Tankstellenmord: „Ich bereue die Tat, ich schäme mich“

Vor dem Landgericht Bad Kreuznach sollte ein Gutachter die Frage beantworten, ob der Idar-Obersteiner Tankstellenschütze Mario N. während der Tat voll schuldfähig war. Foto: Sascha Kopp

Mario N. hat gestanden: Im September hat er in Idar-Oberstein den Tankstellen-Kassierer Alexander W. getötet – nach einem Streit um die Maskenpflicht. So lief Prozesstag zwei.

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BAD KREUZNACH. Es war der zweite von 15 angesetzten Verhandlungstagen: Am heutigen Freitag, ab 9 Uhr, ist der Prozess um den tödlichen Schuss auf einen Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein fortgesetzt worden. Laut Anklage soll Mario N., ein 50-jähriger Deutscher, der studentischen Aushilfskraft Alexander W. (20) Mitte September 2021 ins Gesicht geschossen und damit getötet haben – weil dieser ihn an der Kasse mehrfach auf das Tragen einer Corona-Maske hingewiesen hatte. Bundesweit hatte die Tat großes Entsetzen ausgelöst.

Was ist nun an diesem Freitag, an Prozesstag zwei, geschehen? Zur Mittagszeit hat der Angeklagte bereits ausgesagt und ein Geständnis abgelegt. Die Vernehmung der Mutter des Opfers, die heute eigentlich geplant war, wurde verschoben. Alle weiteren Entwicklungen im Gerichtssaal können Sie hier in unserem Ticker noch einmal nachlesen.

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15.28 Uhr: „Ich war irgendwann sauwütend“

Von jenem Abend im September 2021 scheint im Gedächtnis des Angeklagten vieles verschwommen. Was nach dem Schuss passiert ist? Das sei ihm nur noch bruchstückhaft in Erinnerung, sagt Mario N. auf Nachfrage. Als er zuhause ankam, habe seine Lebensgefährtin auf der Couch gelegen. Ihr habe er so etwas gesagt wie: "Ich habe Riesen-Scheiße gebaut". Worte, die ein Betrunkener eben mal vor sich hinmurmele – und weswegen sie ihn nicht beachtet habe.

Der Angeklagte leidet nach eigenen Worten an Asthma und einer Verengung der Luftröhre. Eine Maske habe er deshalb nicht aufsetzen wollen – wenn er eine trug, dann ab und zu beim Einkaufen, bis unterhalb der Nase. Im Lauf der Monate habe er sich immer mehr isoliert. Und Zuflucht im Internet gesucht. "Ich war irgendwann sauwütend", sagt er über die Corona-Maßnahmen und die Politiker. Sein Gefühl: dass der Staat seine Bürger scharf überwachen wolle, "wie früher in der DDR", aus der er mit seiner Familie Mitte der 70er in die Bundesrepublik geflüchtet war. Nach seiner Sicht waren die Corona-Beschränkungen auch dafür verantwortlich, dass er nicht zur Beerdigung seines Vaters habe gehen dürfen.

14.03 Uhr: Im Internet vom Weg abgekommen

Ein Netz aus Fake News und Hetze auf Online-Plattformen – darin habe sich Mario N. in den letzten beiden Jahren verstrickt, meint er während seiner Vernehmung. Viel habe er im Internet über die Pandemie recherchiert, sich Videos auf YouTube angeschaut. Mit dem Ergebnis: „Die Corona-Maßnahmen des Staates sind nicht gerechtfertigt und sinnvoll.“

Doch er gesteht Fehler ein: Gerade in dieser Zeit, gibt er zu, sei ihm die Fähigkeit abhandengekommen, bei Nachrichten die Gegenseite zu prüfen. Auch seine Sprache in Chats sei immer rauer geworden, immer wütender. „Man ist in einer Blase gefangen. Man kommt vom Weg ab“, schildert Mario N. Rückblickend könne er sich nicht erklären, wie er sich in diesem Netz verfangen konnte.

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Lange vor Corona aber, so hatten Recherchen bereits im September gezeigt, gab sich der Täter vor allem auf Twitter gewaltbereit. Wie zum Beispiel in einem seiner Posts vom September 2019: „Ich freue mich auf den nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören, aber wir kommen aus dieser Spirale nicht mehr raus.“ 2020 und 2021 scheint sich der 50-Jährige von Twitter zurückgezogen zu haben. In seinem letzten Post, am 10. Oktober 2019, schrieb er noch einmal: „Meine Muskeln sind gespannt, mein Geist geschärft. Gnade denen, welche diese Situation heraufbeschworen haben. Oder nein, Gnade wäre Unrecht.“

Verhandlungsnotiz: Die Vernehmung der Mutter verschiebt sich, es läuft weiterhin die Befragung des Angeklagten.

11.46 Uhr: Mutter des Getöteten sagt um 13 Uhr aus

Pause. Nach dem Geständnis des Angeklagten wird die Verhandlung bis 13 Uhr ausgesetzt. Dann soll die Mutter des Opfers, gleichzeitig Nebenklägerin, in den Zeugenstand gerufen werden. Während es ganzen ersten Verhandlungstages hatte sie Mario N. gegenüber gesessen, ihn mit tränenverquollenen Augen intensiv angestarrt. Ihre Blicke sind nicht erwidert worden.

11.15 Uhr: Mario N. gesteht seine Tat

Um kurz nach 11 Uhr am Freitagvormittag gesteht Mario N., der 50-jährige Idar-Obersteiner, seine Bluttat. Ja, im vergangenen September habe er den Tankstellen-Mitarbeiter Alexander W. mit einem Kopfschuss getötet. Der Angeklagte teilt mit:

Mario N. legt ein umfassendes Geständnis ab, sagt selbst aber nicht aus. In einer schriftlichen Stellungnahme, verlesen von seinem Anwalt, räumt er sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein. Und, so teilt er mit: Am 8. Januar bereits habe er in der Untersuchungshaft einen Selbstmordversuch unternommen. Seitdem steht er unter besonderer Beobachtung. Erklären könne er sich sein Handeln bis heute nicht, aber: Er sei sich der Schwere der Tat bewusst.

