Tonnen an Hilfsgütern und hohe Spendenbeträge schicken Hilfsaktionen aus Mainz und Umgebung seit einem halben Jahr in die Kriegsgebiete. Eine Zwischenbilanz und ein Hilferuf.
MAINZ/ BODENHEIM. Behrouz Asadi hat schon viele Hilfsaktionen organisiert. „Aber so ein überwältigendes Spendenaufkommen wie mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges habe ich noch nie erlebt“, sagt der Leiter des Migrationsbüros der Malteser für Rheinland-Pfalz und Hessen. Asadi begleitete den ersten 40-Tonner an Hilfsgütern, der aus Rheinhessen schon wenige Tage nach Beginn des russischen Überfallkrieges an die polnisch-ukrainische Grenze fuhr.
„Wir wollten von Anfang an sichergehen, dass die Hilfe dorthin geht, wo die Menschen sie brauchen.“ Asadi konnte sich vergewissern, dass die Ukrainer in Windeseile eine professionelle Infrastruktur auf die Beine gestellt hatten. So konnten die Hilfsgüter von Anfang an in diejenigen Kriegsregionen fließen, wo sie am dringendsten benötigt wurden.
Gemeinsam mit dem Ukrainischen Verein Mainz, dem ursprünglich als Stadtteilverein gestarteten Mombach hilft und mit den Mainzer Lions Clubs stellten die Malteser das schlagkräftige Ukraine-Netzwerk Mainz auf. Kurz darauf engagierten sich auch Mainz 05 hilft, der Ärzteverein Mainz, die Soroptimisten und eine ganze Reihe weiterer Vereine in dem Netzwerk. Die Universitätsmedizin Mainz spendete am Anfang selbst medizinisches Material und Gerät und stellte es später zum Einkaufspreis zur Verfügung.
Wöchentlich werden Hilfsgüter verschickt
Bis heute hat das Netzwerk über 400 Tonnen Hilfsgüter in die verschiedenen Krisenregionen der Ukraine liefern können, davon allein 16 Tonnen Medikamente, Verbandsmaterial und medizinisches Gerät. Noch immer gehen fast wöchentlich Laster von einer umfunktionierten Halle am Mainzer Haus der Kulturen auf die Strecke zu den Verteilzentren an der polnisch-ukrainischen Grenze – auch wenn das Spendenaufkommen in letzter Zeit deutlich nachgelassen hat.
Auf 500.000 Euro Geldspenden und Sachspenden im Wert von rund 350.000 Euro bilanziert Daniela Gönner von Mombach hilft das Spendenaufkommen. Hunderte Menschen konnte das Netzwerk bisher zur Mithilfe bewegen.
Der Ukrainische Verein in Mainz hat selbst nur 30 Mitglieder. Er wurde aber gleich für mehrere der großen Hilfsorganisationen zum Anstoßgeber und einem wichtigen Partner. Lyudmyla Kolos ist die zweite Vorsitzende des Vereins, der sich vor dem Krieg zum Ziel gesetzt hatte, Kinder von ukrainischen Arbeitsmigranten muttersprachlichen Unterricht bieten zu können. Kolos hat erfahren, wie sich die Situation für die Hilfsorganisationen gedreht hat: „Am Anfang mussten wir erst die Wege für die vielen Spenden suchen. Jetzt suchen wir händeringend Spender für die vielen, immer drängenderen Hilferufe aus der Ukraine.“
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Mit Schrecken schaut Lyudmyla Kolos auf diesen Mittwoch. Am 24. August wütet der grausame Angriffskrieg nicht nur genau ein halbes Jahr. Es ist auch der 31. Jahrestag der Unabhängigkeit der Ukraine: „Wir haben große Angst, dass Russland an diesem Tag besonders viele Bomben wirft. Wir können nur beten und hoffen, dass nicht so viele Menschen sterben“, sagt sie mit gebrochener Stimme.
Der bekannte Comedian Sven Hieronymus und sein Freund Martin Klein, waren wahrscheinlich die Ersten in der Region, die unmittelbar nach Kriegsausbruch Richtung ukrainische Grenze aufbrachen – mit einem kleinen Hilfstransport. Der VW Bus war ruck, zuck mit Lebensmitteln und Verbandszeug beladen. Polnische Helfer nahmen ihnen die Güter schon kurz vor der Grenze ab und vermittelten den beiden Männern über eine digitale Meldekette auch gleich noch eine Flüchtlingsfamilie, die sie zu Bekannten mit nach Mainz zurücknahmen.
