BRESLAU Ein rot glänzender Handball inmitten der Fußgängerzone von Breslau erinnert dann doch daran, dass hier gerade die Vorrunde der Europameisterschaft stattfindet. Ansonsten ist bislang davon wenig zu spüren.
Von Arne Wohlfarth
Sportredakteur Wetzlar
Ein roter Ball als kleines Zeichen, dass in Breslau Spiele der EM stattfinden.
(Foto: Wohlfarth)
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BRESLAU Ein rot glänzender Handball inmitten der Fußgängerzone von Breslau erinnert dann doch daran, dass hier gerade die Vorrunde der Europameisterschaft stattfindet. Ansonsten ist bislang davon wenig zu spüren.
Selbst der Taxifahrer, der jeden Abend auf den Straßen der 640 000 Einwohner zählenden Metropole unterwegs ist und von Berufswegen ein gutes Gespür für den Puls der Stadt hat, braucht einen Moment, ehe ihm das sportliche Großereignis in den Sinn kommt. Im wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Zentrums Niederschlesiens, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs offiziell Wroclaw heißt, gibt es derzeit wichtigeres als Handball. Breslau ist in diesem Jahr die Kulturhauptstadt Europas - gemeinsam mit San Sebastian im spanischen Baskenland. In diesen Tagen finden die ersten größeren Veranstaltungen statt. Und damit ist nicht die Europameisterschaft gemeint. Am Freitag begann das Eröffnungswochenende. Bis zu diesem Sonntag gibt es klassische Konzerte, mehrere Vernissagen, eine Feuershow, Akrobatik, Theater, Literatur, Film, Führungen und natürlich Vorträge. Das gesamte Potpourri innerhalb von drei Tagen. Rund 100 Veranstaltungen sollen es sein.
Die Stadt wirkt lebendig und offen
Über das gesamte Jahr hinweg soll die wechselvolle Geschichte der Stadt erzählt werden. Und Breslau will sich dabei als weltoffen präsentieren. "Die Kultur ist ein Medium, das uns verbinden kann, und das werden wir zeigen", hat Krzysztof Maj, der Programmdirektor von "Wroclaw 2016", kürzlich gesagt. Dass aus diesen Worten ein gewisser Trotz herauszuhören ist, hängt mit dem aktuellen politischen Geschehen in Polen zusammen. Die neue konservative Regierung liegt im heftigen Clinch mit Europa. Auch in Breslau kam es im November zu unschönen Szenen, als auf dem Rathausplatz bei einer Demonstration gegen Flüchtlinge die Puppe eines Juden verbrannt wurde. Es gibt einfachere Aufgaben als inmitten von Nationalismus und Euroskepsis ein beinahe ganzjähriges Kulturfestival durchzuführen.
Dabei ist die Stadt durchaus jung und modern. Sie wirkt lebendig und offen, was auch an den vielen Studenten der traditionsreichen Universität liegt. Wer abends über den zentralen Platz Rynek flaniert und die vielen Bars und Restaurants sieht, der spürt das Leben. Illuminiert werden die alten Bauten rund um das mittelalterliche Rathaus derzeit mit blauem Licht. Es ist eine beeindruckende Kulisse im "Venedig des Ostens", wo es zwölf Inseln und 117 Brücken gibt.
An diesem Sonntag findet ein erster Höhepunkt des Kulturjahres statt. Unter dem Motto "Erwachen" ist ein Performance-Zug geplant. Die "Geister" der Stadt ziehen aus allen vier Himmelsrichtungen auf den historischen Marktplatz. Sie symbolisieren das Vielvölkererbe von Breslau, den Wiederaufbau, Innovation und das Hochwasser, das in der Odermetropole mehrmals schwere Zerstörungen anrichtete. 1300 Künstler sind daran beteiligt. Ein Mammutprojekt. Kein Wunder, dass in dieser Stadt bislang kaum jemand vom Handball spricht.