Gießen: Mit "Der Food Plan" Verbrauchern die Augen öffnen
Der Wahl-Gießener Dr. Helmut Leopold möchte mit seinem Buch "Der Food Plan - Richtig einkaufen für eine bessere Welt" mehr Transparenz in die Lebensmittelbranche bringen und Verbrauchern die Augen öffnen.
Symbolfoto: dpa
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Giessen. 180 Milliarden Euro geben Verbraucher in Deutschland jährlich für Lebensmittel aus, die meisten gehen mehrmals pro Woche einkaufen. "Damit entscheiden wir praktisch täglich darüber, wie unsere Lebensmittel produziert, verarbeitet und verkauft werden", sagt Dr. Helmut Leopold im Gespräch mit dem Anzeiger. "Allerdings benutzen wir diese (Einkaufs-)macht nicht: Entweder, weil wir nicht glauben, dass wir wirklich etwas verändern können oder weil wir nicht wissen wie."
In seinem neu erschienenen Buch "Der Food Plan - Richtig einkaufen für eine bessere Welt" will der Wahl-Gießener mehr Transparenz in die Lebensmittelbranche bringen und Verbraucher in die Lage versetzen, mündige Entscheidungen zu treffen. Bereits seit seiner Jugend beschäftigt sich der Psychologe mit Lebensmittelproduktion, -verarbeitung und -verkauf. Nachdem der gebürtige Wilhelmshavener 15 Jahre große Unternehmen der etablierten Lebensmittelindustrie im Bereich Innovationsmanagement beraten hat, ist er aktuell an der Entwicklung des neuartigen genossenschaftlichen Online-Supermarktes "myEnso" mit Sitz in Bremen beteiligt.
"Deutsche Eier" aus Holland
Sechs Jahre lang hat er den Food-Blog "2 grüne Tomaten" geführt, in dem er die wiederkehrenden Muster und Mechanismen in der Branche aufdeckte. Sein Fazit: Die erste Reaktion auf einen Lebensmittelskandal ist es, diesen klein zu halten. Wenn aber medialer und politischer Druck ausgeübt wird, werden Vorschläge aus der Schublade geholt, die indes nur an der Oberfläche kratzen. Dennoch geht der Plan zumeist auf, bis zum nächsten Mal. "Die Namen ändern sich, aber das Spiel bleibt das gleiche."
"Beim Thema Ernährung wird der Verbraucher regelmäßig hinters Licht geführt, missachtet und nicht für voll genommen", unterstreicht Leopold. Beispiele dafür gibt es in seinem unterhaltsam geschriebenen Buch viele. So berichtet er von einer Packung mit der Aufschrift "Deutsche Eier", die wiederum Hühnerprodukte aus den Niederlanden enthält. "Die Eier waren nur in Deutschland abgepackt worden."
Obwohl es hierzulande unzählige Regelungen gebe, was auf einer Verpackung stehen muss - selbst die Mindestschriftgröße sei vorgeschrieben - existierten sehr viele Schlupflöcher. "In der Zutatenliste sind alle Zutaten aufgeführt, die in dem Produkt drin sind, sortiert nach der Menge. Aber es gibt die Möglichkeiten zu einem kreativen Umgang." Beliebt sei etwa, eine bestimmte Zuckerart einfach in verschiedene Stoffe aufzuspalten. Die Verbraucherzentrale verweist auf 70 verschiedene Begriffe für Zucker oder süßende Substanzen. Auf diese Weise lasse sich verhindern, dass Zucker als Hauptbestandteil an erster Stelle der Zutatenliste auftaucht.
"Begriffe wie fett- oder kalorienreduziert auf der Fleischverpackung sollen uns ein gutes Gewissen machen und irgendwie gesund klingen. Tatsächlich bedeutet dies in vielen Fällen schlicht, dass das Fleischprodukt mit Wasser gestreckt und dadurch der Fettgehalt anteilig reduziert wurde", erklärt Helmut Leopold. Auf anderen Waren sei aus Werbezwecken "laktosefrei" vermerkt, obwohl sie dies von Natur aus schon immer gewesen seien. Der größte Kostenfaktor in der Produktion sei der Mensch. Nichts nerve Manager großer Konzerne mehr als die leidigen Lohnkosten. Deshalb würden leider noch immer Krabben zum Pulen zweimal über den halben Planeten gefahren und die Umwelt stark belastet.
Wichtig sei es, als Händler dem Verbraucher zu erklären, warum etwas ohne Zusatzstoffe teurer ist. "Innovative Produkte aufstrebender Start-ups, die auf Zusatzstoffe verzichten oder Alternativen zu tierischen Produkten anbieten wollen, haben es im Handel und beim Verbraucher schwer. Sie schaffen es oftmals gar nicht erst ins Verkaufsregal oder verschwinden dort schon nach kurzer Zeit wieder", bringt es Leopold auf den Punkt. Derzeit seien in der Europäischen Union deutlich mehr als 300 Zusatzstoffe zugelassen.
Auch auf die "Zweitplatzierung" von Süßigkeiten in komplett anderen Ladenbereichen macht der Autor aufmerksam. So würden Produkte, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe nur als Süßigkeiten bezeichnet werden könnten, gerade in Bereichen "versteckt", die als gesund geltende Lebensmittel anbieten. Müslis seien ein gutes Beispiel dafür. Dort findet sich dann neben den tatsächlich einer gesunden Ernährung dienlichen Produkten die ganze Palette sogenannter Frühstücks-Cerealien, die oftmals völlig überzuckert und mit Zusatzstoffen versetzt seien. "Einer Untersuchung von 'foodwatch' zufolge sind fast 75 Prozent aller für Kinder angebotenen Lebensmittel zu süß oder zu fett."
"Brandbeschleuniger"
Dass Verbraucher etwas tun können, zeige schon alleine die Tatsache, dass mittlerweile fast jeder Supermarkt über ein regionales Sortiment verfüge. Das entspreche einem Wunsch der Konsumenten, der gleichwohl deutlich mehr Aufwand bedeute. Helmut Leopold nennt zudem die Aktion "Du bist hier der Chef", bei der Verbraucher ihre eigene Milch entwickelt haben, vom Inhalt über die Verpackung bis hin zum Preis.
Als die Coronakrise in Deutschland begann, war Leopolds Buch bereits im Druck. "Corona hat nichts Neues erschaffen, sondern war nur eine Art Brandbeschleuniger", so der Autor. Durch die Pandemie sei eine noch größere Schere zwischen dem bewussten Konsumenten und dem Discount-Einkäufer entstanden. Bis zur Pandemie hätten die wenigsten Verbraucher Lebensmittel im Internet bestellt. Der Anteil der dort erworbenen Produkte am Gesamtumsatz des Lebensmitteleinzelhandels liege bisher bei knapp über einem Prozent.
Mit seinem Buch möchte Helmut Leopold den Verbrauchern die Augen öffnen, ohne dabei den mahnenden Zeigefinger zu heben. "Es wird auch nicht mit dem Holzhammer auf die Industrie eingeschlagen." Und er möchte skizzieren, dass die Verbraucher tatsächlich etwas ändern können. "Unterschätzt Eure Macht nicht", betont Helmut Leopold. "Kritisches Bewusstsein für das, was wir einkaufen, ist schon mal der erste Schritt."
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Das Buch "Der Food Plan - Richtig einkaufen für eine bessere Welt" ist in einer Auflage von 1300 Exemplaren beim Verlag Agentur Altepost erschienen und überall unter der ISBN-Nummer 978-3982130460 erhältlich.