Dienstag,
03.12.2019 - 13:30
3 min
Die Marke "Pohl" verschwindet

Von Malte Glotz
Redakteur Wetzlar

Foto: Malte Glotz
WETZLAR - Es war das Jahr 1913, als Henry Ford die Fließbandproduktion erfand und damit den Grundstein legte, auf dem die Autoindustrie noch heute fußt. Nicht viel später begann in Wetzlar ein Schmied, seinem Handwerk nachzugehen und legte damit den Grundstein, aus dem das Autohaus Pohl erwuchs. Erst mit Motorrädern, später mit Kraftwagen wagte er irgendwann den Schritt in die mobile Zukunft. Das Haus gedieh, seit kurz nach dem Krieg fest an der Seite von Ford - als Vertragshändler. Zumindest dieser Teil der Ford-Geschichte endet: Stephan Pohl gibt sein Autohaus in der Hermannsteiner Straße zum Jahreswechsel auf.
"Natürlich spielt da auch ein Stück Wehmut mit", sagt Pohl. Und doch ist er ganz pragmatisch: Er hat mit 51 Jahren zwar noch einige Berufsjahre vor sich, aber in der Familie keinen Nachfolger, der das Haus weiterführen würde. Zugleich stellen alle Hersteller immer strengere Anforderungen an ihre Vertragshändler - Anforderungen, die Pohl vor mittlere siebenstellige Investitionen stellen. Zumal auf einem Firmengelände zwischen Hermannsteiner Straße und der Autobahnbrücke, das wenig weiteres Wachstumspotenzial bietet.
Markt verändert
sich drastisch
sich drastisch
"Das Automobilgeschäft wird sich drastisch wandeln", ist Pohl überzeugt. Seit 25 Jahren führt er als Inhaber die Geschäfte in dem Familienunternehmen - mehr Umbruch als in dieser Zeit dürften die nächsten zehn Jahre bringen. Stichwort: E-Mobilität. "Das Konsumverhalten der Menschen ändert sich", sagt Pohl. Sie sind bereit, vierstellige Summen für E-Bikes und E-Tretroller auszugeben - vor zehn Jahren noch kaum vorstellbar.
Zugleich stellt er eine "Amerikanisierung" des Autohandels fest: Niemand wolle sich heute mehr mit einem Händler stundenlang zusammensetzen, jedes Detail eines Wagens besprechen, das Wunschfahrzeug dann bestellen und zwei Monate darauf warten: "Schnelle Verfügbarkeit, kombiniert mit einer großen Auswahl an Fahrzeugen - das ist es, was der Kunde heute erwartet.", sagt Pohl - soll heißen: bestenfalls . Mit rund 80 dauerhaft verfügbaren Wagen sei dieser Service der großen Händler-Ketten für sein Haus nur schwer leistbar.
Und doch will er künftig genau diesen Service bieten. Denn in einem Brief an seine Kunden schreibt er von neuen Herausforderungen: Pohl wird Filialleiter des neuen Ford-Autozentrums in der Gießener Automeile. Damit bleibt er verantwortlich für Personal, Verkauf und Service. Auch bleibt er in einem Familienunternehmen - wechselt selbst aber in ein Angestelltenverhältnis. "In der Automeile gab es bislang keinen Ford-Händler", sagt Pohl - der Standort verbinde zudem ideal die Märkte Gießen und Wetzlar. Das hat auch Michael Acker vom gleichnamigen Biedenkopfer Autohaus erkannt, der bislang neben dem Haupthaus Filialen in Marburg und Bad Berleburg betreibt. "Herr Acker hat ganz bewusst mich angesprochen", sagt Pohl. Es war also kein langer Abwägungsprozess, kein schleichender Verfall eines Traditionshauses - sondern eine aus seiner Sicht zukunftsorientierte und wirtschaftliche Alternative, die sich Stephan Pohl geboten hat. Und die er Mitte September fest angenommen hat.
Der neue Standort, ein ehemaliges Alfa-Romeo-Autohaus, wird derzeit umfassend renoviert. "Es bietet alles, was für die automobile Zukunft nötig ist", sagt Pohl - darunter: ständig rund 600 bis 800 sofort verfügbare Fahrzeuge. Die Marke "Pohl" allerdings verschwindet. Acker nennt seine Häuser schlicht "Ford Autozentrum". Da Pohl in seinem Schreiben auch darum wirbt, dass seine Kunden künftig den "gewohnten Service" seines Hauses in Gießen genießen dürfen, hofft er auf die Treue seiner Kunden. "Viele haben mich angesprochen, die meisten äußerst positiv", sagt er. Er habe das anders erwartet, doch Kritik und Unverständnis seien selten zu hören gewesen. Und selbst das 22-köpfige Team seines Hauses kann mit der Situation gut umgehen: Einige Kollegen gehen in Rente, von den übrigen haben sich die meisten bei Acker für den Gießener Standort beworben.
Was zurück bleibt ist die Immobilie in der Hermannsteiner Straße - sie gehört Pohl. "Wir haben hier noch keinen künftigen Mieter", sagt Stephan Pohl. Zuviel sei derzeit zu regeln, zudem würden Service und Verkauf bis einschließlich 20. Dezember wie gewohnt weitergehen. Doch der Kfz-Betriebswirt ist überzeugt, Ausstellungsräume und Werkstatt schnell vermieten zu können. Gegebenenfalls ließe sich das Gelände auch kleinteiliger nutzen.