Eine ganz besondere Theaterperformance der Gießener Gruppe Skart führt ins Unterholz - und bei den Teilnehmern zu interessanten Einsichten.
Von Barbara Czernek
Schießen Sie bitte auf Ihre Ängste - ein Angebot, das plötzlich mitten im Wald auf die Teilnehmer der Theater-Performance wartet. Fotos: Floria Krauss
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GIESSEN - Giessen. Auf eine Reise ins Ungewisse begaben sich am Wochenende rund 80 Teilnehmer einer ungewöhnlichen Gießener Theaterperformance. Eingeteilt in jeweils drei Gruppen an zwei Abenden ließen sie sich auf das Wagnis "Seele essen Angst auf" ein. Dass dieser Titel durchaus wörtlich zu nehmen war, wurde vielen allerdings erst im Laufe des Abends klar. Ein Erlebnisbericht.
Los geht es an der taT-Studiobühne. Für das Publikum gab es zum nun folgenden Programm zunächst nur diesen Hinweis: Warme Kleidung und festes Schuhwerk werden empfohlen. So geht es dann vom Treffpunkt zu einem Bus mit der Aufschrift "Heuchelheim" - einer der vielen kleinen falschen Fährten, die an diesem Abend gelegt werden. Ein Reisebegleiter nimmt jeden einzelnen Besucher in Augenschein und weist ihm einen Platz zu. Das endgültige Ziel bleibt dennoch lange ungewiss. Nach seltsamen Stopps am Straßenrand und dem Zusteigen eines von Kopf bis Fuß mit Fellen behangenen Wesens werden unterschwellige Befürchtungen genährt, auch wenn der redselige Reisebegleiter die Truppe mit allerlei unsinnigen Informationen füttert.
Gefährte in Fellkostüm
Irgendwo im Niemandsland hinter Gießen hält der Bus schließlich in einem Wald und die Gruppe wird eindringlich zum Aussteigen aufgefordert. So werden erste Assoziationen an Szenen bekannter Horrorfilme wach. Schließlich obliegt dem Wald schon immer ein gewisses Mysterium und schon dank der Märchen der Gebrüder Grimm hat wohl so ziemlich jeder junge Leser verinnerlicht, dass dort Gefahren lauern können.
Schießen Sie bitte auf Ihre Ängste - ein Angebot, das plötzlich mitten im Wald auf die Teilnehmer der Theater-Performance wartet. Fotos: Floria Krauss
Der Wald birgt bekanntlich allerlei Gefahren - und seltsame Figuren, die auf das Performance-Publikum warten.
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Genau mit diesen Urängsten spielen die Theatermacher der aus Gießen stammenden und immer wieder hier inszenierenden Gruppe Skart, die diese Performance in Zusammenarbeit mit dem 2008 ebenfalls in Gießen gegründeten Performance-Kollektiv Mobile Albania sowie dem Stadttheater Gießen und dem Theater Münster entwickelt hat. "Was tun wir, wenn Davonlaufen, Zuschlagen und Totstellen keinen Erfolg versprechen, aber die Angst immer noch da ist, lähmend, bedrückend, beklemmend?" Mit diesen Fragen beschäftigt sich das rund zweieinhalbstündige Programm jenseits der bekannten Theaterbühnen. "Seele essen Angst auf" ist dabei zugleich eine Anspielung auf den berühmten Film "Angst essen Seele auf" von Rainer Werner Fassbinder, dessen Botschaft hier ins Positive gedreht wird.
Doch die Angst wird im Wald zunächst weiter verstärkt. War das nicht ein dunkler Schatten? Bewegt sich nicht etwas im Unterholz? Schleicht da nicht ein Sensenmann entlang? So ganz sicher kann man sich und seinen Sinneswahrnehmungen nicht sein. Und siehe da, wie bei Hänsel und Gretel taucht auf einer kleinen Lichtung mitten im Wald ein hell erleuchteter Kiosk auf. Statt einer Hexe laden hier allerdings freundliche Menschen zum Verweilen ein. Doch kann man ihnen auch trauen?
Das Spiel mit den Irritationen und dem Ungewissen ist also längst in vollem Gange. Vor den Bänken wird zudem ein weiterer Spielort sichtbar: Drei Holzkästen in unterschiedlichen Höhen, mit unterschiedlichen Funktionen. Markant und gut sichtbar ist die mittige Stele: Hinter einer Glasscheibe, von oben herabblickend, werden die Köpfe weiterer Darsteller sichtbar, suggestiv von unten beleuchtet mutieren sie zu unwirklichen Gestalten. Ein anderer Kubus beherbergt unsichtbare Erzähler, die aus zuvor notierten, anonymisierten Angstbekenntnissen der Teilnehmer eigene, improvisierte Geschichte ersinnen und in einer großen Bandbreite an Tonlagen vortragen. In einer dritten Box werden diese Horrorstories zeitgleich zu einer kleinen Voodoo-Puppe aus Fondant manifestiert. So werden Ängste sichtbar, greifbar und beherrschbar - und fein säuberlich aufgereiht im Kiosk der Ängste präsentiert.
Wer sich seinen Ängsten stellt, indem er auf sie schießt, bekommt zur Belohnung eine Jagdtrophäe in Form eines kleinen Kuchens. So kann der Mensch spielerisch mit seinen Ängsten umgehen, zumindest auf der Theaterplattform. Die Seele kann Ängste aufessen. Gestärkt und weitaus gelöster als bei der Hinfahrt geht es aus dem öffentlichen Theaterraum zurück in die Realität, wie immer sie auch für jeden Einzelnen aussehen mag.
So wird dieser Waldspaziergang zu einer rundum gelungenen Performance, die zeigt, wie sich der Raum zwischen Realität und Spiel aufheben und vermischen lässt. Die Teilnehmer sind kein passives Publikum mehr, sondern maßgeblicher Teil des Gesamtkunstwerks.
Wie Katharina Stephan, Mitglied von Skart, erklärt, hat eine 15-köpfige Gruppe von freischaffenden Künstlern, die alle aus dem Studiengang der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen hervorgegangen sind, das Stück erarbeitet. Und das Interesse war groß: Sämtliche Vorstellungen waren ausverkauft und das Publikum war herrlich unterschiedlich: Theater für alle also. So soll es sein.