Vom Sänger zum Manager: Moritz Gogg ist neuer Operndirektor am Stadttheater
Der aus Österreich stammende Neuzugang am Stadttheater spricht über Gießen, die kritischen Momente seiner Arbeit und die schwierige Zukunft der Klassik.
Von Björn Gauges
Hat gern das Gesamte im Blick: Moritz Gogg. Foto: privat
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GIESSEN - Der Österreicher Moritz Gogg (45) ist seit wenigen Wochen als Operndirektor sowie Künstlerischer Betriebsdirektor am Stadttheater Gießen engagiert. Seine Liebe zur Oper ist früh erblüht: Schon als Kind hat er mit Playmobilfiguren Burgen zu Theaterbühnen umgebaut. Später stand der ausgebildete Bariton selbst viele Jahre auf der Bühne. Im Gespräch mit dem Anzeiger erzählt er von der Faszination des Stadttheaters, dem Leben als Opernsänger und der ungewissen Zukunft der Zeitgenössischen Musik.
Herr Gogg, wie haben Sie zur Musik gefunden?
Mein Vater war Schriftsteller und Kabarettist, meine Großmutter Gesangslehrerin. Mütterlicherseits gab es ein Klaviertrio, meine Schwester ist Schauspielerin. Ich stamme also aus einer sehr kulturaffinen Familie und habe selbst schon als Kind mit Playmobil den "Faust" inszeniert, die berühmte Platte mit Paul Hartmann und Gustaf Gründgens (lacht). Dann habe ich Klavier gelernt und irgendwann auch meine Stimme entdeckt. So ging es in Richtung Operngesang weiter.
Wie kamen Sie dann zum Musikmanagement?
Wir haben schon während des Studiums mit ein paar Kommilitonen in Graz das "Grazer Gartenfestival" gegründet und Mozart-Opern inszeniert. Da hatten wir berühmte Gäste: Annette Dasch oder Elisabeth Kulman, heute weltberühmte Sängerinnen. Das war eine tolle Geschichte. Aber vom Management bin ich dann weg, weil der Operngesang den Platz eingenommen hat, den er benötigte. Ich habe in Wien Gesang und zunächst auch Jura studiert, aber das hat sich nicht vertragen. Wenn man etwas macht, dann ordentlich.
"DIE SCHWÄTZER IN GIESSEN": PREMIERE IM STADTTHEATER
D Die bevorstehende Musiktheaterpremiere am Gießener Stadttheater verspricht eine echte Uraufführung zu werden, obwohl die Musik - überwiegend - von einem Komponisten stammt, dessen 200. Geburtstag die Kulturwelt in diesem Jahr feiert. Es geht um Jacques Offenbach, den berühmten Kölsche Jung, der nicht nur in Frankreich mit seiner ganz eigenwilligen, komischen, unterhaltsamen und scharfzüngig aktuellen Form der Opéra bouffe äußerst erfolgreich war. Die neue Produktion mit dem Titel "Wer, wenn nicht wir - Die Schwätzer in Gießen", die am Samstagabend um 19.30 Uhr im Großen Haus auf die Bühne kommt, transformiert seine Operette mit dem für Gießen wie maßgeschneidert klingenden Titel "Les Bavards" ("Die Schwätzer") zu einer echten Gießener Angelegenheit. Die von der gleichnamigen Skulptur in der Innenstadt jedem Passanten vertrauten drei Figuren Mariechen, Waldemar und Justus spielen dabei eine entscheidende Rolle, wie das Regieteam bei einer Vorstellung der Produktion am Dienstag verriet. Gastdramaturg Matthias Kauffmann sprach von einer "lustvollen Verschlammbeiserung" der Materie, wenn die drei Schwätzer die gerade stattfindende Hauptprobe zu Offenbachs Stück (der Meister wird selber auf der Bühne anwesend sein) in ihrem Sinne anarchisch abändern.
D Die Fäden in der Hand hält in doppelter Hinsicht Astrid Jacob - die renommierte Kabarettistin und Regisseurin inszeniert nämlich das Ganze sowohl als Figur im Stück als auch ganz real für das Stadttheater. Die Operette in dieser Form stammt passenderweise von den mit dem Kölner Kabarett- und Kulturleben engstens verbundenen Autoren Jürgen Nimptsch und Lajos Wenzel, Thomas Guthoff übernahm das Arrangement der Musik.
