Vor 200 Jahren entschlossen sich einige oberhessische Bauern zu einer folgenreichen Tat - auf dem Gießener Marktplatz fiel ihr Todesurteil.
Von Götz Eisenberg
Das Geldkärrnchen kam nicht bis Gießen. Doch dort schlug das letzte Stündlein der Räuber, wie sie der Kombacher Heimathistoriker und Maler Wolfgang Platt in diesem Ölgemälde festgehalten hat. Repro: Wolfgang Platt.
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KOMBACH/GIESSEN - An einem sonnigen Tag im Herbst 1821 näherte sich der fliegende Händler David Briel mit seiner Kiepe dem Ort Kombach bei Biedenkopf. Er sah, dass Jacob Geiz, dessen Bekanntschaft er auf der Jagd gemacht hatte, die Wiese des Posthalters Stapp mähte und sprach ihn folgendermaßen an: "Höre, Jacob, kann ich mich wohl auf dich verlassen? Ich wüsste etwas, und wenn noch mehrere vertraute Leute mitgingen, so könnten wir's ausführen." Sprach's und wandte sich zum Gehen. Während Jacob Geiz noch dabei war, den Sinn dieser Worte zu enträtseln, kam David Briel wieder zurück und lüftete selbst das Geheimnis: "Sieh einmal, Jacob, ich wüsste ein Mittel, wodurch uns beiden geholfen wäre, wenn du und noch einige vertraute Leute mit mir einverstanden wären. Du weißt, es fährt alle Monat ein paarmal das Geldkärrnchen von Biedenkopf nach Gießen. Das wollen wir zusammen angreifen, das Geld herausnehmen und wenn es uns gelingt, dann sind wir doch auf unser Lebtag gemachte Leute".
Die Umstände
Mit diesen Worten senkte der Strumpfhändler Briel ein Samenkorn in den kargen Boden. Es dauerte eine Weile, bis es aufging und sich genug potenzielle Mittäter gefunden hatten. Der Kombacher Boden war für solche Ideen fruchtbar, denn die Lage der Kleinbauern und Tagelöhner war katastrophal. Zwar waren die Bauern einige Jahre zuvor aus der Leibeigenschaft entlassen worden, aber in Wahrheit handelte es sich nur um einen Formwandel der Ausbeutung. Die Frondienste waren in Geldzahlungen, Steuern und Abgaben verwandelt worden. Die einzelnen Parzellen Land waren oft zu klein, um einer Familie das tägliche Brot zu sichern.
Verschlechtert hatte sich die Lage zusätzlich dadurch, dass im Jahr 1815 der Vulkan Tanibora in Indonesien ausgebrochen war und Unmengen an Staub und Asche in die Atmosphäre geschleudert hatte. Die Auswirkungen waren rund um den Globus spürbar. Die Sonne verschwand für lange Zeit im Dunst, das Jahr 1816 wurde zu einem "Jahr ohne Sommer". Auf den Feldern verfaulten Getreide, Kartoffeln und Gemüse. Was noch übrig geblieben war, zerschlug der Hagel. Für die Bauern bedeutete die vernichtete Ernte eine Katastrophe. Es fehlte jeder Vorrat für den Winter und das Saatgut für das nächste Jahr. Eine Serie von Missernten war die Folge. Viele suchten ihr Heil in der Auswanderung.
Die Zurückgebliebenen litten Hunger und versanken in Elend und Fatalismus. Mit einer Zeile aus einem Märchen der Brüder Grimm hätten sie sagen können: "Wenn's Hirsebrei regnet, ham' wir keinen Löffel." So ungefähr waren die Verhältnisse unter den Bauern im Hinterland. Freilich: Die Verhältnisse tun nichts, aber ohne sie wären Taten wie die, um die es nun gehen soll, nicht möglich gewesen.
Vor der Tat
Nach dem Besuch von David Briel fanden sich relativ schnell Männer zusammen, die geneigt waren, das Risiko eines Überfalls einzugehen. Jeder für sich alleine wäre vor einem solchen Vorhaben zurückgeschreckt, aber in einer Gruppe von Gleichgesinnten verstummte die Stimme des individuellen Gewissens. Die restlichen Skrupel würde der Branntwein auflösen, den sie mitnehmen und vor der Tat trinken wollten. Der Familie Geiz, die dafür bekannt war, gelegentlich das großherzogliche Wild zu dezimieren, gelang es, eine Gruppe von acht tatgeneigten Burschen aus Kombach und der näheren Umgebung zusammenzubringen. Keiner war Berufsräuber, alle waren halbverhungerte, arme Schlucker, die sich aus der Not heraus entschlossen, für einen Tag zu Räubern zu werden.
