Die jüngste Orgelvesper in St. Thomas Morus widmete sich anlässlich seines Todestags des weithin vergessenen Komponisten Christian Heinrich Rinck.
Von Heiner Schultz
Organistin Anita Kolbus widmete sich dem einst in Gießen wirkenden Komponisten Christian Heinrich Rinck auf ebenso informative wie spielerische Weise. Foto: Schultz
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GIESSEN - Als eine kleine Instruktion zum Thema städtische Musikgeschichte entpuppte sich die 47. Orgelvesper in der Kirche St. Thomas Morus am Sonntag. Die Gießener Musikwissenschaftlerin Dr. Anita Kolbus skizzierte anlässlich seines Todestags am 7. August 1846 das Leben und Werk des Komponisten Christian Heinrich Rinck. Und sie fügte einige Klangbeispiele hinzu, was für ein ebenso informatives wie kurzweiliges Programm sorgte.
Man erfährt ja immer wieder von bedeutenden Menschen aus Kunst und Kultur, die aus Gießen stammen oder während ihres Lebens hier Station machten. Und der Kirchenmusiker Rinck, geboren 1770 bei Ilmenau in Thüringen, gehört zu ihnen. Er gilt als bedeutender deutscher Komponist der Romantik, seine Karriere begann im Wesentlichen in der Stadt, erläuterte Kolbus.
Schlecht besoldet
Seine musikalische Ausbildung erhielt der Komponist bei Johann Christian Kittel, der selbst noch bei Johann Sebastian Bach gelernt hatte. "Rinck machte mit 20 Jahren Schluss mit der Orgelausbildung und trat 1790 eine Stelle als Stadtorganist in Gießen an", berichtete Anita Kolbus. Die war allerdings schlecht besoldet. Er habe sich mit Privatunterricht und Abschreiben für die Juristen ein Zubrot verdienen müssen, klagte Rinck.
Er schrieb eine große Zahl von Stücken, die sämtlich für seine Schüler und Orgelanfänger gedacht waren. Zudem lag ihm die Kirchenmusik auf dem Land am Herzen. Hier verfasste er Werke, die einfach zu spielen waren, um gleichsam mehr Musik in die Kirchen in Hessen zu bringen. Als erstes eigenes Werk schreib Rinck eine Trauerkantate für einen damaligen Dienstherren.
Kolbus illustrierte ihren Vortrag mit konkreten Klangbeispielen, was dem Ganzen einen lockeren und anschaulichen Charakter verlieh. Etwa das Präludium in c-Moll, das eine kraftvolle Dramatik aufbaute, die an eine Einführung zu einem dramatischen Theater- oder Opernwerk anmutete - klassische Orgelmusik. Als Rinck heiratete, unterstützte ihn die Stadt mit einem Posten als Stadtschullehrer.
Interessant ist, dass Rinck zunächst die Werke der großen Meister der Zeit weder hören noch als Noten lesen konnte, berichtete Anita Kolbus, er habe das sehr bedauert. Auch sonst war er musikalisch eingeschränkt: Die Orgel, die er spielte, besaß keine Pedale und nur eine kleine Tastatur, sodass der Klangumfang und die Vielfalt stark eingeschränkt waren. "Allerdings stand damals hinter dem Botanischen Garten eine evangelische Kirche," sagte Kolbus, "die eine wesentlich bessere Orgel besaß, die Rinck spielen durfte." Der Thüringer wollte also weg, und die Stadt bot ihm eine zusätzliche Stelle an, um ihn zu halten: als Universitäts-Musikdirektor. Doch vergeblich. Er erhielt einen Ruf nach Darmstadt und verließ Gießen in Richtung Süden. Später verfasste er den "Choralfreund", ein Generalwerk mit allen in Deutschland gebräuchlichen protestantischen Kirchenmelodien. In Darmstadt wurde er Kantor und Organist der Stadtkirche, später Hoforganist und Kammermusiker von Großherzog Ludwig I. Er wurde auf dem Alten Friedhof von Darmstadt bestattet. "In Darmstadt blühte Rinck auf, er wurde reich und berühmt," erklärte Kolbus, "er sorgte für die Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik."
Mit dem Postludium F-Dur, einem ästhetischen Spielstück für Schüler aus dem "Choralfreund", einem Werk mit klassischer Auffassung, dramatischen Elementen und filigranen Aspekten, erklang ein weiteres Stück Rincks. Es ist ein typisches Orgelwerk seiner Zeit. "Seine Werke sind heute praktisch vergessen," sagte Kolbus, "mit Ausnahme des einen Lieds, das namentlich mit ihm nicht verbunden ist."
Stimmungsvoll schloss sie mit dem besinnlichen Klassiker "Abendlied" ab, das allgemein durch Hoffmann von Fallerslebens Text bekannt ist, dessen Musik aber von Rinck stammt. Sie fügte Rincks "Intermezzo in E-Dur" an. "Das funktioniert wie ein Epilog", sagte sie. Der Anschluss ans Lied geschah tatsächlich unmerklich, so gelungen passte die Komposition ans Lied. Ein kurzweiliger Nachmittag, starker Beifall.