" ... dann brauchst du kein Auto mehr": "Park(ing) Day" in Gießen
Beim Aktionstag am Freitag verwandelten sich vielerorts in der Gießener Innenstadt Parkplätze in Park-Flächen und wurden allerlei Alternativen aufgezeigt, um den Flächenverbrauch für Autos zu reduzieren.
Von Rüdiger Schäfer
Für einige Stunden laden Liegestühle zum Verweilen inmitten mitgebrachter Pflanzen ein. Der zehnjährige Jakob stellt aus Samen und Lehm Saattrüffeln her, während beim Foodsharing viele Backwaren zum Abholen bereit liegen. Fotos: Schäfer
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GIESSEN. "Ich weiß eigentlich nicht, wieso ich hier bin", erzählt der Künstler Lorenz Grimm am Freitagnachmittag in der Marktlaubenstraße. "Vielleicht, weil ich Arbeiten zu dem Thema geschaffen habe", mutmaßt er mit einem leicht verschmitzten Lächeln. Nun, seine mitgebrachten Ateliersarbeiten in Form von Postkarten und zwei Bildern betreffen vierrädrige motorisierte Fahrzeuge. Und um die ging es an diesem "Park(ing) Day".
Doch warum waren so viele Menschen zu dem fünfstündigen Aktionstag auf Lindenplatz, Brandplatz, in Marktlaubentraße oder Walltorstraße gekommen? "Städte für Menschen, nicht für Autos", verkündeten die Aktvistinnen Andrea Barany und Lione Stienecke in ihrer gemeinsamen Eröffnungsrede auf dem Lindenplatz. "Wir sind hier, weil wir mehr Raum für Menschen, weniger für Autos brauchen. Städte sind für Menschen da, nicht für Autos!", betonten die Beiden.
Das bunte Programm des Nachmittags bot Straßenfestcharakter mit Livekonzerten, Redebeiträgen, Workshops mit Sprühkreide und Schablonen, Kunstausstellungen, Jamsessions, Probefahren von Lastenrädern, Kaffee und Kuchen, eine Fahrrad-Reparieraktion mit -parcours für die Kleinen, Spiele für Groß und Klein, eine Kleidertauschparty sogar mit Umkleidekabine und gespendete, noch essbare Lebensmittel - größere Mengen an Brot und Brötchen - als Foodsharing. An einem Stand konnten Kinder zudem aus Samen und Lehm Saattrüffeln herstellen. Selbst die Stadt hatte einen Stand zum Klimaschutz aufgebaut, auf dem auch Stadträtin Gerda Weigel-Greilich zugegen war. Passanten wurden hier zu Vorschlägen aufgefordert. Annemie Möhring und Oliver Jenschke wollen bezüglich weiterer Fahrradstraßen - gesamter Anlagenring und auf zwei Innenstadtachsen - endlich Nägel mit Köpfen machen und sammelten für ihren diesbezüglichen Bürgerantrag erste Unterschriften.
Ein Auto parke durchschnittlich 23 Stunden am Tag, berichteten Barany und Stienecke. Dies sei Fakt. "Aber es geht heute und hier nicht nur um Autos und Parkplätze. Wir fordern eine generelle Verkehrswende." Es solle an diesem Aktionstag über Fußgänger, Bus- und Bahnverbindungen, Regiotram-Trassen, Fahrradstraßen, Inlinerstrecken und die Nutzung öffentlicher Flächen gesprochen werden. "Wir wollen Aufenthaltsqualität in unseren Städten. Wir wollen mehr Platz für Cafés, Spielplätze und Grünflächen in Gießen! Dabei nicht das Auto verbieten, sondern so tolle Angebote haben, dass man kein Auto mehr braucht", forderten sie.
Ein einziger Autoparkplatz bemesse mindestens zwölf Quadratmeter. "Wie groß ist dein Kinderzimmer, dein WG-Zimmer oder dein Wohnzimmer? Hast du überhaupt ein Wohnzimmer?", klangen als rhetorische Fragen über die Lautsprecher. "Alle privaten Pkw, die in Gießen gemeldet sind, benötigen eine Gesamtfläche von knapp 400 000 Quadratmeter. Das entspricht 100 Mal dem Kirchenplatz, und zehnmal dem Schwanenteich." Für ein besseres Flair in Gießen, mehr Aufenthaltsqualität, um zum Bummeln einzuladen, müsse die Stadt umweltverträgliche und attraktive Alternativen entwickeln. Bereits ganz konkrete Ideen könne man sich online unter giessen-autofrei.tk im Detail anschauen.
Gefordert wurden auch Fahrradstraßen. "Da ist ja der Anfang gemacht." Doch jetzt gelte es, nicht aufzuhören, sondern weitere Straßen umzuwidmen. "Wir fordern ein Netz aus Fahrradstraßen." Und auch um die Bürgersteige ging es den beiden Rednerinnen: "Warum lassen wir uns an den schmalen Rand der Straßen drängen, auf dem oft mit Rollstuhl oder Kinderwagen kein Durchkommen ist?" Daher forderten sie breitere Fußwege und mehr Fußgängerzonen. Für eine umwelt- und sozialverträgliche Mobilität wurde zudem ein leistungsstarker ÖPNV angemahnt; zum Nulltarif. "Und zwar mit hoher Taktung aus dem gesamten Umland bis nach Gießen mitten in die City rein." Dazu müsse es eine Regiotram geben.
Barany und Stienecke wehrten sich gegen den Vorwurf, sie wollten Autos verbieten, sodass kein schnelles Hinkommen zur Arbeit etwa nach Wetzlar oder vom Umland in die Innenstadt mehr möglich sei. "Dann sagen wir: Doch! Und zwar, sobald Gießen die Prioritäten verändert hat: Weg vom Auto, hin zu dem ökologisch und sozial sinnvollen Verkehrswendeplan! Dann brauchst du kein Auto mehr, dann willst du gar kein Auto mehr."