Heinrich Geiz, der Bruder von Jacob, machte sich auf den Weg nach Königsberg, wo er sich in einem Wirtshaus mit dem Landschützen Volk traf. Das Geldkärrnchen wurde jeweils von einem bewaffneten Landschützen begleitet, und der Landschütz Volk, der selber in Geldnöten war, versprach, dem jeweiligen Landschützen das Blei aus der Flinte zu ziehen, damit auf keinen der Räuber geschossen und jedes Blutvergießen vermieden werden konnte.
Nachdem dieses Hindernis aus dem Weg geräumt war, unternahm die Gruppe am ersten Weihnachtstag 1821 den ersten Versuch, den Geldtransport zu überfallen. Doch überraschenderweise begleiteten dieses Mal zwei Bewaffnete den Karren und sie brachen ihr Vorhaben ab. Es scheiterte noch weitere fünf Mal. Einmal war Schnee gefallen und man hätte ihre Spuren verfolgen können, ein andermal hatte das Kärrnchen kein Geld geladen und sie bekamen rechtzeitig Wind davon. Einmal verliefen sie sich im Nebel und ein andermal begleitete ein Trupp frisch rekrutierter Soldaten den Karren. Im Film, den Regisseur Volker Schlöndorff im Jahr 1971 über den Postraub in der Subach gedreht hat, fragt der fahrende Händler Briel eins ums andere Mal: "Wie oft muss man's machen, bis es einmal gelingt?"
Der Überfall
Der siebte Versuch fiel auf Sonntag, den 19. Mai 1822 und verlief überraschend glatt. Abends um zehn Uhr waren sie in Kombach losgegangen und morgens gegen zwei in der Subach bei Mornshausen (heute ein Stadtteil von Gladenbach) angekommen. Dann haben sie sich in die Böschung links und rechts vom Hohlweg in den dichten Wald gelegt, sich mit Branntwein Mut angetrunken und auf die Ankunft des Geldkärrnchens gewartet. Die Sonne stand schon hoch, als es sich endlich näherte und mit einem Peitschenknallen des Kutschers in den steilen Hohlweg einfuhr. Der Postillion und der begleitende Landschütz stiegen ab, um den Pferden die Arbeit zu erleichtern. Das Stück, wo der Berg ins Hochplateau übergeht, nennen sie Leute hier von alters her "auf dem Gleichen". Ob der Überfall noch "in der Hohl" oder schon "auf dem Gleichen" stattgefunden hat, darüber streiten sich die Historiker bis heute.
Das war nicht ganz unwichtig, weil im Frühjahr 1822 irgendwo hier die Grenze zwischen dem Kurfürstentum Hessen-Kassel und dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt verlief. Das war für die Abwicklung des Schadens von Belang. Es war den Posträubern wichtig, dass der Überfall auf Kurhessischem Gebiet stattfand, denn dann hätte der Kasseler Kurfürst dem Darmstädter Großherzog den Schaden ersetzen müssen. Andernfalls wäre damit zu rechnen gewesen, dass der Großherzog rund um Biedenkopf neue Steuern erheben würde, unter denen die arme Bevölkerung zusätzlich zu leiden gehabt hätte. Und das wollten die Räuber vermeiden.
Als der Wagen in ihrer Höhe angekommen war, stürzten sie aus dem Gebüsch, feuerten ihre Waffen ab und überwältigten den Postillion und den Landschützen. Sie schleiften sie gefesselt und geknebelt in den Wald. Sie warfen den Kasten mit dem Geld vom Wagen und schlugen den Deckel mit einer Axt ein. Sie packten in ihre Tornister, was sie wegtragen konnten. Den Rest der Beute versteckten sie in einem hohlen Baum. Dann traten sie den Rückweg nach Kombach an, wo sie noch in der Nacht die Beute aufteilten. Auf jeden entfielen 800 Gulden, was ungefähr dem Tagelohn von zehn Jahren entsprach.