E Es dürfte viele Überraschungen geben, konnte man den Andeutungen von Gießens Kapellmeister Martin Spahr entnehmen. Denn nicht nur weitere Werke von Offenbach werden in die revueartige Anlage aufgenommen - man darf unter anderem auch auf den Schlager "Komm mit nach Gießen an der Lahn" gespannt sein. Tanz und Chor sind ebenfalls beteiligt. Als Sänger agieren viele in Gießen bestens eingeführte Interpreten, neben Tomi Wendt (Waldemar) etwa Christian Tschelebiew als Sarmiento, Sofia Pavone als Solange und viele andere mehr. Für Bühne und Kostüme zeichnet bewährterweise Heiko Mönnich verantwortlich. (mac)
So wurden Sie also Opernsänger?
Ich wurde ziemlich früh, 2001, von der Hamburger Staatsoper engagiert und war dort bis 2015 Ensemblemitglied. Wer also irgendwann in dieser Zeit dort "Die Zauberflöte" gesehen hat, konnte damit rechnen, dass ich der Papageno war (lacht). Das war meine Leib- und Magenrolle als Bariton. Dann ging es wieder in Richtung Managent, als das Bruckner-Haus in Linz angefragt hat.
Kein Opernhaus?
Nein, das größte Konzerthaus Österreichs außerhalb Wiens. Es wurde 1974 von Karajan eröffnet, mein Jahrgang übrigens. Ein Haus mit 1400 Plätzen, tolle Gastorchester. Aber jetzt in Gießen geht es wieder zur Oper. Wenn man einmal den Bühnenzauber geschnuppert hat, ist das eben schon etwas Besonderes.
Hatten Sie Gießen denn überhaupt auf dem Radar?
Ja. Das Stadttheater hat ein Alleinstellungsmerkmal, weil hier immer wieder Raritäten auf dem Spielplan stehen, die anderswo nicht zu sehen sind. Das war auch anderswo bekannt.
Selbst in der Opernmetropole Wien?
Ja, es gab immer Sachen, die nur hier zu hören waren. Es ist reizvoll, das fortzuführen. Ein zusätzlicher Aspekt: Das Architektenbüro Fellner & Helmer hat nicht nur das Gießener Stadttheater, sondern auch das Opernhaus meiner Kindheit in Graz gebaut. So etwas verbindet. Und dieses Haus strahlt Theatermagie aus.
Auch wegen der Größe?
Ganz genau! Hier gibt es einen großen Vorteil. Das Publikum hat die Möglichkeit, nah dran zu sein, den Text gut zu verstehen und wirklich in das Bühnengeschehen involviert zu sein. Solch ein Haus kann eine Perle sein, wenn es mit Ernst, Leidenschaft und Verständnis geführt wird. Hier ist das so.
Sie haben selbst als Sänger auf vielen Bühnen gestanden. Wie verhält es sich mit dem Publikum? Gibt es da unterschiedliche Erwartungshaltungen, Mentalitäten?
In Wien ist das Publikum sehr sängeraffin. In Hamburg ist auch die Inszenierung wichtig. In Gießen gibt es ein Stammpublikum, das sich gerne begeistern lässt und sein Ensemble liebt, das ist mein bisheriger Eindruck.
Wie kam der Kontakt mit dem Stadttheater zustande?
Ich kannte die Intendantin Cathérine Miville als Theaterleiterin, die schon lange am Haus beschäftigt ist. Das ist heutzutage selten und solch eine Erfahrung kommt dem Theater wahnsinnig zugute. Denn so lässt sich eine Sache entwickeln. Ich glaube, dass ich selbst enorm von ihrer Erfahrung profitieren kann.
Sie sind selbst schon lange Profi?
Seit 26 Jahren am Theater.
Wie können Sie dann von ihr profitieren?
Ich selbst habe noch kein Theater als Intendant geleitet. Es ist interessant zu sehen, wie besonnen, mit wie viel Erfahrung hier entschieden wird. Mein Ziel ist selbst eine Intendanz, nach den Gießener Jahren. So ist es für mich ideal, hier den letzten Schliff zu bekommen, so würde ich es mal nennen (lacht).
Verspüren Sie nicht den Drang, selbst wieder auf der Bühne zu stehen?
Eigentlich nicht. Als Sänger ist man sehr auf sich selbst konzentriert. Das Schöne am Management ist, dass man das Gesamte im Blick hat und viel mehr bewegen kann. Was übrigens außerdem für ein kleineres Haus spricht: Hier geht es für meine Begriffe viel mehr um den ursprünglichen Theatergedanken. In den großen Häusern wird von jedem Einzelnen immer eine Spitzenleistung gefordert. Jeder muss versuchen, möglichst gut zu sein. Die Ensembleleistung, das Ineinandergreifen des Gesamten, geht dabei manchmal verloren.
Welche Tugenden sind für den Künstler wichtig?