Was ist am Abend des tödlichen Zwischenfalls in Idar-Oberstein aus seiner Sicht passiert? Mario N. habe zu viel getrunken, "die Sicherung ist durchgebrannt", berichtet er. Sieben bis acht Halbliter-Dosen Bier und etwas Süßwein habe er bereits intus gehabt, als er sich an einer Tankstelle mit weiterem Bier habe eindecken wollen. Dort habe er sich vom Verhalten des Tankstellen-Mitarbeiters provoziert gefühlt, weil der Mann ihn wiederholt auf die Maskenpflicht hingewiesen habe und ihm nichts verkaufen wollte.

Ohne Stoff sei er schließlich gegangen, habe sich an einer anderen Tankstelle mit drei bis vier Halbliter-Dosen versorgt, diese zu Hause getrunken. Dabei habe er sich immer mehr über das Verhalten des Tankstellen-Mitarbeiters aufgeregt. Dann habe er einen geladenen Revolver aus seinem Nachttisch geholt und sei erneut zu der Tankstelle gefahren – mit dem Entschluss, Alexander W. in einen Streit zu verwickeln und zu erschießen. Was er dann auch tat. Später, so der Angeklagte, habe er ein weiteres Bier getrunken.

10.25 Uhr: Ist der Tatbestand des Mordes erfüllt?

Um diese Frage dreht sich der gesamte Prozess. In Vernehmungen bereits hatte Mario N. gestanden, den Tankstellen-Kassierer Alexander W. an jenem 18. September 2021 erschossen zu haben. Wie die Strafverteidigung am Montag mitteilte, bereue ihr Mandant die Tat und werde sich heute dazu äußern. Gegen 11.15 Uhr wird im Bad Kreuznacher Landgericht, Saal 7, das Geständnis des Mario N. erwartet. Der Angeklagte will dann schildern, wie es zu der – auch für ihn – unbegreiflichen Tat kommen konnte. Für die Verteidigung dürfte es einzig um eines gehen: nachzuweisen, dass der Tatbestand des Mordes nicht erfüllt ist, der Angeklagte also nicht heimtückisch oder aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe.

Verteidigt wird Mario N. von Alexander Klein. Der Ludwigshafener hatte in den vergangenen Jahren bereits die Opfer des BASF-Explosionsunglücks als auch einen Frankenthaler Babymörder vertreten. Er sieht seinen Mandanten „nicht als rechtsradikalen Querdenker“, sondern als einen Menschen, der sich in der „bürgerlichen Mitte“ verorten würde. Die Corona-Regeln seien für N., einen Asthmatiker, besonders belastend gewesen.

9.35 Uhr: Vater schießt 2020 auf die Mutter

Wer war Mario N.? Zu Beginn des zweiten Prozesstags werden brisante Informationen aus der Biografie des Angeklagten verlesen. Es scheint, als habe ein Schicksalsschlag den nächsten gejagt: Sein Vater nimmt sich 2020 das Leben – nachdem er zuvor auf die Mutter schoss, diese am Kopf verletzte. Einige Zeit später wird bei ihr schließlich Krebs diagnostiziert. Sie stirbt, während der Angeklagte in Haft sitzt.

Als Corona ausbricht, arbeitet Mario N., ein IT-Fachmann, bereits seit einigen Jahren als selbstständiger App-Programmierer. In der Pandemie bleibt auch sein Geschäft nicht von der Krise verschont. 2020 bereits herrscht Flaute im Betrieb, 2021 aber nimmt er sogar noch einen Auftrag für das Bundesgesundheitsministerium an. Durch den Tod des Vaters sowie die mäßige Auftragslage beginnt er jedoch, regelmäßig zu trinken. Vor allem am Wochenende.

8.43 Uhr: Angeklagter will sich heute zur Tat äußern

Am Montag hatte der Prozess gegen Mario N. am Landgericht Bad Kreuznach begonnen, die Verhandlung jedoch wurde kurz nach Verlesung der Anklageschrift auf diesen Freitag vertagt – noch bevor sich der Angeklagte zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern konnte. Grund dafür: neue Ermittlungen zu Chats in der "Querdenker"-Szene, mit welcher er sympathisiert haben soll. Diese, so die Staatsanwaltschaft, könnten in Zusammenhang mit dem Mord stehen. In der Vorwoche erst waren neue Akten der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz aufgetaucht – die die Verteidigung eigenen Angaben zufolge noch nicht geprüft habe.

In wenigen Minuten wird die Verhandlung fortgesetzt. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift am Montag erklärte, soll die Tat ein gezielter Angriff auf die Corona-Politik gewesen sein: „Der Angeklagte wusste laut eigener Aussage, dass er nicht an die Politiker herankommt, die die Corona-Regeln aufgestellt haben. Deshalb nahm er sich die vor, die die Regeln umsetzen.“ Heute will Mario N. Stellung beziehen, kündigte sein Strafverteidiger an: „Er wird sich zu den Beweggründen der Tat äußern. Mein Mandant bereut die Tat.“

Lesen Sie zu diesem Thema auch: So lief der erste Prozesstag zum Tankstellenmord

Wie ist der erste Verhandlungstag am Bad Kreuznacher Landgericht gelaufen? Unsere Reporter waren am Montag vor Ort. Sehen Sie hier deren Einschätzung.