Die Ermittlungen
Unterdessen war es dem Landschützen Hamann und dem Postillion Müller gelungen, sich von ihren Fesseln zu befreien. Sie begaben sich nach Rollshausen (heute Großgemeinde Lohra) und brachten den Überfall zur Anzeige. Da die Räuber maskiert waren, hätten sie niemanden erkannt, der Dialekt, den sie untereinander gesprochen hätten, deute aber daraufhin, dass sie aus der Gegend stammten.
Die Gießener Justizbehörden nahmen die Ermittlungen auf und betrauten den erfahrenen Criminalrichter Danz mit der Sache. Dieser begab sich umgehend ins "Hinterland", wie der Landstrich um Biedenkopf genannt wird, und setzte eine Belohnung für Hinweise aus. Von Gladenbach aus leitete er die Ermittlungen. Wenn die Täter Bauern aus der näheren Umgebung waren, würden sie das Geld nicht ruhen lassen können, sondern bald ausgeben müssen und dadurch Aufsehen erregen. Viele Hinweise und Spuren wiesen nach Kombach. Einer kaufte sich einen Wagen, ein anderer besaß plötzlich eine Taschenuhr, ein Dritter gab im Wirtshaus Runden aus, der Vierte konnte die sogenannte Copulationssteuer entrichten und kündigte seine Hochzeit an.
Ein halbes Jahr nach der Tat schritt Criminalrichter Danz zur Tat und ließ die ersten Verdächtigen nach Gießen ins Gerichtsgefängnis bringen. Von schlechtem Gewissen geplagt, legte einer ein umfassendes Geständnis ab und nannte die Namen der Tatbeteiligten. Sieben der acht am Raub Beteiligten befanden sich nun in Haft und wurden von Danz streng verhört. Dieser hatte einen Sekretär, der Carl Franz hieß und aus Lich stammte. Er führte gewissenhaft Protokoll und veröffentlichte 1825 ein schmales Buch, das "Der Postraub in der Subach" heißt. Es lieferte die Vorlage für Schlöndorffs Film "Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach", und auch wir beziehen unser Wissen im Wesentlichen aus diesem Bändchen, das der Marburger Jonas-Verlag 1978 neu herausgebracht hat.
Nur der Tippgeber Briel war gewieft genug, sich der Verhaftung zu entziehen. Er war als einziger nicht an Grund und Boden gebunden und hatte keine Familie. Er besorgte sich einen Hausierschein und ging über die nächste Grenze. Später soll er in Amerika als Strumpffabrikant zu Reichtum gekommen sein. Der Umstand, dass David Briel Jude war, sorgte für ein Aufflackern eines bäuerlichen Antisemitismus. Sie machten ihn zum Sündenbock: "Unser' Leut müssen sitzen, und der garstige Briel von Dexbach, der doch an allem Schuld ist, kommt davon." Zwei der Tatverdächtigen hielten es mit ihrer Schuld nicht aus und nahmen sich in der Untersuchungshaft das Leben.
Das Urteil
Das Hofgericht in Gießen erkannte wegen Straßenraubs auf die Todesstrafe durch das Schwert. Die übriggebliebenen fünf Einmalräuber wurden, nachdem ein nach Darmstadt gesandtes Gnadengesuch abgelehnt worden war, im Oktober 1824 in Gießen hingerichtet. Auf dem Marktplatz, wo die Gießener Bürger heute Obst und Gemüse kaufen, wurde die Urteilsverkündung von der Obrigkeit groß in Szene gesetzt. Richter Danz verkündete die Urteile und brach über jeden den Stab - einen echten Holzstab, wie es damals üblich war. Anschließend zog man mit einer größeren Menschenmenge zur Hinrichtungsstätte, die irgendwo draußen an der heutigen Marburger Straße lag. Menschen, die etwas nicht mehr aushielten, ertrugen es zunächst noch lang. Dann unternahmen sie einen Ausbruchsversuch, der scheiterte und dazu führte, dass sie umso brutaler von den Verhältnissen verschlungen wurden. Nun herrschte wieder Ruhe im Hinterland.
Zehn Jahre später wird ein junger Gießener Student namens Georg Büchner, ermutigt durch die Bauernunruhen in Oberhessen im Jahr 1830, zusammen mit dem Butzbacher Pfarrer Weidig den Versuch unternehmen, die Bauern mit dem Schlachtruf "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" aufzurütteln. Aber die Bauern lieferten die gefährliche Flugschrift bei den Behörden ab, und der "Hessischer Landbote" ging einstweilen in der oberhessischen Finsternis unter, die sich nach dem Blutbad von Södel wieder herabgesenkt hatte.