Lernen, mit Erlebtem umzugehen

Der Gruppenleiter der traumpädagogischen Wohngruppe des Haus Zoar in Waldgirmes mit zwei Jugendlichen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Foto: Rühl
LAHNAU-WALDGIRMES Unter den Flüchtlingen, die vor Krieg, Hunger oder Gewalt nach Deutschland fliehen, sind Kinder und Jugendliche, die allein die gefährliche Reise nach Europa antreten. Acht davon leben jetzt in Waldgirmes.
Untergebracht sind sie im Haus Zoar der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe der "kreuznacher diakonie". Sie hat im November vergangenen Jahres ein Haus in Waldgirmes eröffnet. "Wir waren schon einige Monate daran, das Haus vorzubereiten", erzählt Bereichsleiterin Petra Hofmann. Als es im Herbst fertig war, kam die Eröffnung mit dem gesteigerten Bedarf an Plätzen für unbegleitete minderjährige Ausländer zusammen. Von Beginn an haben in Waldgirmes acht Jungs Aufnahme gefunden, die meisten waren erst wenige Tage in Deutschland.
Jugendliche brauchen sie ein sicheres Umfeld und Personen, die ihnen helfen, wieder zur Ruhe zu kommen
In dem Haus in Waldgirmes sollen die jungen Leute lernen, mit dem Erlebten umzugehen und eine neue Zukunft für ihr Leben gewinnen. Vier Syrer und vier Afghanen leben nun gemeinsam in dem Haus in dieser Wohngruppe. Sieben Mitarbeiter kümmern sich um die Bewohner im Alter von derzeit elf bis 17 Jahren, die aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen eine intensive Betreuung und Förderung brauchen.

Das Wohnhaus in Waldgirmes beherbergt die Wohngruppe des Kinder- und Jugendheimes Haus Zoar. Foto: Rühl
"Die Jungen haben ihr Leben in der Heimat zurücklassen müssen. Damit ist ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen", sagt David Kappes. Die Eltern hatten Angst um Leib und Leben ihrer Kinder und haben sie deshalb in die Fremde geschickt. Einige Jugendliche hätten alles Leid und Elend eines Krieges gesehen. Bomben seien in ihrer Nähe eingeschlagen, Menschen gestorben. Nun brauchten sie ein sicheres Umfeld und Personen, die ihnen helfen, wieder zur Ruhe zu kommen, Sicherheit und Vertrauen zu gewinnen.
Im geschützten Umfeld sollten sie die Gelegenheit haben, neue Erfahrungen machen zu können. Sie brauchen Informationen über Familienangehörige, die sie in der Heimat zurückgelassen oder auf dem Fluchtweg aus den Augen verloren haben. Manche Jugendliche seien nach Europa geschickt worden, um den Nachzug der Familie zu ermöglichen. Bei anderen bestehe die Erwartung, dass sie die Familien finanziell unterstützten. Hier müssten Jugendliche wie die Herkunftsfamilien lernen, dass beides zunächst nur bedingt möglich ist. Die Jugendlichen werden nicht in einen Job geschickt, sondern in eine Schulausbildung. Sechs der acht Jugendlichen besuchen die Lahntalschule, wo sie durch einen Intensivsprachkurs besonders gefördert werden. Die beiden Älteren gehen in die sogenannte InteA-Klasse der Käthe-Kollwitz-Schule in Wetzlar. "Integration und Abschluss (InteA)" ist dabei die Ausdehnung des hessischen Sprachförderkonzepts auf den Bereich der beruflichen Schulen.
Petra Hofmann erläutert, dass Zoar in Vorbereitung auf die Eröffnung den Kontakt zur Lahntalschule gesucht hat. Aber auch die Anlieger wurden informiert. Bei einem "Tag der offenen Baustelle" waren die Nachbarn eingeladen. Die Bevölkerung begegne dem Projekt wohlwollend. Auch laufe die Integration in den Sportverein gut. Von Anfang an habe Zoar den Kontakt zur Gemeinde Lahnau gesucht. Der Sozialausschuss werde regelmäßig über die Entwicklung informiert. Die Jugendlichen sollen neue Perspektiven entwickeln, Sicherheit im eigenen Handeln erlernen, auf eigene Fähigkeiten vertrauen und mit belastenden Erlebnissen wie Heimweh und der Trennung von der Familie umgehen lernen. Die jungen Flüchtlinge sollen die eigene Kontrolle über ihren Tag neu für sich entdecken. Die Kinder und Jugendlichen entscheiden dabei selbst, was sie am Wochenende unternehmen. In Besprechungen können sie sich offen äußern. So sollen sie lernen, wieder Einfluss auf ihr eigenes Leben zu haben.
Das Haus Zoar beginnt mit dem Wohnprojekt für unbegleitete minderjährige Ausländer nicht bei Null. Schon seit mehr als 20 Jahren werden in Rechtenbach junge Ausländer aufgenommen. Das Haus Zoar wurde 1855 als "Rettungsanstalt für Knaben" auf dem damaligen Hofgut Klein-Rechtenbach von der Inneren Mission Wetzlar eingerichtet. Seit 1897 gehört die Einrichtung zur "kreuznacher diakonie".
Über 240 junge Menschen, die ohne Eltern oder Familienangehörige in die Region gekommen sind, hat der Lahn-Dill-Kreis laut Vize-Landrat Heinz Schreiber (Grüne) untergebracht.