. Bei zwei Autos waren die Kennzeichen abgeschraubt. „Die wussten, was sie taten“, sagt Wiepen. Die Rückreise auf die Insel mussten sie dann aber ohne ihre Autos antreten: Diese wurden als mögliche „Tatmittel“ beschlagnahmt. Die Polizei schätzt den Gesamtwert der Autos auf rund 250.000 Euro. Es war ein teurer Autobahn-Ausflug auf den Kontinent.

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Von einer Zunahme der Rennen auch abseits der Autobahnen berichtet Wiepens Kollege Jörg Reinemer vom Polizeipräsidium Mittelhessen in Gießen. Dieses ist zuständig für die größte Autobahnpolizeistation in Hessen, dennoch sind es dort vor allem die Ein- und Ausfallstraßen in den Städten und die Bundesstraßen, auf denen die Zahlen illegaler Rennen erheblich gestiegen seien, sagt Reinemer. Wie andere Polizeipräsidien in Hessen und Rheinland-Pfalz hat auch die Polizei in Mittelhessen eine „AG Poser/Tuner“ gegründet, um gezielter dagegen vorzugehen. In anderen Städten ist eine „Kontrolleinheit Auto-Poser, Raser, Tuner“ (KART) an den Start gegangen – etwa in Frankfurt und Wiesbaden. Beide Städte gelten als Schwerpunkt der Szene in Hessen.

Die Zahl der Anzeigen steigt - auch weil genauer hingeschaut wird

Daneben, erklärt das hessische Landeskriminalamt (LKA), kämpft die Polizei gegen die Rennen vor allem „durch Maßnahmen der Geschwindigkeitsüberwachung“; dabei setze man auch mit spezieller Videotechnik ausgestattete Autos und Motorräder ein. Laut LKA spiegeln die „dynamisch ansteigenden Zahlen“ der Rennen einerseits eine tatsächliche Zunahme wider. Andererseits wirkten sich „auch der polizeiliche Fokus und die gewachsene Expertise der polizeilichen Einsatzkräfte sowie ein verändertes Mitteilungsverhalten in der Bevölkerung auf die Entwicklung der Fallzahlen aus“. Mit anderen Worten: Seitdem alle genauer hinschauen – Polizei und Bevölkerung – werden auch mehr Raser angezeigt.

Doch wie sehen die Zahlen nun eigentlich aus? Die Renn-Vergehen werden nicht in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst, was die Auswertung erschwert, denn den jeweiligen „Vorgangsbearbeitungssystemen“ sind Grenzen gesetzt. Dennoch sind eine Reihe zentraler Aussagen möglich. Quellen dafür sind Antworten des Innenministeriums Hessen auf Kleine Anfragen der AfD und der SPD (Januar 2021 und September 2020) sowie die Antwort des Innenministeriums Rheinland-Pfalz auf eine Große Anfrage der AfD (September 2022); zudem (auf Anfrage dieser Zeitung) Daten aus der Strafverfolgungsstatistik von den Statistischen Landesämtern sowie vom LKA Hessen.

Meist jüngere Männer, kaum Frauen, viele BMW und Mercedes

Demnach gab es 2021 in Hessen 257 Strafanzeigen wegen des Verdachts verbotener Kraftfahrzeugrennen, 2018 waren es nur elf (2019: 82; 2020: 155). In Rheinland-Pfalz wurden im vergangenen Jahr 338 verbotene Rennen registriert, 2018 waren es nur neun (2019: 102; 2020: 274).

Fast immer sind die Raser jüngere Männer. Zwischen 2018 und Ende 2021 wurden in Rheinland-Pfalz insgesamt 118 Personen wegen eines Rennens verurteilt (meist zu einer Geldstrafe), darunter waren nur drei Frauen. In Hessen war unter 59 Verurteilten nur eine einzige Frau.

Fast 90 Prozent der Verurteilten in Rheinland-Pfalz waren zwischen 18 und 39 Jahre alt, niemand war über 60. In Hessen waren von 59 Verurteilten nur sieben älter als 29.

Unter den bislang beschuldigten Fahrern in Rheinland-Pfalz sind 46 Prozent deutsche Staatsbürger; bei knapp 30 Prozent ist die Staatsbürgerschaft unbekannt. Die doppelte Staatsbürgerschaft haben fast acht Prozent, knapp vier Prozent haben die türkische.

In Rheinland-Pfalz waren zwischen 2018 und dem ersten Halbjahr 2022 bei einer Auswertung unter insgesamt 241 an Rennen beteiligten Autos vor allem deutsche Marken „vorn“: 63 BMW, 45 Mercedes, 34 VW und 33 Audi. Die nächsten in der Marken-„Rangliste“ sind mit deutlichem Abstand Ford und Opel (je zehn Mal). Ein Porsche taucht in der Liste drei Mal auf, ein Ferrari nur ein Mal.

Zur Frage, wie sich die meist jungen Fahrer die oft teuren Autos eigentlich leisten können, ist anhand der vorliegenden Daten übrigens keine Aussage möglich. Häufig wird die Vermutung geäußert, dass viele der Fahrzeuge geleast oder geliehen seien. Aber solche Angaben werden im System „nicht in auswertbaren Feldern erfasst“, wie es etwa in Rheinland-Pfalz heißt.

Ob geleast, geliehen oder gekauft – am Ende ist das wohl auch nicht mehr die entscheidende Frage, angesichts der Gefährdung.