Aus gefährlichen Faserabfällen das Produkt Woolit für die Ziegelherstellung machen, war die Geschäftsidee der Firma Woolrec. Doch eine wichtige Voraussetzung für die Produktanerkennung hat Woolit offenbar nie erfüllt: Keine Ziegelei wollte dafür zahlen.
Von Steffen Gross
Redakteur Wetzlar
13,7 Millionen Euro soll die Firma Woolrec allein im angeklagten Zeitraum 2007 bis 2012 mit dem aus Dämmwolleabfällen hergestellten Woolit umgesetzt haben – vermutlich allein durch die Annahme der Abfälle, denn einen Marktpreis erzielte Woolit nie.
(Archivfoto: Gross)
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Braunfels/Gießen - Aus gefährlichen Faserabfällen das Produkt Woolit für die Ziegelherstellung machen, war die Geschäftsidee der Firma Woolrec. Doch eine wichtige Voraussetzung für die Produktanerkennung hat Woolit offenbar nie erfüllt: Keine Ziegelei wollte dafür zahlen.
Abfall verkauft sich nicht, für die Entsorgung von Abfall fallen stattdessen Kosten an. Wohl deshalb und um ein besseres Image bei den Geschäften mit den Ziegelherstellern zu haben, wollte Woolrec 2003 den unvorteilhaften Begriff Abfall loswerden, indem beim Regierungspräsidium (RP) der Antrag gestellt wurde, dass Woolit als Produkt anerkannt wird.
Die Genehmigungsbehörde kam dem Wunsch der Firma im Juli 2003 nach. Mit mehreren Auflagen, zu denen unter anderem die Rezeptur mit festgelegten Anteilen an Faserabfällen, Ton und Melasse, eine ständige Qualitätssicherung und ein positiver Marktwert gehörten: Woolit musste nicht nur Abnehmer finden, sondern diese mussten auch bereit sein, einen Preis zu bezahlen. Dass dies der Fall ist, hatte Woolrec auch 2003 im Abschlussbericht des Umweltbundesamtes behauptet. Das Umweltbundesamt hatte die Firma in der Startphase mit einer Förderung von 190 000 Euro unterstützt.
Doch die spätere Realität sah offenbar anders aus. Denn wohl keiner der Abnehmer, ausnahmslos Ziegelhersteller, war bereit, für Woolit zu zahlen. Das Fasergemisch wurde stattdessen kostenlos abgegeben und obendrein frei Haus geliefert – wie mehrere Zeugenbefragungen im Woolrec-Prozess am Dienstag vor dem Gießener Schwurgericht aufdeckten.
Edwin F. engagierte einen Geologen für die schwierige Vermarktung an Ziegeleien
Dort müssen sich Ex-Firmenchef Edwin F. und der ehemalige Gutachter der Firma, Stefan G. von der Uni Gießen, wegen des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen in einem besonders schweren Fall verantworten. Dafür drohen ihnen Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren.
Spannend war in diesem Zusammenhang die Zeugenaussage eines Geologen, selbstständig mit eigenem Labor und Rohstoffhandel. Von 2007 bis Ende 2009 hatte er für Woolit bei Ziegelherstellern kräftig die Werbetrommel gerührt. „Edwin F. beauftragte mich, dass ich ihm bei der Vermarktung seines Produkts helfe“, erinnerte sich der heute 58-Jährige. Für umweltanalytische Belange sei Stefan G. zuständig gewesen. Er selbst habe Woolit mineralogisch analysiert und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Tonmineralien und künstliche Mineralfasern (KMF) in einem Verhältnis von 10 zu 90 darin enthalten gewesen seien. Dies sei nicht mit dem Tonanteil gleichzusetzen, sagte der Zeuge. Der Tonanteil war in den regelmäßigen Analysen von Stefan G. jeweils mit Werten zwischen mehr als 20 bis 40 Prozent angegeben worden. Ton spielte neben Melasse eine Rolle für die Bindung der gefährlichen KMF, diese durften nicht frei umherfliegen. Wie hoch der Tonanteil in Woolit über die Jahre ausfiel, versucht das Gericht seit Wochen herauszufinden.
Der Geologe berichtete, ihm sei es gelungen, zwei Ziegeleien für den Einsatz von Woolit beim Ziegelbrennen zu gewinnen. Die Ziegelqualität habe sich dadurch nicht verbessert, sei aber auch nicht schlechter geworden. Dass sich die Woolit-Zusammensetzung zwischen 2007 und Ende 2009 nennenswert verändert habe und Woolrec von der Rezeptur abgewichen sei, schloss der Zeuge aus. „Das wäre im Ziegelproduktionsprozess sofort aufgefallen“, sagte er.
Die Geschäftsbeziehung zu Edwin F. habe Ende 2009 ein jähes Ende gefunden. Der Woolrec-Chef habe sich nicht an die Vergütungsvereinbarung gehalten. Abgemacht gewesen sei eine erfolgsabhängige Provision von drei Euro pro gelieferter Tonne Woolit an die Ziegeleien.Durch eine Kontrolle habe er dann herausgefunden, dass Edwin F. ihm allein innerhalb eines Vierteljahres 100 von 200 Lieferscheinen vorenthalten habe. „Die anschließenden Gerichtsverfahren habe ich alle gewonnen“, berichtete der Geologe. Er bestätigte auf Nachfrage von Stefan G.s Verteidiger Georg Strittmatter, dass er damals Kontakt zu den Woolrec-Gegnern in der IG Tiefenbach hatte.
Auch zwei Vertreter von Ziegeleien in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden vom Gericht als Zeugen befragt. Beide erklärten, dass nie ein Cent für die Woolit-Lieferungen geflossen sei. Anders als in Hessen hatten die rheinland-pfälzischen Behörden das Fasergemisch nicht als Produkt anerkannt, sondern als Abfall eingestuft und Vorschriften zu dessen Lagerung gemacht. Wenigstens 200, maximal 2000 Tonnen pro Jahr habe die Ziegelei in Rheinland-Pfalz zwischen 2005 und 2012 abgenommen, erklärte deren Leiter. Bei der Konkurrenz in NRW waren es in einem Jahr 3800 Tonnen. Angeliefert wurde Woolit dort zwischen 2008 und 2012.
Mit der Berichterstattung des hr und dem Aufkommen des „Skandals“ Anfang 2012 hätten die Betriebe die Woolit-Beimischung sofort eingestellt, berichteten die Zeugen. Man wollte nicht „da hineingezogen“ werden, so der Betriebsleiter aus NRW. Plötzlich hätten sich viele verunsicherte Kunden gemeldet. Technischen Gründe habe es keine für den Woolit-Verzicht gegeben. Die Ziegeleigenschaften hätten sich durch Woolit verbessert. Beide Unternehmen hatten in ihrer Produktion jeweils zwei Prozent Woolit beigemischt.