Aus dieser spontanen Aktion hat sich die zweite große Hilfsaktion in der Region entwickelt, die inzwischen ebenfalls tausende Spender und hunderte Helfer in Bewegung gesetzt hat. Das Motto lautete im Hieronymus-typischen Duktus Nicht reden. Machen! Natürlich wurde das auch der Titel des Vereins, von dem die beiden bald merkten, dass sie ihn brauchten. Ab dann nahm die Hilfsaktion in einer Weise Fahrt auf, die sich selbst Hieronymus trotz seiner Bekanntheit und der erhofften medialen Begleitung nicht ausgerechnet hatte.
Über Wochen und Monate wurde die Hilfsaktion für den engeren Kreis an Mitstreitern im Verein im wahrsten Sinn des Wortes zu einer Art Fulltime-Job. Die Hilfsangebote überschlugen sich und die Whatsapp-Kommunikation kennt in solchen Situationen bekanntlich keine Pausen. In Bodenheim, dem Sitz des Vereins, stellte ein Unternehmer eine große Halle zur Verfügung, die seither als Sortier- und Verteilzentrum dient. Noch immer sind dort rund 20 Helfer pro Woche aktiv, um Spenden und Einkäufe zu sortieren.
Hieronymus ruft Spendenappell an Bürger aus
Auch bei Nicht Reden. Machen! hat sich die Art der Hilfe deutlich in Richtung medizinische Versorgung verschoben. Wobei die dringend benötigten Geldspenden heute deutlich seltener von einzelnen Spendern eingehen. Dafür sind es Schulklassen, Belegschaften und auch Geburtstags- und Hochzeitsgesellschaften, die in ihren Kreisen Spendenaktionen zugunsten der Bodenheimer Ukraine-Hilfe starten. Auch eine Reihe von Unternehmen unterstützen den Verein fortlaufend oder leisten Geldspenden.
Sven Hieronymus appelliert an die Bürger, in der Unterstützung der Opfer des Kriegs in der nicht nachzulassen: „Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland selbst unter den wirtschaftlichen Folgen des Krieges leiden, aber das ist kein Vergleich mit den Leiden der Menschen in der Ukraine. Die werden verletzt, vergewaltigt, ausgeraubt und getötet. Wir würden genauso um Hilfe flehen, wenn es unser Land getroffen hätte.“
Trabert schafft medizinische Geräte in die Ukraine
Wo Kriege ausbrechen und wo sich Flüchtlingsströme bilden, ist Gerhard Trabert nicht weit. Unmittelbar nach Kriegsausbruch war auch der Mainzer Armenarzt mit dem Arztmobil seines Vereins Armut und Gesundheit an die polnisch-ukrainische Grenze aufgebrochen. Bei dieser allerersten Hilfe erkannte er allerdings, dass die Polen trotz der gewaltigen Flüchtlingsströme in ihren Grenzlagern eine ordentliche medizinische Betreuung gewährleisteten.
Im Mai reiste Trabert dann gemeinsam mit dem Linken-Bundestagabgeordneten Gregor Gysi eine Woche lang durch das Kriegsland, um mit dem von ihm gegründeten Verein Armut und Gesundheit Hilfskooperationen zu begründen. Dem Zentralkrankenhaus in Vyschgorod nördlich von Kiew konnte er ein sogenanntes Dermaton mitbringen, ein Spezialgerät für Hauttransplantationen bei schweren Verbrennungen. Einer Klinik in Butscha, die Trabert ebenfalls besuchte, hilft sein Verein seither beim Aufbau eines neuen Operationssaals.
Trotz Hilfen fehlt noch vieles
Erst in der vergangenen Woche konnte eine weitere Klinik in Kiew zwei Geräte zur Versorgung von Neugeborenen in Empfang nehmen. Traberts Verein unterstützt auch ein ukrainisches Chatangebot finanziell, das insbesondere jungen Menschen in psychosozialen Krisensituationen zur Seite steht. Und der Verein „Köche der Ukraine“, der in fast allen Krisenregionen des Landes die Zivilbevölkerung mit Armenküchen versorgt, überweist der Verein Armut und Gesundheit monatlich 10.000 Euro.
275.000 Euro Spenden hat Armut und Gesundheit im vergangenen halben Jahr für die Ukraine gesammelt. Das Geld ist noch nicht ganz aufgebraucht, die Liste der Hilferufe um Unterstützung aber wird immer länger. „Uns ist wichtig, dass wir unseren Partnern kontinuierlich zur Seite stehen. Unsere Hilfe darf jetzt nicht versiegen“, sagt Trabert: „In Vyschgorod brauchen sie zum Beispiel dringend Nägel, Platten und anderes chirurgisches Material, um die Verwundeten zu versorgen, die die Klinik auch aus anderen Landesteilen erreichen“.