Disziplin, Pünktlichkeit, Ernsthaftigkeit. Ich finde, auf diesen Säulen muss das Theater stehen. Die Rädchen müssen ineinandergreifen, das ist auch meine Aufgabe, weil hier alle Fäden organisatorisch zusammenlaufen.
Wie lassen sich Ihre unterschiedlichen Arbeitsgebiete umschreiben?
Als Operndirektor bin ich inhaltlich mitverantwortlich für die Entwicklung des Spielplans und die Auswahl der Sänger, natürlich immer in Absprache mit der Intendantin. Dort fällt die letzte Entscheidung. Hinzu kommt die Beratung der Sänger. Das ist wichtig, weil man hört, wohin die Stimme in Zukunft geht, ob Gefahren lauern. Als Künstlerischer Betriebsdirektor muss ich dafür sorgen, dass der künstlerische Prozess funktioniert, muss unvorhergesehene Dinge schaukeln. Der Klassiker ist der Ausfall eines Sängers. Dann ist es gut, wenn man viele potenzielle Ersatzleute kennt - und deren Agenten. Dann springt man ans Telefon. Gut sind dann starke Nerven und eine gewisse Grundgelassenheit. Man sollte sich nicht unnötig aufreiben, sondern auf das Nötige fokussieren.
Ist es bei Ihrer Arbeit von Vorteil, auch die Position der Künstler zu kennen?
Ich finde es wichtig. So kann man sich in die Psyche einfühlen. Die Künstler müssen sich wohlfühlen. Angst oder Unzufriedenheit sind kontraproduktiv, Motivation steigert die Leistung. Karajan hat mal gesagt: Man muss wissen, was man verlangen kann. Was unsinnig zu verlangen ist, hat keinen Zweck. Das kann man aber nur wissen, wenn man es selber gemacht hat. Wichtig ist mir auch, Streitigkeiten sofort zu schlichten. Nur dann gibt es gute Resultate auf der Bühne.
Wie bewerten Sie den vorzeitigen Abgang von Generalmusikdirektor Michael Hofstetter?
Dazu kann ich keine Haltung einnehmen, weil ich gerade erst neu hinzugekommen bin. Aber er ist natürlich ein Spitzenmusiker, wir haben ein angenehmes Verhältnis.
Können Sie etwas zu seiner Nachfolge sagen?
Das ist Chefsache, da habe ich derzeit noch keine Information.
Welche Musik hören Sie privat, etwa im Auto?
Ich habe kein Auto. Im Zug immer mit Kopfhörern: viel Belcanto, viel Bruckner.
Wie sehen Sie grundsätzlich die Entwicklung des Theaters? Etwa die Überalterung des Publikums?
Es wurde in der Branche teilweise jahrzehntelang am Publikum vorbeiproduziert. Das Problem liegt meines Erachtens in zuweilen enttäuschten Erwartungshaltungen des Publikums. Man kann Neues ausprobieren, aber dann muss es das Publikum vorher wissen. Denn letztendlich machen wir Theater für die Leut'!
Wie geht es mit der Oper weiter?
Diese Frage berührt meine innersten Wünsche. Wir müssen genau die Dinge fördern, die nicht am Publikum vorbeigehen, sondern es mitnehmen - ohne dabei anbiedernd oder trutschig zu sein. Ich glaube, dass viel am Publikum vorbeigedacht wurde, auch falsch gefördert wurde. Wir dürfen uns das nicht schönreden: Die Lage der Zeitgenössischen Musik ist prekär.
Das hört sich pessimistisch an ...
Nein, ganz im Gegenteil. Ich versuche, die Ärmel aufzukrempeln und die Situation zu verbessern, in meiner bescheidenen Rolle. Ich finde nur, dass die Situation verbesserungswürdig ist, in der sich die Zeitgenössische Musik insgesamt befindet. Es ist auch eine philosophische Frage: Trennt man U und E? Wenn man nicht trennt, ist das Musical die Oper von heute. Dann ist die Welt in Ordnung, denn die Häuser sind voll. Ich bin auch ein Gegner der Geringschätzung des Musicals. Früher hieß es, die können nicht singen. Die können sehr wohl singen! Darüber könnte man stundenlang reden. Am schlimmsten ist es doch ohnehin, wenn man im Konzert oder Theater sitzt und denkt: Das ist Zeitverschwendung (lacht).
Jetzt steht die Premiere einer Jacques-Offenbach-Revue auf dem Programm ...
Ich verspreche: "Die drei Schwätzer" wird sehr lustig! Das gibt es nur hier, das Stück wurde auf die Stadt adaptiert: eine ganz besondere Revue. Ich könnte mir vorstellen, dass es Kultpotenzial hat.