Zweiter Teil der neuen Reihe "Stories, Wein, Musik" in Gießen
Das Konzept stimmt: Schriftsteller Edgar Allan Poe war Thema des Abends in der ausverkauften Weinraumwohnung.
Von Heiner Schultz
Sorgten für eine unterhaltsame Mischung aus Lesung und Musik (von links): Stéphane Bittoun, Lasse Löytynoja (Gitarre) und Andreas Jamin (Posaune). Foto: Schultz
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GIESSEN - Ohne das Grauen, den Horror, wäre eine ganze Filmgattung undenkbar, die sich als unsterblich erwiesen hat. Der Schrecken war aber schon in der Literatur des 19. Jahrhunderts ein großes Thema - das den US-Amerikaner Edgar Allan Poe (1809 -1849) Weltruhm brachte. In der zweiten Ausgabe der neuen Reihe "Stories, Wein, Musik" in der ausverkauften Weinraumwohnung war der Schriftsteller am Dienstag das Thema der Folge "Unheimliche Welten".
Wie bei der Auftaktveranstaltung sprach der Frankfurter Regisseur und Schauspieler Stéphane Bittoun, als musikalische Begleiter und Umrahmung des Abends fungierten diesmal Andreas Jamin (Posaune) und Lasse Löytynoja (Gitarre). Die Beiden schufen schon vorab eine schöne, langsame und stimmungsvolle Atmosphäre auf handwerklich hohem Niveau. Danach ging's weiter mit flottem Swing und etwa einer Improvisation über Duke Ellingtons "It don't mean a thing". Anschließend begrüßte Christoph Jilo, der Gründer der Reihe, das Publikum in der proppenvollen Lokalität, es wurde ein wenig schummrig, und Stéphane Bittoun nahm am Lesetisch Platz, um aus dem Klassiker "Die Maske des roten Todes" in der hochgenauen und stilgerechten Übersetzung Arno Schmidts vorzutragen.
Alle werden sterben
Da geht's um eine grässliche Seuche (bei Poe war ja vieles grässlich), vor der sich der Fürst Prospero mit einem tausendköpfigen Gefolge in seine befestigte Abtei zurückgezogen hat, um beim Kostümfest alle Bedrohungen zu vergessen. Die Tore sind verbarrikadiert, damit niemand und nichts rein- oder rauskommt. "Lüstern und liederlich" geht es zu, doch nichts Abscheuliches geschieht, schreibt Poe. Aber natürlich kommt irgendwann "Der Rote Tod" als maskierte Figur und Sinnbild der Pest zum Zuge, mit blutbeflecktem Gewand, und als man ihn zu fassen versucht, ist er nicht körperlich. Dafür aber tödlich - denn alle, alle müssen sterben. Bittoun realisiert die minutiösen atmosphärischen Details präzise, findet den richtigen Fluss und sorgt damit für ein konzentriert lauschendes Publikum.
Danach Musik, ein paar Gedichte auch von Baudelaire ("Der Wein"), und die nächste Schauergeschichte: "Das verräterische Herz". Da ermordet der Erzähler seinen alten Nachbarn, weil der ein merkwürdiges Auge hat, mit "einen Vogelhäutchen", ein Synonym für den "bösen Blick". Schon hier zeigt sich, dass Edgar Allan Poe zum einen mit schwerblütiger Langsamkeit und Detailbesessenheit arbeitet und zeitgenössische Horrorthemen nutzt, ein Konstrukt, das wir heute als erzählerisch blutarm wahrnehmen - es ist eine andere Zeit.
Bittoun modelliert die dramatischen Details perfekt, bringt mächtig Dramatik ins Geschehen und die Schlusspointe genau auf den Punkt: Das Herz des Toten schlägt noch und sein Pochen verrät den Täter. Das war in einer Zeit, als die Menschen Angst davor hatten, lebendig begraben zu werden, eine wirksame Form. Heute wirkt es einfach antiquiert. Die Zuhörer sind dennoch mucksmäuschenstill, und auch nach der dritten Geschichte gibt es kräftigen Beifall: der Vorlesezauber funktioniert schließlich auch bei "Den Tatsachen im Fall Waldemar". In dieser Geschichte wird ein Kranker mittels Magnetismus am Sterben gehindert und spricht dann aus dem Jenseits zu den Menschen. Da hilft auch die handwerklich tadellose Präsentation nichts, dieser Stoff ist nicht mehr prickelnd.
Dagegen machen die Musiker durch ihr engagiertes Zusammenspiel sehr viel Spaß und runden den Abend musikalisch angenehm ab: Das Konzept der Reihe stimmt, und eine Zuhörerin fragt schon in der Pause nach Karten fürs nächste Mal. Dann gehe es nach Brasilien, verrät Veranstalter Christoph Jilo über den Abend am 7. Mai. Rechtzeitiges Kartenreservieren wird dringend empfohlen. Es gibt nur 60 Plätze.