Von der Idee, gefährliche Dämmstoffabfälle in ein unbedenkliches Produkt für die Ziegelindustrie zu verwandeln, waren Fachwelt und Politik Anfang der 2000er begeistert. Ex-Woolrec-Chef Edwin F. soll damals die Idee beim Kuchenbacken gekommen sein.
Von Steffen Gross
Redakteur Wetzlar
Um die Entstehung der Firma Woolrec und die Rollen, die die beiden Angeklagten Edwin F. (vorn ) und Stefan G. (hinten) dabei gespielt haben, ging es an Prozesstag zwei vor dem Gießener Schwurgericht.
(Foto: Gross)
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Braunfels/Gießen - Von der Idee, gefährliche Dämmstoffabfälle in ein unbedenkliches Produkt für die Ziegelindustrie zu verwandeln, waren Fachwelt und Politik Anfang der 2000er begeistert. Ex-Woolrec-Chef Edwin F. soll damals die Idee beim Kuchenbacken gekommen sein.
Tag zwei im sogenannten Woolrec-Prozess gegen Edwin F. und den früheren Gutachter der Firma, Stefan G., vor dem Gießener Schwurgericht. Den beiden Angeklagten wird unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Ihnen drohen Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren.
Als erster Zeuge sagte ein Kriminalbeamter des Umweltkommissariats aus, der nach Auftrag der Staatsanwaltschaft von 2011 bis 2013 die Ermittlungen im Fall der früheren Faserfirma geführt hatte. Der 55-Jährige erinnerte sich gut an das „außergewöhnliche Verfahren“, welches derart umfangreich gewesen sei, dass stets ein Team von mindestens vier Beamten daran gearbeitet habe. Ausführlich rollte der Ermittlungsleiter noch einmal die Geschichte der Tiefenbacher Firma und die Anerkennung ihres umstrittenen Produkts Woolit durch die Behörden auf.
Politik war Woolit gegenüber sehr positiv eingestellt, es gab Preise und Fördergeld des Bundes
Woolit, das war eine Masse aus Dämmstoffabfällen und den Zusatzstoffen Ton, Melasse und Wasser, die nach einer vorgeschriebenen Rezeptur vermengt und dann als Produkt an Ziegeleien geliefert wurde, um sie bei der Ziegelherstellung einzusetzen. So wurde aus gefährlichen Abfällen schließlich ein Produkt, welches nicht mehr dem Abfallrecht unterlag. Bevor es das Woolrec-Verfahren gab, mussten die Dämmstoffabfälle, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, teuer auf Deponien entsorgt werden. Weil endlich eine Lösung für die 200 000 bis 300 000 Tonnen jährlich in Deutschland anfallenden asbestähnlichen künstlichen Mineralfasern gefunden schien und weil seit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz gilt, dass Wiederverwertung vor Entsorgung geht, sei man in der Politik Woolit gegenüber sehr positiv eingestellt gewesen, berichtete der Zeuge aus den Recherchen. Es habe Preise und Fördergelder des Bundes für Woolrec gegeben, das Umweltministerium sei 2003 bei der Genehmigung eingebunden gewesen.
Dämmstoffe seien schon vor 2003 auf dem Betriebsgelände in Tiefbach geschreddert und an die Ziegelindustrie geliefert worden – durch die Vorgängerfirma Mintec Recycling, schilderte der Ermittlungsbeamte. Dafür habe das Regierungspräsidium (RP) Gießen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt. Als Mintec Ende 2001 insolvent war, habe Edwin F. die Firma mit samt der Anlagen und der Genehmigung übernommen. Bis dahin generierte das Unternehmen seine Erlöse, indem es für die Anlieferung der Dämmstoffabfälle Geld kassierte. Für die Woolit-Abgabe an Ziegeleien musste die Recycling-Firma ihrerseits zahlen. Edwin F. habe versucht, das zu beenden und sei dafür dem Wunsch eines Ziegelherstellers nachgekommen, die Transportfähigkeit und Lagerung der ungebundenen Fasern zu verbessern. Herausgekommen sei Woolit, die Idee sei Edwin F. beim Kuchenbacken gekommen, habe dieser selbst berichtet, so der Kriminalbeamte.
Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens sei erstmals Stefan G. ins Spiel gekommen. Auf IHK-Empfehlung sei der Abfallexperte von der Uni Gießen von Fritsch mit der Untersuchung beauftragt worden, ob die Fasern in Woolit ausreichend eingekapselt und damit unschädlich gemacht werden.
Um den Begriff Abfall loszuwerden, sei dann der Antrag gestellt worden, dass Woolit als Produkt anerkannt wird. Die Anerkennung sei mit mehreren Auflagen durch das RP im Juli 2003 erteilt worden, darunter die festgelegte Rezeptur und eine ständige Qualitätssicherung. Letztere hätte durch Stefan G. mit monatlichen Gutachten sichergestellt werden sollen, so der Zeuge. Die Berichte seien eins zu eins in die RP-Genehmigungsakten gewandert.
2006 sei die Rezeptur auf Woolrec-Wunsch modifiziert worden. Nachdem Woolit zunächst in einer festeren Kugelform hergestellt worden sei, habe es sich anschließend „eher um „feuchten Sand“ gehandelt. Auch habe es Überlegungen gegeben, durch Beimischung von Emaille-Abfällen den Tonanteil im Woolit zu reduzieren – das sei aber nie genehmigt worden.
Im Jahr 2012 sei dann das RP als Aufsichtsbehörde gleich mehrfach gegen Woolrec vorgegangen, nachdem der Verdacht aufgekommen sei, dass die Faserfirma sich nicht an die vorgeschriebene Rezeptur hält. Auslöser seien mehrere Strafanzeigen von Anwohnern gewesen. Erst sei die Woolit-Abgabe untersagt, dann der Produktanerkennungsbescheid aberkannt, schließlich sei der Betrieb vorläufig stillgelegt und dem Inhaber wegen Vertuschens eines großen Lochs in der Außenwand der Anlieferungshalle die Zuverlässigkeit aberkannt worden. Am Ende sei die Anlage per Vertrag stillgelegt worden. Seitdem stehe der Vorwurf im Raum, dass bei Woolrec spätestens seit 2007 statt eines Produkts nur noch Abfall hergestellt wurde, so der Kriminalbeamte.
Als weiterer Zeuge sagte ein Werkstoffingenieur und Geophysiker aus, der zur Zeit der Woolrec-Genehmigung das für Abfälle zuständige RP-Dezernat leitete. Seine Erinnerungen daran waren sehr lückenhaft. Er berichtete von Gutachten unter anderem durch die Uni Gießen. Im Vorfeld der Genehmigung hätten auch Gespräche mit Vertretern des Umweltministeriums stattgefunden, eine eindeutige Weisung habe es von dort aber nicht gegeben, sagte der 64-Jährige.
Die Woolit-Rezeptur sei „in Stein gemeißelt“ gewesen. Die Einhaltung hätten die RP-Mitarbeiter aber nicht selber lückenlos überwachen können. Zum einen sei ihnen nicht erlaubt gewesen, Proben zu nehmen, zum anderen habe dafür das Personal gefehlt.