Gasnotstand in Wetzlar: Welche Maßnamen werden vorgenommen?
Was, wenn das Gas knapp wird? Die Industrie wäre zuerst an der Reihe. Doch der Wetzlarer Versorger Enwag versucht, das zu verhindern.
Von Pascal Reeber
Redakteur Wetzlar
Durch einen Wegfall russischer Gasimporte fürchtet Enwag-Chef Berndt Hartmann zwar auf absehbare Zeit keine Versorgungsprobleme. Aber: Preissprünge könnten die Liquidität kommunaler Versorger infrage stellen. Symbolfoto: Axel Heimken/dpa
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WETZLAR - Im Fall der Fälle würden die unangenehmen Entscheidungen in der Hermannsteiner Straße fallen müssen: Auf Anforderung der Bundesnetzagentur müsste die Enwag festlegen, welche Gasverbraucher bei Knappheit nicht mehr beliefert würden. Die Industrie wäre zuerst an der Reihe. Haushalte, Kleingewerbe und soziale Einrichtungen sind per Gesetz geschützt.
15 bis 20 Großverbraucher gibt es in der Stadt. Den Gashahn will Enwag-Chef Berndt Hartmann keinem abdrehen. "Wir führen viele Gespräche und versuchen, uns im Vorfeld abzustimmen", sagt der Geschäftsführer. Viele Unternehmen hätten die Möglichkeit, bestimmte Prozesse mit anderen Energieträgern als Gas zu betreiben oder ihre Abläufe zeitlich umzustellen - und dadurch Gas zu sparen. Die gemeinsamen Gespräche dienten dem Zweck, diese Potenziale zu identifizieren, um im Notfall darauf zurückgreifen zu können. Hintergrund: Kommt es zur Gasknappheit, wird die Bundesnetzagentur nicht die Schließung einzelner Verbraucher verfügen. "In einem solchen Fall würde die Agentur die Energiemenge benennen, die eingespart werden muss", erklärt Hartmann. "Die Entscheidung fällt dann vor Ort."
"Klar, ein Krankenhaus ist als soziale Einrichtung geschützt. Aber dürfen wir eine Schule abschalten?"
Berndt Hartmann, Enwag-Geschäftsführer
Ein Problem sieht Hartmann hier noch in den gesetzlichen Definitionen: "Die Gesetzgebung ist nicht eindeutig", sagt er. "Klar, ein Krankenhaus ist als soziale Einrichtung geschützt. Aber dürfen wir eine Schule abschalten?"
Indes: Der Enwag-Chef geht nicht davon aus, dass der Extremfall eintritt - selbst wenn Russland seine Exporte nach Deutschland stoppen sollte. Im Juni lag der russische Anteil an den Gasimporten bei 26 Prozent. "Es würde dann erst einmal gar nichts passieren. Wir würden es aber wahrscheinlich nicht schaffen, weitere Mengen für den Winter einzuspeichern", sagt Hartmann. Im Winter könnte es also dann zu Engpässen kommen. Laut Branchenverband können die deutschen Speicher mit 256 Terawattstunden Gas gefüllt werden, ein Viertel des Jahresverbrauches. Für drei Monate wäre die Versorgung sicher - wenn die Speicher voll sind.
Aktuell hat die Branche eine andere Sorge, es geht um ihre Zahlungsfähigkeit. Mit einer Woche Vorlauf müssen Versorgungsunternehmen wie die Enwag ihre Kunden über Preiserhöhungen informieren. Verteuert sich das Gas im Einkauf kurzfristig stark, kann bei den Versorgern eine Liquiditätslücke entstehen. "Wir Versorger müssen vorfinanzieren. Bis wir das Geld von den Kunden zurückbekommen, dauert es. Im Zweifelsfall könnten Insolvenzen drohen."
Hartmann begrüßt daher die Idee eines Rettungsschirmes für die großen Gasimporteure. Die Logik dahinter: Fängt der Bund bereits auf dieser Ebene Preissprünge ab, können die Importeure die kommunalen Versorger wie die Enwag weiter günstig mit Gas beliefern, damit diese keine Liquiditätsprobleme bekommen.
Eine andere Option für Versorger wie die Enwag wäre, ihnen Preiserhöhungen zu erleichtern. Dass Kunden mit einer Woche Vorlauf schriftlich informiert werden müssen, hält Hartmann für wenig praktikabel. "Es gibt 46 Millionen Gaskunden in Deutschland. Die wird keiner einfach so anschreiben können, das gibt Chaos." Sein Vorschlag: ermöglichen, dass die Preisbekanntgabe im Internet genügt. Damit könnten die Versorger kurzfristiger reagieren und höhere Preise schneller weitergeben. Bei der Grundversorgung sei das heute schon möglich.
Auf Verbraucherseite wird derweil schon reagiert: Eine der großen Gasheizungen in der Stadt tut im Dom ihren Dienst: Im Jahr 2021 verbrauchte sie 170 000 Kilowattstunden Gas - so viel wie zehn Vier-Personen-Haushalte. Derzeit ist die Anlage aus, die Heizperiode beginnt am 1. Oktober. "Wir werden sicher gemeinsam darüber sprechen, ob wir die bisherigen Temperaturen im Dom beibehalten", kündigt Finanzkirchmeister Jens-Michael Wolf von der evangelischen Gemeinde an.
Bisher gilt: Für Gottesdienste wird der Dom auf 16 Grad geheizt, bei Konzerten gemäß den Vorgaben für Berufsmusiker auf 18 Grad. Ansonsten stellt die Heizung nur eine Grundtemperatur von neun Grad sicher - nicht, weil es nötig wäre, sondern, weil es zu teuer wäre, für Veranstaltungen von null hoch zu heizen, berichtet Wolf. Außerdem wolle man große Temperatursprünge vermeiden.
Die Beheizung dient dabei allein den Menschen, nicht der Kirche selbst. "Für die Orgel zum Beispiel wäre es am besten, wir würden gar nicht heizen. Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen." Die schlägt sich dann nieder - an den Sandsteinwänden oder am ledernen Blasebalg der Orgel. Erst kürzlich musste dieser wieder vom Schimmel befreit werden.
Alternativen zur Gasheizung haben die Verantwortlichen bereits geprüft. Ein Blockheizkraftwerk schied aus, weil dafür ein konstanter Energiebedarf nötig ist. Auch beheizbare Sitzkissen und Heizstrahler für die Bänke seien bereits diskutiert worden. Doch irgendwas war immer: entweder die Leistung zu schlecht oder die baulichen Eingriffe zu groß.
Was tun, wenn das Gas knapp wird? Planspiele dieser Art laufen auch im Neuen Rathaus. Mit ihren vielen Liegenschaften ist die Stadt ein großer Gasverbraucher. "Wir sind dabei, einen Gasnotfallplan zu erarbeiten", sagt Stadtrat Norbert Kortlüke (Grüne). Darin sollen unter anderem Maßnahmen zur Gaseinsparung festgelegt werden. Praktisch alle Ämter seien beteiligt. Ergebnisse sollen in einigen Tagen vorliegen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 05.07.2022 um 07:00 Uhr publiziert.