Aktivisten im Dannenröder Forst richten sich auf Winter ein
Seit Anfang Oktober halten junge Aktivisten den Dannenröder Forst besetzt, um den Weiterbau der A 49 zwischen Schwalmstadt und dem Ohmtal-Dreieck und die damit verbundenen...
VOGELSBERGKREIS. Seit Anfang Oktober halten junge Aktivisten den Dannenröder Forst besetzt, um den Weiterbau der A 49 zwischen Schwalmstadt und dem Ohmtal-Dreieck und die damit verbundenen Baumrodungen zu verhindern. Was sind ihre Motive, was sind ihre Ziele? Darüber haben einige der Aktivisten im Georg-Büchner-Club in den Räumen der Evangelischen Studierenden-Gemeinde Gießen berichtet und mit den Besuchern diskutiert. Unsere Zeitung sprach mit einigen Baumbesetzern, die Wert darauf legen, als Kollektiv zu antworten.
Wie ist gerade die Stimmung bei Ihnen auf dem Baum. Wird es da oben nicht langsam kalt und ungemütlich?
Es wird definitiv kälter, aber man gewöhnt sich erstaunlich gut daran. Man muss halt in Bewegung bleiben. Aber natürlich wird das auf die Dauer schon anstrengend werden.
Beschreiben Sie kurz Ihre aktuelle Situation. Wie haben Sie sich auf den Bäumen eingerichtet?
Wir haben hier oben ein Bett mit einer Matratze sowie jede Menge Decken und Schlafsäcke. Wir haben in den Baumhäusern auch Kochmöglichkeiten, aber natürlich auch Feuerlöscher. Es gibt auf einigen Baumhäusern mittlerweile auch Kompostklos und auf einem Baum eine richtige Hütte mit isoliertem Boden, Dach und Wänden. Und wir haben hier oben viele Bücher und Magazine. In den nächsten Tagen wollen wir auch kleine Öfen installieren, damit wir wirklich winterfest sind.
Wie viele Leute sind Sie? Sind Sie alle Vollzeitaktivisten?
Nein, es gibt auch Aktivisten, die studieren oder arbeiten, und die dann kommen, wenn sie Zeit haben. Wir sind aber zahlreich genug, um uns auf den Bäumen abzuwechseln.
Wie ist die Unterstützung vor Ort durch die Anwohner in Dannenrod oder Lehrbach?
Die Unterstützung war und ist super.
Kritiker werfen Ihnen vor, mit der Besetzung des Dannenröder Forsts nur die Eigeninteressen der Anwohner zu vertreten, während andere Menschen, etwa an der B 3 ohne die A 49 umso mehr unter dem Verkehr leiden müssen.
Einige von uns sind selbst an ihren Wohnorten vom Verkehrslärm an der B 3 betroffen. Das ändert aber nichts an unserem Einsatz hier, im Gegenteil. Wir brauchen dringend eine vollständige Verkehrswende. Dieser ständige Bau von immer mehr Straßen, Gewerbe- und auch Wohngebieten ist ja einem System geschuldet, in dem die Wirtschaft strukturell immer weiter wachsen muss, weil das System sonst kollabieren würde. Es zeigt sich aber von Tag zu Tag mehr, dass dieses System toxisch für unseren Planeten ist. Es ist totaler Quatsch, den Menschen weiszumachen, dass sie durch die A 49 entlastet würden. In Wahrheit werden immer mehr Menschen belastet. Durch eine bessere Verkehrsanbindung wird diese noch relativ naturbelassene Region für die Wirtschaft lukrativer, und das zieht weitere Bauten und Straßen und damit Lärm und Umweltzerstörung nach sich.
Wenn man das Wachstum in Frage stellt, muss man die Systemfrage stellen. Glauben Sie, dass man wirklich ein anderes Wirtschaftssystem etablieren kann und die Menschen das auch akzeptieren werden?
Die Ökonomie hat sich heute längst verselbstständigt und dient nicht mehr den Interessen der Menschen. Zudem sind in den herrschenden Wirtschaftsmodellen die eigentlichen Kosten nicht eingepreist. Die immensen Kosten für die Zerstörung von Lebensräumen, sowie von Tier- und Pflanzenarten werden völlig ignoriert - das ist der grundlegende Fehler im System. So wie jetzt wird es sowieso nicht weitergehen, denn unser Ökosystem ist gerade am Kollabieren. Darüber sollten wir reden und nicht über die Reformierbarkeit des Kapitalismus. Wir sind nicht abhängig von einem Wirtschaftssystem, wir sind abhängig von der Natur.
Wie stehen Sie zu den aktuellen Bewegungen "Fridays for Future" (FFF) und "Extinction Rebellion" (ER)? Verfolgen die nicht ähnliche Ziele wie Sie?
Da muss man differenzieren. Viele von uns sehen ER eher kritisch, weil das eine sehr dogmatische und hierarchisch organisierte Bewegung ist, die fast schon Sektencharakter hat und zudem fragwürdige Unterstützer aus der Großwirtschaft. Alle anderen sozialen Konflikte abseits der Klimafrage werden bei ER ausgeklammert. FFF ist etwas anderes, nämlich eine sehr junge und emanzipatorische Bewegung, bei der vieles noch im Fluss ist, und die auch offen Kritik an Hierarchien in den eigenen Reihen übt. FFF hat eine sehr schöne und interessante Bewegung ausgelöst.
Zweiter Aktivist: Also, dass ER ihre Ziele mit einer Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen durchsetzen will, finde ich schon einen interessanten Ansatz.