Richter: NPD hatte ein Recht auf die Wetzlarer Stadthalle
Von Steffen Gross
Redakteur Wetzlar
Sorgt weiterhin für Diskussionen: die Entscheidung der Stadt Wetzlar, der NPD den Zutritt zur Stadthalle zu verweigern.
(Foto: Keller)
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WETZLAR/GIESSEN - Es dürfte die späte Genugtuung für die Rechtsextremen sein: Die Stadt Wetzlar hätte ihre Stadthalle der NPD überlassen müssen. Dass die Hallentüren für die Partei und die von ihr angemeldete Wahlkampfveranstaltung am 24. März 2018 verschlossen blieben, war rechtswidrig. Das haben die Richter der 8. Kammer am Verwaltungsgericht Gießen am Dienstag entschieden.
Alles andere als dieses Urteil wäre mehr als eine Überraschung gewesen, nachdem sich die Stadt Wetzlar seinerzeit nach mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen schließlich über die höchstrichterliche Anordnung des Bundesverfassungsgerichts hinweggesetzt hatte. Mit der Begründung, dass die NPD grundsätzliche und für alle geltende Anforderungen des Mietvertrags nicht erfüllt habe. Dabei ging es vor allem um den Nachweis einer Haftpflichtversicherung und eine ausreichende Zahl an Rettungssanitätern für die Sicherheit der angemeldeten 480 Besucher der Wahlkampfveranstaltung. Die NPD vertrat damals wie auch am Dienstag die Position, dass sie nicht nur alle Mietbedingungen erfüllt habe, sondern dass deren Einhaltung darüber hinaus rechtlich unerheblich sei.
Auslöser dafür, dass sich jetzt erneut ein Gericht mit dem Fall befasste, war die Klage des NPD-Stadtverbands Wetzlar. Mit dem Ziel: Endlich feststellen zu lassen, dass das Verhalten der Stadt rechtswidrig war. Zur mündlichen Verhandlung erschien der NPD-Stadtverbandsvorsitzende Thassilo Hantusch mit Rechtsanwalt Peter Richter. Die Stadt Wetzlar ließ sich von ihrem Rechtsamtsleiter Tobias Wein vertreten. Er beantragte, die Klage abzuweisen.
Fast zwei Jahre währender Rechtsstreit
Im Tauziehen zwischen der NPD und der Stadt um die Stadthalle Wetzlar war es seit Dezember 2017 zu mehreren vorläufigen Rechtsschutzverfahren gekommen. Erst hatte das Verwaltungsgericht Gießen die Stadt im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der NPD die Halle zu überlassen. Dann wurde die dagegen eingelegte Beschwerde der Stadt vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht noch am Morgen des 24. März 2018 der Stadt aufgegeben, den zuvor ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen Folge zu leisten.
Nach fast zweistündiger Verhandlung, in der beide Seiten ihre Argumente vortrugen, und weiteren zwei Stunden Beratung der Richter unter Vorsitz von Gerichtspräsident Harald Wack stand das Urteil fest: Die Klage hatte Erfolg, die Stadt Wetzlar kassierte wie abzusehen eine Niederlage. Nach Auffassung des Gerichts handelte die Stadt rechtswidrig, weil sie sich nicht an die vorangegangenen Gerichtsentscheidungen gehalten habe.
Mehr überraschen konnte ein zweiter Punkt der Urteilsbegründung: Nach Auffassung der Richter hatte die NPD die Mietbedingungen für die Halle eingehalten. Sowohl eine Versicherungspolice als auch ausreichend Sanitätspersonal seien nachgewiesen worden.
Die NPD hatte nach eigener Auskunft fünf bis sechs Rettungssanitäter benannt. Das sei ausreichend für die 480 angemeldeten Besucher der Veranstaltung, so die Richter. Die Forderung der Stadt nach 38 Rettungssanitätern sei dagegen überzogen gewesen. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der von der NPD vorgelegte Versicherungsschein ungültig oder unzureichend gewesen sei.
Der städtische Rechtsamtsleiter hatte während der Verhandlung mehrfach deutlich gemacht, dass der Zutritt zur Halle ausschließlich wegen nicht erfüllter Mietbedingungen verweigert worden sei. Bei der Zahl der nötigen Rettungssanitäter habe man sich an einer Empfehlung des hessischen Sozialministeriums orientiert. Da die Auftritte mehrerer bundesweit bekannter Rechtsrockbands geplant waren, hätten zumindest Zweifel an dem Charakter der Wahlkampfveranstaltung bestanden. In jedem Fall aber habe man von gewaltbereiten Personen unter den Gästen und damit von einer erhöhten Gefährdungslage ausgehen müssen. Mit Blick auf mögliche Sachbeschädigungen habe der Haftpflichtschutz im Fokus gestanden. Der Versicherungsschein sei zum Preis von 103 Euro für einen „Kongress“ ausgestellt gewesen. Ein viel zu niedriger Betrag, fand Wein. Noch dazu habe die Versicherungsgesellschaft gegenüber der Stadt angekündigt, die Versicherung zu kündigen, weil grundsätzlich keine politischen Veranstaltungen versichert würden. Der Wetzlarer Magistrat als Entscheidungsträger habe vor einem Dilemma gestanden, führte Wein aus:
Entweder der NPD den Zutritt verweigern, oder anschließend im Falle eines größeren Schadens an der Stadthalle die Kosten aus dem städtischen Haushalt begleichen zu müssen. Und damit Gefahr zu laufen, sich einer Strafanzeige wegen der Veruntreuung von öffentlichen Geldern durch eine der Oppositionsparteien einzuhandeln.
Rechtsanwalt Richter bezeichnete das als "Vehikel". Das eigentliche Ziel der Stadt sei es gewesen, der verfassungsfeindlichen Partei keine Halle zu überlassen. Die NPD sei im Besitz einer Versicherung gewesen, die auch nicht gekündigt worden sei. Zudem seien der Stadt 30000 Euro Mietkaution gezahlt worden. Aus der "Depesche" der FDP Wetzlar sei in diesem Zusammenhang zu erfahren gewesen, dass in der Vergangenheit Mieter der Stadthalle die Versicherungsnachweise nicht hätten erbringen müssen. Insofern erkannte der Anwalt einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die FDP-Publikation bestätige das.
Die erste Reaktion auf das Urteil aus dem Wetzlarer Rathaus viel knapp aus. Schriftlich teilte die Stadt mit, dass die Entscheidung zur Kenntnis genommen wurde. Sobald die schriftliche Begründung vorliegt, werde diese analysiert und es würden „die notwendigen Schritte durchgeführt“. Unter Umständen müssten die Mietbedingungen für die Nutzung der öffentlichen Einrichtungen der Stadt Wetzlar entsprechend angepasst werden.
Das Urteil vom Dienstag ist noch nicht rechtskräftig. Die Stadt Wetzlar kann dagegen noch Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen.
Welche weiteren Folgen das Urteil nach sich ziehen wird, ist noch nicht absehbar. Die Ermittlungen in einem ursprünglich gegen den Oberbürgermeister eingeleiteten Strafverfahren wurden eingestellt. Nachdem die NPD Beschwerde eingelegt hat, prüft das Frankfurter Oberlandesgericht.