Fall Ayleen: Das System des Jan P.

Der Waldsolmser Jan P. soll es auf junge, unerfahrene Frauen abgesehen haben. Timo König (Archiv)
© Timo König (Archiv)

Ermittler haben beschrieben, wie der mutmaßliche Mörder von Ayleen das Mädchen gefügig gemacht haben soll.

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GIESSEN/WALDSOLMS/GOTTENHEIM. Gießen/Waldsolms/GottenheimMittlerweile ist es mehr als ein Jahr her, dass die 14-jährige Ayleen getötet wurde. Mutmaßlich hat sie Jan P. aus Waldsolms erwürgt. Das gestand er auch. Der angebliche Grund: Ayleen habe den inzwischen 30-Jährigen "provoziert und beleidigt". Die Staatsanwaltschaft geht hingegen von sexuellen Motiven aus. Am Landgericht Gießen haben Ermittler nun einen Einblick in die Welt des Jan P. gegeben, darin, wie er den Großteil seiner Freizeit verbracht haben soll: mit der Suche nach Mädchen, die seine Lust befriedigen.

Der Waldsolmser Jan P. soll es auf junge, unerfahrene Frauen abgesehen haben. Timo König (Archiv)

Tausende Chatnachrichten

Die Ermittler zeichnen im Mordprozess das Bild eines Mannes, der krampfhaft versucht, sexuelle Befriedigung zu erlangen. Dem dabei das Alter, Einvernehmlichkeit und Moral egal gewesen seien. "Die Wege dahin waren dadurch geprägt, dass es keine Regeln gab - absolute Gewissensfreiheit", sagt ein Polizist aus. Er war im Sondereinsatzkommando "Lacus" (auf Deutsch: See), das im Fall Ayleen ermittelte, verantwortlich für die Auswertung der digitalen Spuren. "Für ihn war alles legitim, um sein Ziel zu erreichen", sagt er. P. habe die jungen Frauen "bedroht, genötigt und erpresst". Und wenn er dadurch das erreicht habe, was er wollte, dann soll er sich damit nicht zufriedengegeben haben. Er habe immer mehr gewollt.

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Den Weg zu seinem Ziel soll der Waldsolmser im Internet gegangen sein. Zehntausende Chatnachrichten von P. hat die Soko "Lacus" laut dem Polizisten insgesamt ausgewertet. Er macht aber klar, dass das nur den Bruchteil der Kommunikation von P. darstelle. Der Waldsolmser habe mehr als 25 Apps oder Internetplattformen genutzt. Die löschten die Chats allerdings teilweise oder würden sie erst gar nicht rausrücken.

Beim Kontakt mit Mädchen oder Frauen soll es P. nahezu immer um das Eine gegangen sein, um Nacktbilder, Masturbationsvideos, Sex. Das gilt auch für die 14-jährige Ayleen, bei der er besonders perfide vorgegangen sei. Denn um sein Ziel zu erreichen, hat P. laut Zeugenaussage ein ausgeklügeltes System entwickelt. Und das habe er bei der 14-Jährigen bis zum Äußersten getrieben.

Zunächst soll er den Mädchen vorgetäuscht haben, sie zu lieben. "Wenn das nicht funktioniert hat, kamen Vorwürfe", sagt das Mitglied der Soko "Lacus". Er habe versucht, seinem Gegenüber ein schlechtes Gewissen zu machen, ihm Schuldgefühle einzureden. Etwa, wenn das Mädchen nicht auf seine Nachrichten antwortete oder ihn abwies. Das soll er bis zu Selbstmorddrohungen gesteigert haben. Auch bei Ayleen.

Drohnachrichten geschickt

P. habe aber nicht nur sein Leben bedroht, sondern auch das von Angehörigen der Mädchen. Ganz offen, im Fall von Ayleen zusätzlich dazu über eine zweite Handynummer. Ein Polizist aus Lörrach - Ayleen wohnte in der Nähe, in Gottenheim -, der sich im Detail mit den Chatnachrichten zwischen P. und Ayleen beschäftigt hat, sagt aus, dass der damals 29-jährige P. unter dem Pseudonym "Henker" der 14-Jährigen gedroht habe. Dann, wenn sie nicht das tat, was er wollte.

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Das Verhältnis zwischen P. und Ayleen soll - wie bei vielen anderen Mädchen - auch durch Geld geprägt worden sein. Früh sei, ausgehend vom Waldsolmser, ein "Sugar-Daddy-Verhältnis" zwischen beiden entstanden, berichtet der Polizist aus Lörrach. Zur Erklärung: Ein "Sugar-Daddy" ist für gewöhnlich ein reicher, älterer Mann, der einer jungen, attraktiven Frau Geld im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten gibt. Für Gefälligkeiten Ayleens, beispielsweise Nacktbilder, habe P. ihr "Guthaben" erhöht. Wenn sie sich allerdings nicht so verhielt, wie es P. wollte, habe er ihr "Guthaben" gekürzt - oder zumindest damit gedroht. Schlussendlich soll auch die Übergabe dieses (womöglich gar nicht existenten) Geldes Ayleen dazu bewogen haben, zu P. ins Auto zu steigen.

Jung und unerfahren

Ayleen soll in diesem Verhältnis eher zurückhaltend gewesen sein. Wenn P. sie gefragt habe, ob sie noch seine "Sugar-Tochter" ist, dann habe sie "erst rumgedruckst, dann ja gesagt", berichtet der Polizist. Oft habe es gewirkt, als habe Ayleen die Gespräche beenden wollen. Doch dann sollen sie aber wieder begonnen haben.

Offensichtlich habe es P. vor allem auf sehr junge Frauen abgesehen. Aber: "Wir hatten nicht den Eindruck, dass das Alter eine sexuelle Rolle gespielt hatte", berichtet der Polizist der Soko "Lacus". "Viele Frauen hatten einen eingeschränkten, behinderten Eindruck gemacht - oder hatten wenig digitale Bildung." Die Vulnerablen oder die besonders Unerfahrenen seien im System des Waldsolmsers hängen geblieben.